ARD-DeutschlandTrend April 2008 Für SPD und Union geht es im Gleichschritt bergab
Die Wähler sind offenbar enttäuscht über die machtpolitischen Taktierereien von SPD und Union. Laut ARD-DeutschlandTrend sinkt die Zustimmung für die Parteien der Großen Koalition auf 63 Prozent - sie verlöre somit die Zweidrittelmehrheit. Davon profitieren die kleinen Parteien. Sie alle würden zweistellige Ergebnisse erreichen.
Von Jörg Schönenborn, WDR
Es geht im Gleichschritt bergab für die beiden Berliner Koalitionspartner. Dass die SPD auf 26 Prozent abrutscht (-2 Punkte), ist drei Wochen nach dem Hessen-Debakel leicht zu erklären. Der Schlingerkurs in Sachen Linksbündnis und die Autoritätskrise des Vorsitzenden Kurt Beck haben die Partei auf den schlechtesten Wert seit dem Sommer 2004 gedrückt. Dass aber die Union daraus so gar keinen Honig saugen kann, sondern ihrerseits ebenfalls auf 37 Prozent (-2) zurückfällt, ist die eigentliche Überraschung.
Davon profitieren die drei kleinen Parteien, die alle miteinander zweistellig einlaufen. Die Linke bleibt konstant bei zwölf Prozent – im Osten liegt sie bei 30 Prozent und ist damit ganz eindeutig die stärkste Partei. Die Grünen legen auf 11 Prozent (+1) und die FDP auf 10 Prozent (+2) zu. Nebenbei bemerkt: Die beiden Volksparteien kommt zusammengenommen nur noch auf 63 Prozent. Bei einem solchen Wahlergebnis hätte die Große Koalition nicht einmal mehr eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit.
Kurt Beck im historischen Umfrage-Tief
Bei den Sozialdemokraten weitet sich der demoskopische Schaden für Kurt Beck aus. Die Zustimmung zu seiner politischen Arbeit ist erneut um acht Punkte gesunken, auf nur noch 24 Prozent – der bisher niedrigste Wert für Beck überhaupt. Im Januar, vor der Hessen-Wahl, lag er noch bei 43 Prozent. Besonders schmerzhaft für ihn dürfte sein, dass sich gerade die SPD-Wähler überproportional von ihm abwenden. Kurt Beck ist gegenwärtig ein Parteivorsitzender, dessen Wirken nicht einmal von der Hälfte der eigenen Anhänger (48 Prozent) positiv bewertet wird.
Merkel auch bei SPD-Wählern beliebt
Besonders deutliche Folgen hat das in der Kanzlerfrage. Angela Merkel bleibt bei den Wählern unangefochten die Nummer eins. Aber der Vorsprung auf Kurt Beck ist groß wie nie: Wenn man die Kanzlerin direkt wählen könnte, würden sich 66 Prozent für Merkel entscheiden (+4), nur noch 16 Prozent für Beck (-4). Vor allem würden sich die SPD-Wähler in nie dagewesener Deutlichkeit für sie entscheiden: 55 Prozent für Merkel, nur 29 Prozent für Beck.
Sowohl was die Wahlchancen als auch was die Unterstützung im eigenen Lager betrifft, wäre Außenminister Frank-Walter Steinmeier für die SPD im Moment die aussichtsreichere Wahl. Er würde Merkel "nur" mit 31 zu 55 Prozent unterliegen, hätte aber unter den SPD-Wählern eine deutliche Mehrheit.
Bayern ist die Achillesferse der Union
Nicht ganz so offensichtlich ist, warum auch die Union schwächelt. Seit Monaten registrieren wir, dass die Zufriedenheit der Unions-Wähler mit der Arbeit der Bundesregierung zurückgeht, von 69 Prozent zu Jahresbeginn auf nur noch 51 Prozent. Ob Renten-, Gesundheits- oder Arbeitsmarktpolitik – klare, unstrittige Entscheidungen der Regierung sind selten geworden. Nur der Kanzlerin gelingt es, sich aus dem Parteienstreit herauszuhalten und vom Trend ihrer Partei abzukoppeln. Sie ist mit 71 Prozent Zustimmung (+4) nun wieder klar die Nummer eins.
Die Achillesferse der Union liegt aber gegenwärtig in Bayern. Die Wähler beklagen nicht nur das unscharfe inhaltliche Profil der CSU, sondern bewerten auch die Arbeit der Doppelspitze Beckstein (33 Prozent Zustimmung) und Huber (22 Prozent) ziemlich mäßig. Auch wenn uns aktuelle Sonntagszahlen zur landespolitischen Stimmung aus Bayern nicht vorliegen, gibt es genug Indizien dafür, dass die Schwäche der Union hier mindestens eine ihrer Wurzeln hat.
Die Wähler fordern Sach- statt Machtpolitik
Die sehr verhaltene Zuneigung zu den beiden Volksparteien hat aber möglicherweise auch mit einem ganz anderen Punkt zu tun. In den Wochen seit der Hessen- und Hamburg-Wahl wird in Berlin vor allem über Machtoptionen und weniger über politische Inhalte diskutiert. Die SPD zerfleischt sich in der Frage eines Links-Bündnisses, und die Union flirtet ganz offen mit den Grünen. Jamaika und Ampel sind derzeit als Thema präsenter als die meisten Sachfragen.
Dass die Wähler darüber die Nase rümpfen, zeigt der ARD-Deutschlandtrend sehr deutlich. Sie zeigen wenig Zuneigung zur anhaltenden Debatte über mögliche Bündnisse nach der nächsten Bundestagswahl. 64 Prozent erklären, für ihre persönliche Wahlentscheidung 2009 seien politische Inhalte "sehr wichtig", nur 39 Prozent halten Koalitionsaussagen für "sehr wichtig". Vor die Alternative gestellt, womit sich die Parteien in erster Linie beschäftigen sollten, ist das Votum klar: 14 Prozent wünschen sich, dass sich die Parteien eher um Koalitionsfragen kümmern, 76 Prozent wünschen sich eher das Bemühen um ein klares politisches Profil.
Und daran mangelt es den Parteien in unterschiedlichem Ausmaß: Während 64 Prozent die Positionen der CDU für klar und eindeutig halten, sehen das bei der CSU nur 47 Prozent so. 58 Prozent wissen, für welche Inhalte die Grünen stehen, 54 Prozent verstehen den Kurs der SPD. Hier müssen die Parteien also noch nachsitzen!
Große Zustimmung für Merkels Auftritte im Ausland
Angela Merkel ereilen diese Zahlen nicht in den Niederungen des politischen Berlin, sondern im Rampenlicht des Nato-Gipfels in Bukarest – auf einer Bühne also, auf der sie nach Ansicht der großen Mehrheit die deutschen Interessen gut vertritt. Ihr ausdauernder Widerstand gegen ein Beitrittsangebot an die Ukraine und an Georgien war in Bukarest gleichermaßen politisch wie demoskopisch erfolgreich. 72 Prozent der Deutschen unterstützen sie in ihrer Position. Nur 18 Prozent wollen – wie übrigens auch der amerikanische Präsident George Bush – einen schnellen Beitritt der beiden Länder zum transatlantischen Bündnis.
Deutschland und die Welt
Spannend übrigens, dass die Deutschen ihre Nachbarn und Bündnispartner in der Welt derzeit durchweg positiver bewerten als im Frühjahr 2007. Ganz oben steht wie immer Frankreich. 90 Prozent (+4) halten das Land für "einen Partner, dem man vertrauen kann". Deutlich aufgeholt hat mit 86 Prozent (+17) Großbritannien, dessen Irak-Politik unter Tony Blair den Deutschen nicht geschmeckt hat. Die Briten haben ihre Präsenz im Irak deutlich reduziert. Deutlich freundlicher ist jetzt auch die Stimmung gegenüber den USA. 53 Prozent (+21) halten das Land für einen vertrauenswürdigen Partner. Das hat sicher viel damit zu tun, dass wir uns längst viel mehr mit Clinton und Obama beschäftigen als mit dem in Deutschland ungeliebten George Bush.
Auch im Verhältnis zu Polen hat der Regierungswechsel positive Spuren hinterlassen (49 Prozent, +14 im Vergleich zu April 2007). Russland schließlich halten nach der Rochade im Kreml 35 Prozent für einen Partner (+11), dem man Vertrauen kann. Ganz unten in der Liste steht mit 15 Prozent China (kein Vergleichswert). Umgekehrt ausgedrückt: 81 Prozent halten China nicht für vertrauenswürdig – kein Wunder nach den Schlagzeilen und Bildern der letzten Wochen.
Grundgesamtheit: Wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews
Fallzahl: 1000 Befragte (700 West / 300 Ost)
Sonntagsfrage: 1500 Befragte
Erhebungszeitraum: 31. März bis 1. April 2008
Sonntagsfrage: 31. März bis 2. April 2008
Fehlertoleranz: 1,4 bis 3,1 Prozentpunkte