Abgasskandal So steht's um die Dieselklagen
Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Diese Erfahrung machen viele Dieselfahrer, die Autohersteller wegen zu hohen Abgasausstoßes verklagt haben. Spielen die Konzerne auf Zeit? Ein Überblick.
Seit der Aufdeckung des Dieselskandals beim Volkswagenkonzern im Jahr 2015 sind Hunderttausende Dieselfahrer verunsichert: Haben Kunden Aussicht auf Schadenersatz? Das ist selbst nach mehr als vier Jahren in Prozessen nicht eindeutig klar geworden. Eine Vielzahl verschiedener Urteile und Einschätzungen einzelner Gerichte erschwert eine Chancenbewertung für die Kläger. Auch beim ersten Musterverfahren zeichnet sich noch kein Ergebnis ab.
Das Oberlandesgericht Braunschweig verhandelt seit September eine Musterfeststellungsklage
Sammelklagen
Am Braunschweiger Oberlandesgericht (OLG) werden 444.000 gebündelte Klagen mit dem neuen Instrument der Musterfeststellungsklage verhandelt. Der Vorsitzende Richter Michael Neef warb schon für einen Vergleich zwischen VW und dem Bundesverband der Verbraucherzentralen. Bisher lehnt der Konzern dies wegen mangelnder Vergleichbarkeit der Einzelfälle offiziell als "kaum vorstellbar" ab. Im kommenden Jahr geht das Verfahren weiter.
Einzelklagen
Neben der Musterfeststellungsklage laufen an Amts-, Landes- und Oberlandesgerichten im ganzen Land viele Einzelklagen gegen Volkswagen. Der Konzern meldet aktuell bundesweit rund 60.000 anhängige Klagen. Daneben gibt es mittlerweile 50.000 Urteile. Nach Firmenangaben fielen mehr als 210 Urteile auf OLG-Ebene "weit überwiegend" im Sinne von VW aus. In der Regel wurde den Kunden dann kein umfangreicher Schadenersatz oder neuer Wagen zugesprochen. Es gibt aber einige Fälle, in denen Richter Letzteres entschieden.
Kompromissbereit zeigt sich VW, wenn die Befassung einer hohen Gerichtsinstanz droht.
Volkswagen fürchtet Grundsatzentscheidungen
In manchen Prozessen zeigte sich das Unternehmen kompromissbereit, wenn die Befassung einer hohen Instanz drohte - man möchte keine Grundsatzentscheidungen, die zum Maßstab für andere werden könnten. Etliche solcher Fälle wurden per Vergleich abgeräumt. Einige schafften es dennoch weiter. Am 5. Mai befasst sich der Bundesgerichtshof erstmals mit einer Dieselklage. Ein Großteil der Rechtskosten von mehr als 30 Milliarden Euro, die VW verbucht oder mit Rücklagen abgesichert hat, fließt übrigens in internationale Verfahren, vor allem in den USA, Kanada und Australien.
Verfahren auch gegen andere Autokonzerne
Auch Daimler und BMW müssen sich juristisch mit Abgas-Betrug auseinandersetzen. 25 OLG-Verfahren fielen allesamt zugunsten der Stuttgarter aus. BMW hat nach eigenen Angaben auch noch kein Verfahren vor einem Oberlandesgericht verloren. Opel und Ford sowie die VW-Töchter Audi und Porsche machten keine Angaben zur Zahl der Klagen.
Die juristische Aufarbeitung des Dieseskandals dürfte noch Jahre dauern.
Problem der Verjährung
Umstritten bleibt in vielen Fällen, wie lange die Kläger überhaupt noch Schadenersatz-Ansprüche geltend machen können. Verbraucherschützer werfen VW vor, Verfahren in die Länge zu ziehen, um den Restwert der oft schon alten Fahrzeuge zu drücken. Juristisch dürfte die Aufarbeitung des Abgasskandals die Gerichte noch auf Jahre beschäftigen. Weitere Rückruf-Bescheide, etwa an Daimler, VW oder Audi legen nahe, dass das Kraftfahrt-Bundesamt inzwischen genauer hinschaut.