Ersatzfreiheitsstrafe Staat zahlt Millionen für Schwarzfahrer im Knast
Haft für Bagatelldelikte wie Schwarzfahren - das gibt es häufiger, als man denkt. Denn wer eine Geldstrafe nicht bezahlen kann, muss oft eine "Ersatzfreiheitsstrafe" absitzen. Das kostet den Staat laut Monitor-Recherchen mehr als 200 Millionen Euro pro Jahr.
Wer Geldstrafen nicht bezahlen kann, landet hierzulande schnell im Gefängnis - Tür an Tür mit Kriminellen und Schwerkriminellen. Experten halten das für unverhältnismäßig und schädlich. Für die Gesellschaft ist diese Bestrafung zudem extrem teuer. Nach Berechnungen des ARD-Magazins Monitor kosten vollstreckte Ersatzfreiheitsstrafen den Steuerzahler einen dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr.
Acht Monate Haft für Schwarzfahren
Dass er mal im Gefängnis landen könnte, hat Markus Hallberg (Name geändert) bis zuletzt nicht gedacht. Doch nun muss er acht Monate in einem Dortmunder Gefängnis absitzen. Und das nur, weil er schwarz gefahren ist. Hallberg verbüßt eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe.
Immer wieder war er ohne Fahrschein unterwegs - und immer wieder wurde er erwischt. "Ich war total abgestumpft. Wenn ich kontrolliert wurde, habe ich nur meinen Ausweis hingehalten und gesagt, ich habe kein Ticket", erzählt der 27-Jährige. Irgendwann gab es zwei heftige Geldstrafen: Insgesamt 260 Tagessätze à 10 Euro. Geld, das er als Hartz-IV-Empfänger nicht bezahlen konnte.
Für solche Fälle sieht das deutsche Recht eine klare Folge vor: "An die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt Freiheitsstrafe." Theoretisch hätte Hallberg die noch abwenden können, wenn er sich um eine gemeinnützige Arbeit gekümmert hätte. Aber das hat er nicht geschafft: Er war alkoholabhängig und in Behandlung in einer psychiatrischen Klinik.
Geld oder Knast - diese Alternative sieht der Gesetzgeber vor.
Wer nicht zahlt, sitzt ein
"Ein typischer Fall", sagt Nicole Bögelein vom Institut für Kriminologie an der Universität Köln. Wer von Ersatzfreiheitsstrafen bedroht sei, habe meist verschiedene Schwierigkeiten wie Suchtkrankheiten und psychische Probleme. "Betroffen sind ausschließlich Personen, die nicht zahlen können. Und denen begegnen wir mit Strafe, anstatt verstärkt zu helfen", so Bögelein, die seit Jahren zu Ersatzfreiheitsstrafen forscht.
Bögelein und andere Experten fordern eine Ausweitung der Hilfsangebote und einen Verzicht auf Ersatzfreiheitsstrafen. Eine Abschaffung lehnt aber sowohl die Bundesregierung wie auch die Mehrheit der Bundesländer ab: "Die Ersatzfreiheitsstrafe stellt ein unerlässliches Mittel zur Durchsetzung der Geldstrafe dar", argumentiert das Bundesjustizministerium. Dabei gibt es auch in der Politik kaum Zweifel daran, dass die Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen gesenkt werden sollte. Schon um Polizei und Justiz zu entlasten.
Manche Betroffene von Ersatzfreiheitsstrafen sind obdachlos, die allermeisten arm.
Jährliche Kosten von 200 Millionen Euro
Viele Gefängnisse sind am Limit, dazu gibt es zu wenig Personal. Die Belegung der deutschen Gefängnisse wird nur an drei Stichtagen im Jahr untersucht, genauere Daten gibt es nicht. Doch danach ist die Zahl der vollzogenen Ersatzfreiheitsstrafen in den vergangenen zehn Jahren um 25 Prozent gestiegen.
Aus einer Umfrage unter den Bundesländern und einer Auswertung der offiziellen Statistik hat Monitor errechnet, dass sich die Kosten dafür pro Jahr auf über 200 Millionen Euro summieren. Der Berliner Kriminologe Heinz Cornel hält das noch für eine zurückhaltende Berechnung. "Es ist skandalös, eine solche Summe zu verwenden, um Menschen aufgrund von Armut und einem Mangel an sozialen Kompetenzen wegen kleinerer Delikte wegzusperren", sagt Cornel.
Selbst der Leiter der JVA Dortmund, Ralf Bothge, hält es für sinnlos, diese Menschen einzusperren: "Ich glaube, dass ein Mensch wie Herr Hallberg in Haft nichts zu suchen hat." Trotzdem sitzen 60 der 400 Häftlinge in Bothges Gefängnis eine Ersatzfreiheitsstrafe ab. "Ohne die hätten wir eine Normalbelegung, vielleicht sogar ein wenig darunter. Das würden wir alle begrüßen", so der Anstaltsleiter.
Mittlerweile werden in Deutschland zehn Prozent der regulären Haftplätze durch Ersatzfreiheitsstrafen belegt.
Arbeit statt Strafe
Dass es anders geht, zeigt zum Beispiel das Projekt "Arbeit statt Strafe" von der Freien Hilfe Berlin e.V. Menschen, denen eine Ersatzfreiheitsstrafe droht, können hier eine gemeinnützige Arbeit aufnehmen, um der Haft zu entgehen. "Diese Menschen sind stark hilfebedürftig", sagt die Projektleiterin Ruth Warkentin. "Das fängt schon dabei an, einen entsprechenden Antrag bei der Staatsanwaltschaft zu stellen."
In dem Projekt bekommen sie schon Hilfe im schriftlichen Verfahren und werden auch danach eng betreut und beaufsichtigt, damit sie die Zeit des Arbeitseinsatzes auch durchhalten. Die Erfolgsquote sei hoch: "90 Prozent der Menschen, die wir beraten und unterstützen, schaffen es, die drohende Ersatzfreiheitstrafe abzuwenden." Doch von solchen Hilfsangeboten gebe es viel zu wenig, kritisiert Kriminologe Cornel. Dabei würde das weniger kosten als Ersatzfreiheitsstrafen, schätzt der Experte. "Und im Unterschied dazu wäre das für die Gesellschaft auch noch sinnvoll."