Fragen und Antworten So funktioniert das NPD-Verfahren
Beim vom Bundesrat angestrebten Verbot der NPD schwingt immer die Erinnerung an das gescheiterte Verfahren 2003 mit. Was hat sich seitdem geändert? Wie läuft das Verfahren ab? Und wie stehen die Chancen?
Von Frank Bräutigam, SWR Rechtsredaktion
Wer hat den Verbotsantrag gestellt?
Der Bundesrat als Vertretung der Länder hat dieses Mal den Verbotsantrag alleine gestellt. Antragsbefugt sind laut Gesetz Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. 2001 waren alle drei Organe nach Karlsruhe gegangen, was auch als politisches Signal der Einigkeit verstanden werden sollte. Beim erneuten Anlauf 2013 haben Bundestag und Bundesregierung auf einen eigenen Antrag verzichtet. In ihrer Antragsschrift betonen die Länder, dass sie für die Antragsstellung wegen ihrer Nähe zu lokalen und regionalen Problemen besonders gut geeignet seien. Rechtlich macht es keinen Unterschied, wie viele Antragssteller es gibt.
Wer entscheidet über das Parteiverbot?
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist die einzige Institution, die eine Partei verbieten darf. Zuständig sind die acht Richterinnen und Richter des Zweiten Senats, unter Vorsitz von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. "Berichterstatter" ist Verfassungsrichter Peter Müller. Der Berichterstatter arbeitet für den Senat die Rechtslage auf und bereitet das Urteil vor. Er hat aber, wie der Präsident, bei der der Entscheidung nur eine Stimme im Senat.
Was sind die inhaltlichen Voraussetzungen für ein Parteiverbot?
Den Maßstab setzt Art. 21 Absatz 2 Grundgesetz: "Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig." Was das genau heißt, dazu später. Eine wichtige "Vorstufe" für die Prüfung lautet: Basierte das Beweismaterial gegen die NPD auf Informationen von staatlichen "V-Leuten" in der Führungsebene der Partei, also NPD-Mitgliedern, die gleichzeitig als Informanten für die staatlichen Sicherheitsbehörden arbeiten? An diesem Punkt ist das Verfahren im ersten Anlauf gescheitert.
Warum ist das NPD-Verbotsverfahren 2003 genau gescheitert?
Erst im laufenden Gerichtsverfahren hatten die Sicherheitsbehörden damals dem Gericht mitgeteilt, dass wichtige Belastungszeugen gleichzeitig staatliche V-Leute seien. Das hatte für große Verstimmung im Gericht gesorgt. Drei der acht Richter sahen nun folgendes rechtliches Problem: Man könne nicht genau feststellen, welche Äußerungen wirklich der NPD zuzurechnen seien, und welche dem Staat. Denn die V-Leute werden ja vom Staat bezahlt. Daher sei ein rechtsstaatliches Verfahren nicht mehr gewährleistet. Das Verfahren wurde eingestellt, ohne dass überhaupt inhaltlich geprüft wurde, ob die NPD verfassungswidrig ist.
Wie wollte der Bundesrat die Probleme im "zweiten Anlauf" zunächst vermeiden?
Der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und die Innenminister der Länder sicherten in der Antragsschrift aus dem Jahr 2013 in sogenannten "Testaten" ausdrücklich zu, dass die vorgelegten Beweismittel "quellenfrei" sind, also die Äußerungen nicht von Personen stammen, die als V-Leute für staatliche Behörden gearbeitet hatten. Außerdem versicherten die Minister, dass spätestens seit Anfang Dezember 2012 alle V-Leute in den Führungsebenen der Partei abgeschaltet worden seien.
Haben dem Bundesverfassungsgericht diese Zusicherungen gereicht?
Offenbar nicht. In einem so genannten "Hinweisbeschluss" vom 19. März 2015 hat es den Bundesrat aufgefordert, zum Thema der V-Leute Informationen nachzuliefern. Unter anderem forderten sie mehr Belege dafür,
- dass die "Abschaltung" wirklich vollzogen wurde.
- dass keine sog. "Nachsorge" stattfindet, also der Kontakt nach der "Abschaltung" wirklich abgebrochen wurde.
- dass die Nachrichtendienste keine Erkenntnisse zur Prozessstrategie der NPD mehr sammeln, vor allem auch keine Erkenntnisse über den Prozessvertreter der NPD in Karlsruhe, Rechtsanwalt Peter Richter.
Außerdem solle man dazu Stellung nehmen, ob das Parteiprogramm der NPD "quellenfrei" ist, so das Gericht.
Was steht in der "Nachlieferung" des Bundesrates zur Abschaltung?
Die "Nachlieferung" besteht aus einem Schriftsatz von 31 Seiten, der der ARD-Rechtsredaktion vorliegt. Hinzu kommen mehrere Ordner mit Anlagen. Im Schriftsatz ist von insgesamt elf ehemaligen V-Leuten auf Bundes- und Landesebene der NPD die Rede. Die Länder geben - nach Ansicht des Bundesrates "in beispielloser Weise" - tiefe Einblicke, wie genau die "Abschaltung" der V-Leute abgelaufen ist. In der Regel seien bei einem Treffen die Gründe genannt, eine "Abschalterklärung" unterzeichnet und eine "Abschaltprämie" ausgezahlt oder versprochen worden.
Trotz geschwärzter Namen sieht der Bundesrat "Enttarnungsrisiken". Die Klarnamen der V-Leute werden nicht genannt, mit Hinweis auf eine Gefahr für Leib und Leben. Sollte das Gericht hier Akteneinsicht wünschen, bieten die Prozessbevollmächtigen ein so genannten "in-camera-Verfahren" an, bei dem nur die Richter Einblick in gewisse Akten erhalten würden. Ob dies im aktuellen Verfahren aber rechtlich möglich ist, ist noch unklar.
Was steht zu den übrigen Punkten in der "Nachlieferung"?
Außerdem versucht der Schriftsatz ausführlich zu belegen, dass die Nachrichtendienste grundsätzlich keine Erkenntnisse über die Prozessstrategie der NPD und zu ihrem Prozessvertreter sammeln. Bei einigen speziell genannten Telefonüberwachungen wird darauf hingewiesen, warum sie sich nicht auf die Prozessstrategie bezogen, beziehungsweise warum sie nicht verwertet wurden. Schließlich zeichnet der Schriftsatz nach, wie das aktuelle Parteiprogramm entstand - und dass aus Sicht des Bundesrates keine Beeinflussung durch Quellen vorliegt.
Wird die Nachlieferung dem Bundesverfassungsgericht genügen?
Das hängt davon ab, wie streng der Maßstab des Bundesverfassungsgerichts in diesem Punkt sein wird. Wenn es eine absolute Quellenfreiheit fordert, besteht immer die Gefahr, dass man an einem der vielen Risiken scheitert. Ebenso könnte das Gericht die tiefen Einblicke in die internen Abläufe und eine damit möglicherweise gezeigte weitgehende Staatsfreiheit der Belege gelten lassen. Eine genaue Prognose dazu ist derzeit nicht möglich.
Wie argumentiert die NPD im bisherigen Verfahren?
Die NPD beruft sich bislang vor allem darauf, dass unter anderem wegen der V-Mann-Problematik ein rechtsstaatliches Verfahren nicht möglich sei. Zu den inhaltlichen Argumenten der Antragssteller über die Verfassungswidrigkeit der Partei scheint sie sich bislang noch nicht geäußert zu haben.
Wenn dem BVerfG die Nachlieferung in Sachen "V-Leute" reicht, wird die Partei dann automatisch verboten?
Nein. Das Thema "V-Leute" ist nur eine Art Vorfrage, wenngleich eine wichtige. Sollte das Gericht diese Hürde nehmen, beginnt Stufe zwei der Prüfung: die inhaltliche Frage, ob die NPD nach Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz verfassungswidrig ist oder nicht. Dafür müsste sie das Ziel verfolgen, die "freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen".
Was heißt "freiheitliche demokratischen Grundordnung" genau?
Zur "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" zählen zum Beispiel: die Achtung der Menschenrechte des Grundgesetzes, Volkssouveränität, Rechtsstaat, Gewaltenteilung. Hier müssen die Antragssteller konkrete Beweise liefern, warum die NPD oder ihre Anhänger diese Grundsätze beeinträchtigen, zum Beispiel durch rassistische Äußerungen oder Forderungen nach Abschaffung der Demokratie. In den alten Urteilen hatte das Gericht aber noch eine zusätzliche Voraussetzung genannt. Die Partei müsse eine "kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung" einnehmen. Hieran knüpfen die Gegner des neuen Verbotsantrags ihre Zweifel, weil sie fürchten, dass die Zusatzvoraussetzung nicht gegeben ist, beziehungsweise dass man sie nicht beweisen kann.
Was sind die wichtigsten inhaltlichen Argumente des Verbotsantrages?
Die Antragsschrift orientiert sich an den bislang bekannten Maßstäben, und versucht auf 268 Seiten mit 15 Anlagen und mehr als 300 Belegen zu beweisen, dass die NPD darauf aus ist, die freiheitliche demokratische Ordnung mit der nötigen kämpferischen aggressiven Haltung zu beseitigen. Zentraler Punkt ist der Versuch, der NPD eine "Wesensverwandtschaft" mit der NSDAP nachzuweisen, vor allem bei der rassistischen Ideologie. Hinzu kommen zahlreiche Äußerungen von führenden Parteimitgliedern, mit dem Ziel, die geltende demokratische Grundordnung und damit "das System" zu überwinden.
Dass dies nicht nur bloße Parolen sind, soll zum Beispiel eine Statistik von Straftaten der Führungsriege der NPD belegen. Ein Viertel der Vorstandsmitglieder in Bund und Land sei rechtskräftig verurteilt wegen Delikten, die in Zusammenhang mit der Parteiarbeit stehen, zum Beispiel "Volksverhetzung". Schließlich möchte der Antrag durch ein spezielles Gutachten nachweisen, dass die NPD im Sinne einer "Graswurzelrevolution" in bestimmten Regionen soziale Strukturen, etwa Vereine unterwandere, um sich so eine gute Basis vor Ort zu verschaffen. Zum Teil sei sogar zur Schaffung von "Bürgerwehren" aufgerufen worden.
Reichen den Richtern die vorgelegten Beweise nach jetzigem Stand?
Das ist nicht sicher. Jedenfalls gibt es ein zweites spannendes Dokument aus dem Gericht, ein so genanntes "Berichterstatter-Schreiben" vom federführenden Richter Peter Müller. Darin wird dem Bundesrat Gelegenheit gegeben, den Sachvortrag zu ergänzen, also zusätzliche Belege für die konkrete Gefährlichkeit der NPD vorzulegen; etwa Beispiele dafür, dass sie in gewissen Regionen ein Klima der Angst schaffe. Sichere Schlüsse auf den Ausgang kann man aber auch aus diesem Schreiben nicht ziehen. Die Länder haben jedenfalls angekündigt, bis Ende Juni 2015 weitere Beweise für diesen Punkt vorzubringen.
Kann man eine Prognose zur Verfassungswidrigkeit der NPD anstellen?
Eine sichere Prognose ist zum jetzigen Zeitpunkt seriös nicht möglich. Das hat ganz bestimmte Gründe. Die beiden bisherigen Parteiverbote liegen weit zurück, wurden in den fünfziger Jahren ausgesprochen. Niemand weiß bislang, wie die heutigen Richter die eben beschriebenen Maßstäbe des Grundgesetzes aus aktueller Sicht auslegen, also wie hoch das Gericht die Hürden für die heutige Zeit hängt. Ein Beispiel: Dass die NPD unmittelbar davor ist, einen Umsturz in Deutschland herbeizuführen, wird niemand behaupten. Bei den letzten Wahlen bekam sie rund ein Prozent der Stimmen, außerdem hat sie mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Aber vielleicht reicht auch die Schaffung eines "Klimas der Angst" und Einschüchterung in einem Land mit vielen Migranten? Hat ein Parteiverbot "präventiven“ Charakter"? Oder muss von der Partei wirklich eine konkrete Gefahr ausgehen? Das sind zentrale Fragen. Wie das Gericht Artikel 21 GG im 21. Jahrhundert verankert, kann man noch nicht voraussagen.
Gab es schon einmal Parteiverbote in der BRD?
Ja, zwei Mal, das ist aber schon lange her. 1952 verbot das Bundesverfassungsgericht die "Sozialistische Reichspartei" (SRP), eine Nachfolgeorganisation der NSDAP. 1956 wurde die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) verboten.
Warum sind die Hürden für ein Parteiverbot im Grundgesetz so hoch?
Den Vätern und Müttern des Grundgesetzes war die Neutralität des Staates gegenüber den Parteien sehr wichtig. Bei niedrigen Hürden für ein Parteiverbot sah man die Gefahr, dass die Vertreter der Mehrheiten sich zu leicht unliebsamer Gegner entledigen könnten. Durch die alleinige Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts und die hohen inhaltlichen Hürden bewirkt Artikel 21 Grundgesetz einen hohen Schutz der Parteien. Solange Karlsruhe sie nicht verboten hat, stehen jeder Partei dieselben Rechte zu.
Welche Rolle spielt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im neuen Verbotsverfahren?
Die NPD könnte im Falle eines Verbotes beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg klagen. Der hat unter anderem 2003 in einem Verfahren gegen eine türkische Partei Kriterien für ein Parteiverbot aufgestellt, die viele Experten für strenger als die des Grundgesetzes halten. Die Partei, so Straßburg, müsse das reale Potenzial haben, die Macht zu ergreifen. Das ist bei der NPD sicher nicht der Fall. Andererseits nennt das Gericht auch eine "dringende gesellschaftliche Notwendigkeit" als Voraussetzung für ein Verbot. Hierunter könnte man auch die Einschüchterung gegenüber Migranten fassen, ein Klima der Angst, das gestoppt werden soll. Wichtig: Aus den bisherigen Straßburger Urteilen lässt sich nicht zwingend darauf schließen, dass ein NPD-Verbot dort auf jeden Fall gekippt würde. Das Gericht berücksichtigt in letzter Zeit immer wieder die Besonderheiten des betroffenen Staates. Hier könnte es zum Beispiel die spezielle NS-Vergangenheit Deutschlands sein. Gut möglich ist aber, dass Karlsruhe bereits inhaltliche Kriterien aus Straßburg in seine Prüfung mit einbezieht.
Bei einem Verbot durch das BVerfG könnte sich die NPD an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden.
Wie geht das Verfahren in Karlsruhe nun weiter?
Derzeit sind wir noch im so genannten "Vorverfahren". Das heißt, der Senat prüft alles nach Aktenlage. Die unterschiedlichen "Nachforderungen" lassen darauf schließen, dass das Gericht möglichst früh alle relevanten Fakten als Entscheidungsgrundlage auf dem Tisch haben möchte. Das Vorverfahren wird mit einem schriftlichen Beschluss enden. Nach jetzigem Stand erscheint es möglich, dass dieser Beschluss Anfang Herbst getroffen wird. Entweder das Gericht ist sich schon hier sicher, der Verbotsantrag ist nicht zulässig oder nicht hinreichend begründet. Dann würde er zurückgewiesen. Oder das Gerichtet ordnet eine mündliche Verhandlung an. Dann würde im Karlsruher Gerichtssaal über alle wichtigen Fragen verhandelt und einige Monate später ein Urteil verkündet. Falls es eine Verhandlung gibt, könnte es bis zum Urteil ab jetzt noch rund ein Jahr dauern. Das Gericht verfolgt das Ziel, das Verfahren bis zum Ausscheiden des Richters Herbert Landau im April 2016 abzuschließen. Ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin dürfte nicht an der Entscheidung mitwirken, was Auswirkungen auf die erforderlichen Mehrheiten hätte.
Welche Mehrheiten im Gericht sind erforderlich für ein Parteiverbot?
Es gibt hier eine hohe formale Hürde, denn im Senat ist eine Zweidrittelmehrheit für ein Verbot nötig. Das bedeutet umgerechnet, dass sechs Richterinnen und Richter für ein Verbot stimmen müssten. Umgekehrt können drei Richter ein Verbot verhindern, eine Art "Sperrminorität" bilden. So war es 2003, als sich drei von acht Richtern für die Einstellung des Verbotsverfahrens ausgesprochen hatten.