Fragen und Antworten zum Verfahren So funktioniert das NPD-Verfahren
Beim vom Bundesrat angestrebten Verbot der NPD schwingt immer die Erinnerung an das gescheiterte Verfahren vor zehn Jahren mit. Was hat sich seitdem geändert? Und wie läuft das Verfahren ab?
Von Frank Bräutigam, SWR Rechtsredaktion
Wer stellt den Verbotsantrag?
Der Bundesrat als Vertretung der Länder stellt dieses Mal allein den Verbotsantrag. Antragsbefugt sind laut Gesetz Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. 2001 waren alle drei Organe nach Karlsruhe gegangen, was auch als politisches Signal der Einigkeit verstanden werden sollte. Beim erneuten Anlauf 2013 haben Bundestag und Bundesregierung auf einen eigenen Antrag verzichtet.
In ihrer Antragsschrift betonen die Länder, dass sie für die Antragsstellung wegen ihrer Nähe zu lokalen und regionalen Problemen besonders gut geeignet seien. Rechtlich macht es keinen Unterschied, wie viele Antragssteller es gibt.
Wer entscheidet über das Parteiverbot?
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist die einzige Institution, die eine Partei verbieten darf. Zuständig sind die acht Richterinnen und Richter des Zweiten Senats, unter Vorsitz von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. "Berichterstatter" wäre Verfassungsrichter Michael Gerhardt. Der Berichterstatter arbeitet für den Senat die Rechtslage auf und bereitet das Urteil vor. Er hat aber wie der Präsident bei der der Entscheidung nur eine Stimme im Senat.
Was sind die inhaltlichen Voraussetzungen für ein Parteiverbot?
Den Maßstab setzt Art. 21 Absatz 2 Grundgesetz: "Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig."
Was heißt das genau?
Zur "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" zählen zum Beispiel: die Achtung der Menschenrechte des Grundgesetzes, Volkssouveränität, Rechtsstaat, Gewaltenteilung. Hier müssen die Antragssteller konkrete Beweise liefern, warum die NPD oder ihre Anhänger diese Grundsätze beeinträchtigen, zum Beispiel durch rassistische Äußerungen oder Forderungen nach Abschaffung der Demokratie.
In den alten Urteilen hat das Gericht aber noch eine zusätzliche Voraussetzung genannt: Die Partei müsse eine "kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung" einnehmen. Hieran knüpfen die Gegner eines neuen Verbotsantrags ihre Zweifel, weil sie fürchten, dass die Zusatzvoraussetzung nicht gegeben ist bzw. man sie nicht beweisen kann.
Kann man prognostizieren, wie das Verfahren ausgeht?
Eine sichere Prognose ist zum jetzigen Zeitpunkt seriös nicht möglich. Das hat ganz bestimmte Gründe. Die beiden bisherigen Parteiverbote liegen weit zurück, wurden in den 1950er-Jahren ausgesprochen. Niemand weiß, wie die heutigen Richter die eben beschriebenen Maßstäbe des Grundgesetzes aus aktueller Sicht auslegen, also wie hoch das Gericht die Hürden für die heutige Zeit hängt.
Ein Beispiel: Dass die NPD unmittelbar davor ist, einen Umsturz in Deutschland herbeizuführen, wird niemand behaupten. Bei den letzten Wahlen bekam sie rund ein Prozent der Stimmen, außerdem hat sie mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Aber vielleicht reicht auch die Schaffung eines Klimas der Angst und Einschüchterung in einem Land mit vielen Migranten? Hat ein Parteiverbot "präventiven" Charakter? Oder muss von der Partei wirklich eine konkrete Gefahr ausgehen? Das sind zentrale Fragen. Wie das Gericht Artikel 21 GG im 21. Jahrhundert verankert, kann man nicht voraussagen.
Was sind die wichtigsten Argumente in der Antragsschrift?
Die Antragsschrift orientiert sich an den bislang bekannten Maßstäben, und versucht auf 268 Seiten mit 15 Anlagen und mehr als 300 Belegen zu beweisen, dass die NPD darauf aus ist, die freiheitlich demokratische Ordnung mit der nötigen kämpferischen aggressiven Haltung zu beseitigen.
Zentraler Punkt ist der Versuch, der NPD eine "Wesensverwandtschaft" mit der NSDAP Hitlers nachzuweisen, vor allem bei der rassistischen Ideologie. Hinzu kommen zahlreiche Äußerungen von führenden Parteimitgliedern mit dem Ziel, die geltende demokratische Grundordnung und damit "das System" zu überwinden. Dass dies nicht nur bloße Parolen sind, soll zum Beispiel eine Statistik von Straftaten der Führungsriege der NPD belegen. Ein Viertel der Vorstandsmitglieder in Bund und Land sei rechtskräftig verurteilt wegen Delikten, die in Zusammenhang mit der Parteiarbeit stehen, zum Beispiel "Volksverhetzung".
Schließlich möchte der Antrag durch ein spezielles Gutachten nachweisen, dass die NPD im Sinne einer "Graswurzelrevolution" in bestimmten Regionen soziale Strukturen, etwa Vereine, unterwandere, um sich so eine gute Basis vor Ort zu verschaffen. Zum Teil sei sogar zur Schaffung von "Bürgerwehren" aufgerufen worden.
Spielt der Komplex "NSU" eine Rolle?
Das Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) hat die Debatte über ein NPD-Verbot Ende 2011 wieder ins Rollen gebracht. Einzelne Verbindungen zwischen NPD-Mitgliedern und dem NSU sind vorhanden. Zum Beispiel soll der ehemalige NPD-Vize von Thüringen, Ralf Wohlleben, dem Trio die Tatwaffe Ceska für ihre Mordserie verschafft haben. Er ist in München wegen "Beihilfe zum Mord" angeklagt.
Im Verbotsantrag findet sich zudem der Text eines NPD-Landtagskandidaten, der die Morde an neun ausländischen Mitbürgern in die Nähe eines berechtigten "Tyrannenmordes" rückt. Allerdings hat Generalbundesanwalt Harald Range betont, aus Sicht der Ermittler sei der NSU nicht der militante Arm der NPD gewesen. Die einzelnen Fälle können also wichtige Beweismittel sein, dürften aber keineswegs allein als Grundlage für ein Verbot reichen.
Gab es schon einmal Parteiverbote in der BRD?
Ja, zweimal, das ist aber schon lange her. 1952 verbot das Bundesverfassungsgericht die "Sozialistische Reichspartei" (SRP), eine Nachfolgeorganisation der NSDAP. 1956 wurde die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) verboten.
Warum sind die Hürden für ein Parteiverbot im Grundgesetz so hoch?
Den Vätern und Müttern des Grundgesetzes war die Neutralität des Staates gegenüber den Parteien sehr wichtig. Bei niedrigen Hürden für ein Parteiverbot sah man die Gefahr, dass die Vertreter der Mehrheiten sich zu leicht unliebsamer Gegner entledigen könnten. Durch die alleinige Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts und die hohen inhaltlichen Hürden bewirkt Artikel 21 Grundgesetz einen hohen Schutz der Parteien. Solange Karlsruhe sie nicht verboten hat, stehen jeder Partei dieselben Rechte zu.
Wie läuft das Verfahren nun ab?
Der Senat prüft den Antrag zunächst nach Aktenlage. Ist an der Sache aus Sicht des Gerichts gar nichts dran, kann es das Verfahren schon in diesem Stadium beenden. Wenn der Antrag zulässig ist, und die Richter zumindest Aussicht auf Erfolg sehen, setzt das Gericht eine mündliche Verhandlung an. Einige Zeit später würde dann das Urteil verkündet.
Welche Mehrheiten im Gericht sind erforderlich für ein Verbot?
Es gibt hier eine hohe formale Hürde, denn im Senat ist eine Zweidrittelmehrheit für ein Verbot nötig. Das bedeutet umgerechnet, dass sechs Richterinnen und Richter für ein Verbot stimmen müssten. Umgekehrt können drei Richter ein Verbot verhindern, eine Art "Sperrminorität" bilden. So war es 2003, als sich drei von acht Richtern für die Einstellung des Verbotsverfahrens aussprachen.
Warum ist das NPD-Verbotsverfahren 2003 gescheitert?
Das Problem waren die V-Leute, also Mitglieder oder Sympathisanten der NPD, die den Verfassungsschutzbehörden Informationen lieferten. Erst im laufenden Verfahren hatten die Behörden dem Gericht mitgeteilt, dass wichtige Belastungszeugen gleichzeitig V-Leute seien. Das hatte für große Verstimmung im Gericht gesorgt.
Drei der acht Richter sahen nun folgendes Problem: Man könne nicht genau feststellen, welche Äußerungen wirklich der NPD zuzurechnen seien, und welche dem Staat. Denn die V-Leute werden vom Staat bezahlt. Das sei ein unüberwindbares Verfahrenshindernis. Das Verfahren wurde eingestellt, ohne dass überhaupt inhaltlich geprüft wurde, ob die NPD verfassungswidrig ist.
Wie will der Bundesrat die Probleme vom ersten Versuch vermeiden?
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und die Innenminister der Länder sichern in sogenannten "Testaten" ausdrücklich zu, dass die vorgelegten Beweismittel "quellenfrei" sind, also die Äußerungen nicht von Personen stammen, die als V-Leute für staatliche Behörden gearbeitet haben. Außerdem versichern die Minister, dass spätestens seit Anfang Dezember 2012 alle V-Leute in den Führungsebenen der Partei abgeschaltet seien. Einerseits sind diese Testate eine zentrale Voraussetzung dafür, nicht erneut aus denselben Gründen zu scheitern. Andererseits bergen solche Zusicherungen auch Risiken, sollte sich herausstellen, dass Zweifel an ihnen bestehen.
Welche Rolle spielt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im neuen Verbotsverfahren?
Die NPD könnte im Falle eines Verbots beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg klagen. Der stellte unter anderem 2003 in einem Verfahren gegen eine türkische Partei Kriterien für ein Parteiverbot auf, die viele Experten für strenger als die des Grundgesetzes halten. Die Partei, so Straßburg, müsse das reale Potenzial haben, die Macht zu ergreifen. Das ist bei der NPD sicher nicht der Fall.
Bei einem Verbot durch das BVerfG könnte sich die NPD an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden.
Andererseits nennt das Gericht auch eine "dringende gesellschaftliche Notwendigkeit" als Voraussetzung für ein Verbot. Hierunter könnte man auch die Einschüchterung gegenüber Migranten fassen; ein Klima der Angst, das gestoppt werden soll.
Wichtig: aus den bisherigen Straßburger Urteilen lässt sich nicht zwingend darauf schließen, dass ein NPD-Verbot dort auf jeden Fall gekippt würde. Das Gericht berücksichtigt in letzter Zeit immer wieder die Besonderheiten des betroffenen Staates. Hier könnte es zum Beispiel die spezielle NS-Vergangenheit Deutschlands sein. Gut möglich ist auch, dass Karlsruhe bereits inhaltliche Kriterien aus Straßburg in seine Prüfung mit einbezieht. Es könnte also sein, dass ein Verbot in Karlsruhe schwieriger durchzusetzen ist, als dieses später von Straßburg bestätigt zu bekommen.
Wie lange kann das Verbotsverfahren dauern?
Die Prüfung nach Aktenlage dürfte einige Monate dauern. Falls eine mündliche Verhandlung anberaumt wird, dauert es auch bis dahin wieder mehrere Monate. Anschließend bräuchte der Senat Zeit fürs Verfassen des Urteils. Bei aller Vorsicht könnte das Verfahren in Karlsruhe also ein bis zwei Jahre dauern. Bei einem Verbot müsste man mindestens dieselbe Zeit für eine Klage in Straßburg einrechnen.