Gewinne und Suchtgefahr Das Glücksspiel und die Politik
Lotterien, Wetten, Kasinos - Glücksspiel liegt in Deutschland in staatlicher Hand. Heute einigten sich die Ministerpräsidenten auf einen neuen Staatsvertrag. tagesschau.de beantwortet Fragen zu der Gratwanderung zwischen staatlichem Schutzauftrag und staatlichen Glücksspielerlösen.
Was steht im Glücksspielstaatsvertrag?
Der Glückspielstaatsvertrag beinhaltet eines der letzten staatlichen Monopole in Deutschland. Mit Ausnahme von Pferdewetten dürfen Glücksspiele nur von den 16 staatlichen Lotteriegesellschaften angeboten werden. Inbegriffen sind Kasinos und der staatliche Sportwetten-Anbieter Oddset. Der Vertrag existiert seit 2008. Künftig sollen, nach dem Willen der meisten Länder, auch sieben private Sportwettenanbieter eine auf fünf Jahre begrenzte Lizenz erhalten. Anfang Juni wollen die Ministerpräsidenten den neuen Vertrag unterzeichnen.
Wer ist zuständig und wer verdient daran?
Die Bundesländer sind für die Spiele und Wetten verantwortlich und nehmen das Geld ein, im Jahr 2010 waren es etwa 3,3 Milliarden Euro. Sie alle haben den Glücksspielstaatsvertrag unterzeichnet. Die lizenzierten Wettanbieter sollen nun 16,67 Prozent des Wetteinsatzes ihrer Kunden als Steuern abführen.
Sind sich die Länder einig?
Nein, Schleswig-Holstein geht einen Sonderweg. Das nördlichste Bundesland möchte den Sportwettenmarkt stärker liberalisieren und niedrigere Steuern auf Wetteinsätze erheben. Experten fürchten, dass Wettanbieter sich dann gezielt im Norden eine Lizenz zu besseren Konditionen besorgen und die Regelungen der übrigen 15 Länder unterlaufen. Schleswig-Holstein argumentiert, dass die sieben privaten Konzessionen unweigerlich Klagen abgewiesener Bewerber zur Folge hätten.
Warum hat der Staat ein Monopol auf Glücksspiel?
Begründet wird das Monopol vor allem mit der staatlichen Verantwortung für die Bekämpfung der Wett- und Glücksspielsucht.
Welche Kritik hat der Europäische Gerichtshof an dem Monopol?
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem Urteil vom 8. September 2010 die deutschen Glücksspiel-Regelungen für unzulässig erklärt. Die Suchtgefahr werde nicht bei allen Spielarten "in kohärenter und systematischer Weise" bekämpft, hieß es in der Begründung. Doch nur bei einem solchen Umgang sei ein staatliches Monopol mit EU-Recht vereinbar. Der EuGH sagt, Deutschland unterlaufe unter anderem durch zu viel Werbung für die Glückspiele sein selbst gesetztes Ziel der Suchtbekämpfung.
Warum überprüfte der EuGH die Glücksspiel-Regelungen?
Mehrere kleine Anbieter hatten gegen das Monopol der Sportwettenvermittlung geklagt. Vier deutsche Gerichte wandten sich daher mit der Frage an den EuGH, ob die deutsche Praxis mit europäischem Recht vereinbar sei.
Wie reagiert die deutsche Politik auf das Urteil?
Der Glücksspielstaatsvertrag läuft Ende 2011 aus. Eine Novellierung ist Sache der Bundesländer. Mit einer "Experementierklausel" werden sie zeitlich befristet sieben bundesweite Sportwetten-Lizenzen an private Anbieter vergeben, während die Lotterien in staatlicher Hand bleiben sollen.
Warum konzentrieren sich die Bundesländer auf Sportwetten?
Bisher durfte nur das staatliche Unternehmen Oddset Sportwetten anbieten, denn Internet-Wetten sind seit 2008 illegal. Doch es gibt die Gesetzeslücke der "unregulierten Anbieter": Deutsche können bei privaten Firmen Geld setzen, wenn sie nicht in Deutschland, sondern etwa in Gibraltar oder Malta lizenziert sind. Weil die Anbieter also eigentlich nicht existieren, kann der Staat auch keine Steuern einnehmen - und die Umsätze der Wett-Firmen steigen massiv.
Welche Konsequenzen hätte eine Privatisierung für Sportbünde?
Die Landessportbünde beziehen aus den staatlichen Wetteinnahmen Gelder, die rund 80 Prozent ihres Haushalts ausmachen. Sie haben nun Existenzängste. Ihre Dachorganisation, der Deutsche Olympische Sportbund, schlug vor, die Auswahl der privaten Anbieter einzuschränken, indem Lizenzen nur unter strengen Auflagen vergeben werden. Private Firmen sollen laut Sportbund Voraussetzungen wie Zuverlässigkeit und Liquidität erfüllen. Auch bei der Verteilung der Gelder pocht er auf konkrete Angaben im novellierten Glücksspielstaatsvertrag.
Wie süchtig machen Wetten und Glücksspiele?
Sportwetten im Internet und Glücksspiel-Automaten sind laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung besonders suchtgefährdend. Fast 500.000 Menschen in Deutschland sind krankhaft spielsüchtig, ermittelten die Universitäten Greifswald und Lübeck. In einer aktuellen Studie, die das Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hat, wurden Besucher in Spielhallen befragt. Die Hälftevon ihnen gab an, sie hätten "die Kontrolle über das Spielen verloren". Knapp ein Viertel sagte, sie müssten sich in ihrem Leben finanziell "sehr einschränken", weil viel Geld für die Automaten draufgehe.
Wer kontrolliert das Automaten-Glücksspiel?
Spielautomaten werden nicht vom Glücksspielstaatsvertrag erfasst. Sie unterliegen der Gewerbeordnung, für die das Bundeswirtschaftsministerium zuständig ist. In rund 8000 deutschen Spielhallen stehen etwa 165.000 Geld-Gewinn-Automaten. 60.000 Gaststätten sind mit 70.000 Geräten bestückt.
Wie gehen Gesundheitspolitiker mit dem Thema Spielsucht um?
Wegen der hohen Suchtgefahr befasst sich auch das Gesundheitsministerium mit Spielautomaten. Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) hält die Automatenspieler für die größte Gruppe der Süchtigen. Er schlägt eine „Spielerkarte“ vor - eine Chipkarte, die die Volljährigkeit der Spieler überprüft und finanzielle Verluste begrenzt. Die Drogenbeauftragte des Bundes, Mechthild Dyckmans (FDP), forderte, Automaten in Gaststätten ganz zu verbieten und die Auflagen für Spielhallen zu verschärfen.
Wie ist die Haltung der Bundesländer zu Spielautomaten?
Die Bundesländer haben einen Vorschlag zur Gewerbeordnung eingereicht. Mit neun konkreten Einschränkungen fordern sie unter anderem eine maximale Gewinnhöhe von 300 statt 500 Euro und dass höchstens 48 statt 80 Euro verloren werden können. Ein Spiel soll mindestens 15 bis 20 statt wie bisher fünf Sekunden dauern und nach einer Stunde müsste das Spiel vollständig unterbrochen werden. Weitere Punkte auf der Vorschlagssliste sind technische Sicherungen an den Geräten und höchstens zwei statt drei zuässige Geräte pro Gaststätte. Doch bisher sind die Länder gar nicht für die Automaten zuständig, denn sie sind nicht im Glücksspielstaatsvertrag aufgeführt. Die Gesetzgebungskompetenz für "gerätebezogene Regelungen" hat der Bund.
Woher rührt das Interesse der Länder an Geldspielgeräten?
Seit der Föderalismusreform 2006 dürfen sich auch Bundesländer mit dem Recht der Spielhallen befassen. Bisher haben sie keinen Gebrauch von diesem Recht gemacht. Allerdings gibt es jetzt Bestrebungen, den Glücksspielstaatsvertrag auf Automaten auszuweiten. Die Geräte und deren Einnahmen würden dann unter Länderhoheit gestellt werden. Die Länder erklärten, ihr Wunsch sei es, "Glücksspielcharakter zurückdrängen und Suchtpotential minimieren." Doch der Vorsitzende des Verbandes der Deutschen Automatenindustrie (VDAI), Paul Gauselmann, sagt, die Länder wollten durch die Ausweitung des Glücksspielstaatsvertrags selbst an den steigenden Gewinnen verdienen.
Wie hoch sind die Einnahmen im Spielautomatengeschäft?
Die Einnahmen aus Geldspielautomaten wuchsen, laut dem VDAI-Vorsitzenden Gauselmann, in den letzten acht Jahren um 25 Prozent. Die staatlichen Umsätze seien dagegen im selben Zeitraum beim Lotto um 18 Prozent, bei Spielbanken um 44 Prozent und bei Sportwetten sogar um 68 Prozent gesunken. "Automatenkönig" Gauselmann ist führender Hersteller in Deutschland, seine Firma nahm 2009 rund 1,3 Milliarden Euro ein.
Was ist über die Glücksspiellobby bekannt?
Automatenverbandschef Paul Gauselmann, Gründer der führenden deutschen Geldspielautomaten-Firma hat durch seine Verbindungen zur Politik zweifelhafte Aufmerksamkeit geerntet. Nach Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" zahlte die Gauselmann AG mehr als eine Million Euro verdeckte Parteispenden an Union, SPD, FDP und Grüne. Auch andere Vertreter privater Glücksspielfirmen werben um verantwortliche Landespolitiker.
Was unternehmen Automatenhersteller gegen die Suchtgefahr?
Verbandschef Gauselmann sagte gegenüber der "Süddeutschen Zeitung", es sei besser, die Spielhallen nähmen Gäste mit Problemen "an die Hand", statt sie im Internet den vielen Glücksspielangeboten und "ihrem Schicksal zu überlassen". In der jüngsten Automatenstudie wurde allerdings festgestellt, dass in 40 von 50 untersuchten Spielhallen Vorgaben nicht eingehalten waren. So gab es etwa keine Informationen über Spielerschutz in den Hallen und Geräte waren nicht ordnungsgemäß aufgestellt.
Zusammengestellt von Kristiana Ludwig für tagesschau.de