Christian Lindner

Liberale im Ampel-Stress Die Optionen der FDP

Stand: 27.04.2024 11:40 Uhr

Die FDP hat ihren Bundesparteitag begonnen. Im Vorfeld war bereits von einem möglichen Ampel-Aus die Rede, nachdem die FDP mit markanten Worten eine "Wirtschaftswende" gefordert hatte. Doch welche Optionen hat die Partei?

Von Hans-Joachim Vieweger, ARD-Hauptstadtstudio

In der Wirtschaft werden strategische Entscheidungen gerne mal mit Hilfe der Spieltheorie getroffen. Der Gedanke: Man versucht, möglichst optimal zu handeln, indem man Annahmen über die Reaktionen anderer trifft, zum Beispiel die Reaktion von Kunden oder Wettbewerbern.

Diese Grundidee lässt sich auch auf die Politik übertragen, sagt Christian Rusche vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). So werden auch Parteien berücksichtigen, wie politische Mitbewerber sowie die Wähler auf eigene Entscheidungen reagieren. Oder auch, wie man die eigenen Möglichkeiten ausweiten kann.

"Kein anderes Thema wird zugelassen, außer die Wirtschaftswende", Nicole Kohnert, ARD Berlin, zum 75. Bundesparteitag der FDP

tagesschau24, 27.04.2024 11:00 Uhr

Verhandlungsmacht gesucht

Rusche verweist beispielhaft auf Koalitionsverhandlungen. Parteien, die sich bei der Regierungsbildung mehr Alternativen offenhalten, können damit ihre eigene Verhandlungsmacht steigern. Wie nach der Bundestagswahl im September 2021: Indem sich Liberale und Grüne verbündeten - Stichwort Selfie - konnten sie gegenüber der SPD gestärkt auftreten.

Oder man geht zurück ins Jahr 1982, als die FDP aus der sozial-liberalen Regierung unter Helmut Schmidt ausschied und Helmut Kohl die Kanzlerschaft ermöglichte. Der Bundestag bestand damals nur aus den Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD. Und da die großen Parteien mangels einer absoluten Mehrheit die FDP für die Regierungsbildung brauchten, war die FDP in einer starken Position. Als "Königsmacherin" wurde sie damals tituliert.

Historische Parallele zum Auftreten der heutigen FDP?

Manche Beobachter haben die Situation der FDP in den vergangenen Wochen mit der Zeit 1982 verglichen. Damals hatte ein wirtschaftspolitisches Papier, das vor allem vom damaligen Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff stammte, mit zum Bruch der sozial-liberalen Koalition geführt.

Als die FDP nun ihre zwölf Punkte mit der Forderung nach Korrekturen am Bürgergeld und der Abschaffung der so genannten "Rente mit 63" veröffentlichte, kam schnell die Frage auf: Ist das nun das neue "Lambsdorff-Papier"? Wird damit das Ende der Ampel-Koalition eingeläutet?

Experte: FDP derzeit nicht "Königsmacherin"

Nach Einschätzung des IW-Ökonomen Rusche sind die Zeiten aber nicht vergleichbar: Während die FDP 1982 tatsächlich "Königsmacherin" war, würde sie sich beim Verlassen der Koalition heute ins politische Aus schießen - wegen des Mangels an politischen Alternativen. 

Ein Wechsel zur Union ginge nur zusammen mit den Grünen. Eine solche Jamaika-Koalition, die 2017 am Ausstieg von Christian Lindner aus den Verhandlungen scheiterte (es sei besser, nicht zu regieren als schlecht zu regieren, so Lindners Argument damals), wäre aber nicht nur wegen inhaltlicher Differenzen schwierig.

Aus spieltheoretischer Sicht ergibt sich vor allem die Frage, welches Interesse die Union an einer schnellen Regierungsübernahme haben sollte - wie also die Reaktion des politischen "Mitspielers" aussieht. Sowohl CDU-Chef Friedrich Merz als auch CSU-Chef Markus Söder haben - wohl nicht zuletzt wegen günstiger Umfrageergebnisse - klar ihre Präferenz für Neuwahlen ausgedrückt.

Sind Neuwahlen eine Option für die FDP?

An ein konstruktives Misstrauensvotum wie 1982 mit der Wahl Helmut Kohls ist also nicht zu denken. Aber was wäre mit einem Verlassen der Ampel, wie es fast die Hälfte der Beteiligten bei einer FDP-Mitgliederbefragung gefordert hat? Ein Austritt der FDP-Minister aus der Regierung hätte voraussichtlich eine Vertrauensfrage im Bundestag und anschließende Neuwahlen zur Folge.

"Diese wären aber ebenfalls mit einem großen Risiko für die FDP verbunden“, sagt Professor Marc Debus von der Universität Mannheim. Der Politikwissenschaftler verweist auf Umfragen, die die Liberalen lediglich bei vier bis fünf Prozent sehen - ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde wäre also nicht ausgeschlossen. 

Die FDP steckt in einem Dilemma

Debus spricht von einem Dilemma für die FDP: Einerseits ist klar, dass die Ampel in der eigenen Anhängerschaft unbeliebt ist. Andererseits sei das Verbleiben in der Ampel die "dominante" Strategie für die Liberalen: also die Strategie, die aus Sicht der FDP bei allen Schwierigkeiten immer noch die beste Alternative ist.

Damit bleibe der Partei nur die Möglichkeit, sich innerhalb der Ampel programmatisch zu profilieren. Die FDP könne darauf spekulieren, dass in den anderthalb Jahren bis zur Bundestagswahl im Herbst 2025 Themen auf die Agenda kommen, von denen die Partei mit Blick auf die Stimmung in der Bevölkerung profitieren könnte, so der Politikwissenschaftler Debus. 

Fokus auf der Wirtschafts- und Sozialpolitik

Das trifft in erster Linie für das Thema der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu, das ja auch Parteichef und Finanzminister Lindner mit der Forderung nach einer "Wirtschaftswende" seit Wochen in den Vordergrund stellt. Damit treffe die FDP freilich auf Partner, die - strategisch gesehen - ebenfalls unter Druck stehen. Insbesondere die SPD müsste im Fall von Neuwahlen mit herben Verlusten im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 rechnen.

Debus erwartet deshalb, dass sich die SPD ebenfalls vor allem auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik profilieren wird: "Das hat im Endeffekt Streit und Diskussionen in der Koalition zur Folge, was sich dann möglicherweise negativ auf die Bewertung der Koalition und der Koalitionsparteien durch die Wählerinnen und Wähler auswirkt."

Die jüngsten Diskussionen zum 12-Punkte-Papier der FDP zur Wirtschafts- und Sozialpolitik könnte demnach nur der Auftakt für weitere Konflikte in der Ampel sein: Ein kooperatives Verhalten, wie es die Spieltheorie auch als mögliche Option kennt, scheint für die beteiligten Parteien derzeit nicht die optimale Variante zu sein.

Hans-Joachim Vieweger, ARD Berlin, tagesschau, 27.04.2024 06:18 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 27. April 2024 um 09:00 Uhr.