ARD-Dokumentation "Frau Honecker zeigt keine Reue"
Seit mehr als 20 Jahren hat Margot Honecker kein Fernsehinterview gegeben. Erstmals sprach sie nun in der ARD-Dokumentation "Der Sturz". tagesschau.de hat mit dem Dokumentarfilmer Eric Friedler über die Begegnung mit der einst mächtigsten Frau der DDR gesprochen.
tagesschau.de: Worum geht es in "Der Sturz"?
Eric Friedler: Es ist ein Film über Erich Honecker, den letzten Diktator Deutschlands. Es geht darum, wie in den drei Monaten des Macht-Vakuums zwischen Krenz, Modrow und de Maizière mit Honecker und seiner Frau umgegangen wurde. Man hat sich von ihm vollkommen distanziert. Man wollte nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden, um das eigene politische Überleben zu sichern. Man hat ihn erst gestürzt und dann fallen lassen wie eine heiße Kartoffel.
Es ist aber auch ein Film über unbesungene Helden wie einen Pastor im brandenburgischen Lobetal. Er hat als einziger die Honeckers aufgenommen, als sie nach dem Sturz quasi obdachlos waren, obwohl der Pastor wegen seines kirchlichen Engagements in der DDR harten Repressalien ausgesetzt war. Seine Kinder durften zum Beispiel nicht auf die weiterführende Schule gehen. Dieser Pfarrer hat zwei Kinderzimmer frei gemacht, um die Honeckers in 30 Quadratmetern unter der Dachkammer unterzubringen. Keiner sonst war bereit dazu. Ich glaube, dass ein Mann wie Pastor Holmer letztendlich einen großen Beitrag dazu geleistet hat, dass alles weiterhin friedlich abgelaufen ist. Denn die Honeckers waren in der aufgewühlten Stimmung in Gefahr.
Eric Friedler leitet beim NDR die Abteilung Sonderprojekte für Dokumentarfilm und Dokudrama. Für Filme wie "Das Schweigen der Quandts" und "Aghet - Ein Völkermord" erhielt er internationale und nationale Preise, darunter den Deutschen Fernsehpreis, den Grimme-Preis und den Hanns-Joachim-Friedrich-Preis.
tagesschau.de: Im Film kommen auch Opfer der DDR zu Wort. Wie schwierig war es, sie zu finden?
Eric Friedler: Da braucht man nicht groß suchen. In unserem Land leben zahlreiche Menschen, die Opfer der DDR-Diktatur geworden sind. Das ist nicht vergessen. Im Film gibt es zum Beispiel Stefan Lauter, der im geschlossenen Jugendwerkhof Torgau einsaß. Er sagt: Torgau ist lebenslänglich. Er lebt immer noch mit den traumatischen Erinnerungen. Solche Menschen müssen berücksichtigt werden, sie müssen gesehen werden. Das ist auch etwas, was der Film zeigt.
tagesschau.de: Was hat Sie dazu bewogen, sich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen?
Eric Friedler: Mich interessierte die Frage: Wie ging ein Land wie Deutschland am Ende des Tages mit einem Diktator um? Wir beobachten gerade Länder in der arabischen Welt, die von der Diktatur in die Demokratie gehen wollen. Gaddafi wurde umgebracht, einige wurden aus dem Land gejagt, andere haben Milliarden in die Schweiz transferiert und leben jetzt irgendwo im Exil. Aber wie ging Deutschland mit seinem letzten Diktator um?
tagesschau.de: Wie haben Sie es geschafft, Frau Honecker zu einem Fernsehinterview zu bewegen?
Eric Friedler: Nach zwei Jahren und vielen vergeblichen Versuchen hatte ich einfach Reporterglück.
tagesschau.de: Welchen Eindruck hat sie bei Ihnen hinterlassen?
Eric Friedler: Margot Honecker hat keine Reue gezeigt, keine Einsicht, sie hat kein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung geäußert.
tagesschau.de: Sie ist offensichtlich immer noch gut vernetzt.
Eric Friedler: Sie sitzt zwar in Chile, aber sie ist sehr gut vernetzt mit einer ganzen Garde von alten Genossen. Sie liest regelmäßig stundenlang im Internet, weiß genau, was in der Bundesrepublik passiert. Sie sagt aber, sie habe keine Sehnsucht nach diesem Deutschland. Sie habe Sehnsucht nach einem anderen Deutschland, das sie als das bessere betrachtet, und das war die DDR.
tagesschau.de: Wie der Film zeigt, glaubt Margot Honecker offensichtlich noch immer an die sozialistische Idee?
Eric Friedler: Sie sagt, es wird irgendwann wieder ein sozialistisches Deutschland geben. Sie glaubt fest daran, dass sie und ihr Mann einen Keim in den Boden gelegt haben, und dass dieser Keim irgendwann aufgehen werde. Sie meint, dass sie noch eine ganz andere DDR hätten schaffen können, aber man habe ihnen nicht genug Zeit dazu gegeben.
Das Interview führte Katrin Hafemann für tagesschau.de