Niedriglohn in Haftanstalten Werden Gefangene zu schlecht bezahlt?
Viele Strafgefangene gehen im Gefängnis einer Arbeit nach - und verdienen in aller Regel nur einen Bruchteil des Mindestlohns. Dagegen gehen nun zwei Inhaftierte mit einer Verfassungsbeschwerde vor.
Arbeitnehmer erhalten derzeit in Deutschland einen Stundenlohn von mindestens 9,82 Euro. Das ist gesetzlich garantiert. Für Gefängnisinsassen gilt das allerdings nicht. Zwar gehen auch sie für gewöhnlich in der Haft einer Arbeit nach, schrauben etwa Bauteile für bekannte Privatunternehmen zusammen. Dafür erhalten die Inhaftierten aber nur einen Stundenlohn zwischen ungefähr einem und drei Euro.
Dabei sind Inhaftierte in den meisten Bundesländern sogar verpflichtet, im Gefängnis zu arbeiten. Eine Ausnahme vom prinzipiellen Verbot der Zwangsarbeit.
Gegen diese geringe Bezahlung setzen sich nun zwei Strafgefangene aus Bayern und Nordrhein-Westfalen vor dem Bundesverfassungsgericht zur Wehr. Sie haben schon vor Jahren Verfassungsbeschwerde gegen die niedrige Vergütung erhoben. Nun wird in Karlsruhe darüber verhandelt.
Arbeit als Faktor der Resozialisierung
Arbeitende Gefangene gelten rechtlich nicht als Arbeitnehmer. Vielmehr sollen die ihnen zugewiesenen Aufgaben sie auf ein Leben in Freiheit vorbereiten, Resozialisierung nennt man das.
Im Zentrum der Verhandlung in Karlsruhe dürfte daher folgende Frage stehen: Ist die geringe Vergütung inhaftierter Straftäter mit dem Grundgesetz vereinbar? Verletzen die Gesetze Bayerns und Nordrhein-Westfalens über die Vergütung Strafgefangener das sogenannte Resozialisierungsgebot? Vielleicht sogar gerade weil es dafür nur so wenig Geld gibt?
In früheren Entscheidungen hat das Verfassungsgericht gesagt, dass Arbeit im Strafvollzug nur unter bestimmten Voraussetzungen ein wirksames Resozialisierungsmittel darstellt. So muss etwa die Leistung der Gefangenen durch einen greifbaren Vorteil auch angemessene Anerkennung finden. Hierdurch soll ihnen "der Wert regelmäßiger Arbeit für ein straffreies Leben vor Augen geführt werden". Dieses Ziel werde aber aufgrund der geringen Vergütung verfehlt, findet Manuel Matzke, Sprecher des Vereins "Gefangenen-Gewerkschaft/ Bundesweite Organisation" (GG/BO). "Das, was das System mit dieser aktuellen Entlohnung vermittelt, ist einzig und allein, dass sich ehrliche Arbeit nicht auszahlt", sagt er.
Bayern verweist auf hohe Haftkosten
Das bayerische Justizministerium verweist demgegenüber darauf, dass die Arbeit Gefangener deutlich weniger produktiv sei, als Arbeit in der freien Wirtschaft. Ein Argument, das GG/BO-Sprecher Matzke nicht gelten lassen will. Ihm zufolge würden externe Firmen ihre Artikel überhaupt nicht von Häftlingen fertigen lassen, wenn die Arbeit nicht adäquat ausgeführt würde.
"Den Firmen geht es darum, Geld zu verdienen", sagt er, "nicht darum, Menschen eine Beschäftigung zu geben". Also wird sich das Bundesverfassungsgericht auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob eine höhere Vergütung Strafgefangener zum Wegfall von Arbeitsplätzen in Haft führen würde. Dies wäre womöglich dann der Fall, wenn es sich für Unternehmen finanziell nicht mehr lohnen würde, ihre Waren in Gefängnissen produzieren zu lassen.
Nur ein Teil des Lohns kommt an
Allerdings ergaben Recherchen des ARD-Magazins Plusminus, dass die Unternehmen häufig Summen an die Justiz zahlen, die sich am Tariflohn orientieren. Teilweise liegen die Preise zwar auch unter dem Mindestlohn. Aber: Echte Dumpingpreise gibt es nicht. Dennoch kommt bei den Gefangenen nur ein Bruchteil dessen an, was Unternehmen für die in Haft gefertigten Produkte zahlen.
Das rechtfertigt das bayerische Justizministerium wiederum mit den hohen Kosten des Justizvollzugs. Diese beziffert es auf 157,76 Euro pro Gefangenen und Tag. Für Bekleidung, Verpflegung und Unterbringung müssten die Gefangenen nicht aufkommen. Mit ihrer Arbeit erziele der Justizvollzug daher keinen Profit. Nach Angaben des Ministeriums standen in Bayern im Jahr 2021 den Arbeitseinnahmen in Höhe von 35 Millionen Euro Ausgaben in Höhe von 502 Millionen Euro gegenüber.
Freie Tage als Teil der Vergütung
Ein weiterer Punkt: Die Geldzahlungen, die arbeitende Gefangene erhalten, stellen nur einen Teil ihres Lohns dar. In vielen Bundesländern sind auch freie Tage Teil der Vergütung. So sieht das bayerische Strafvollzugsgesetz vor, dass Gefangene für zwei Monate verrichtete Arbeit einen zusätzlichen freien Tag erhalten. In NRW sind es zwei Freistellungstage für drei Monate Arbeit. Diese erarbeitete Freizeit kann auch als Urlaub aus der Haft genutzt werden. Alternativ ist es möglich, dass sich Inhaftierte die freien Tage auf den Zeitpunkt der Entlassung anrechnen lassen.
Zwar können die Gefangenen die Dauer ihrer Haft durch Arbeit nur geringfügig verkürzen. Dennoch hatte das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung der Freistellungstage in der Vergangenheit besonders betont. So heißt es in einer früheren Entscheidung, die Aussicht, die Freiheit vorzeitig wiederzuerlangen, sei für die Gefangenen von derart hoher Bedeutung, dass sie als Mittel der Entlohnung geeignet ist, das Resozialisierungsgebot umzusetzen. Dass für die verrichtete Arbeit auch Freizeit als Lohn gewährt wird, kann eine niedrige monetäre Vergütung insofern bis zu einem gewissen Grad aufwiegen.
Keine Einbeziehung in Sozialversicherungen
Was mehrere Fachverbände am aktuellen System der Vergütung Strafgefangener auch noch kritisieren: Dass die Gefangenen nicht in sämtlichen Zweigen der Sozialversicherungen berücksichtigt werden. Zwar werden die Inhaftieren in die Arbeitslosenversicherung einbezogen. In einer für sie vorteilhaften Weise, wie das bayerische Justizministerium betont. Der Justizvollzug zahlt hier nämlich den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmeranteil. Die Beitragshöhe orientiert sich überdies nicht am tatsächlichen Lohn, sondern an einem Durchschnittsentgelt.
Doch in die Rentenversicherung werden Strafgefangene nicht einbezogen. Das führt laut einer Stellungnahme des "Bundesvereinigung der Anstaltsleiter und Anstaltsleiterinnen im Justizvollzug" dazu, dass für die Gefangenen die Gefahr besteht, im Rentenalter auf Sozialhilfe angewiesen zu sein.
Urteil mit Strahlkraft
Sollte das Verfassungsgericht zu der Einschätzung gelangen, dass die Höhe der Vergütung Strafgefangener nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, müssten die Landesparlamente in Bayern und Nordrhein-Westfalen wohl tätig werden.
Die Entscheidung dürfte in jedem Fall eine Ausstrahlungswirkung auf andere Bundesländer mit ähnlichen Regelungen haben. Die Karlsruher Richterinnen und Richter haben zwei Verhandlungstage angesetzt, um dem System der Gefangenenvergütung auf den Zahn zu fühlen. Ein Urteil wird es wohl erst in einigen Monaten geben.