Wiederaufbau im Ahrtal Warum Nahwärme noch fern ist
Es klingt naheliegend, nach der Flutkatastrophe im Ahrtal nachhaltige Nahwärmenetze aufzubauen. Doch so einfach ist das nicht. Vor allem geht es nicht schnell.
Vor der Flutkatastrophe waren die meisten Heizungen entlang der Ahr nicht auf dem modernsten Stand. Sehr viele Häuser wurden mit Öl, manche mit Holz und einige mit Gas beheizt.
Die vielen Öltanks, die vom Wasser mitgerissen und zerstört wurden, waren auch Schuld daran, dass es bei vielen Flutruinen nicht bei Wasserschäden blieb, sondern sie derart mit Heizöl kontaminiert wurden, dass sie abgerissen werden mussten. Sehr schnell erkannten Fachleute, dass aus der Katastrophe die Chance erwuchs, in Sachen Heizen einen großen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit zu gehen.
Wenn der Nahwärme-Botschafter klingelt
Als Paul Ngahan, der Leiter des Kompetenzzentrums Nahwärme der Energieagentur Rheinland-Pfalz, kurz nach der Flut ins Ahrtal kam, ließ er alles andere liegen und wurde zum Nahwärme-Botschafter. "Mit 195 Ehrenamtlern zogen wir durch alle Straßen im Tal und sprachen mit den Menschen, die eine neue Heizung brauchten. Zwar waren nicht alle da, weil ihre Häuser unbewohnbar waren, aber wir sind mit 2500 ausgefüllten Formularen von Interessenten zurückgekommen."
Ngahan holte alle Akteure an einen runden Tisch, kommunale Spitzenverbände, Energieversorger, Handwerkskammer, Schornsteinfeger und Behördenvertreter. Das war der vielversprechende Anfang, Nahwärmenetze zu installieren. Die rentieren sich nur, wenn ausreichend Haushalte sich anschließen lassen.
Vorteil Baustelle
Bei vielen Infoveranstaltungen im Ahrtal ließen sich Bürgermeister und Anwohner von der Nahwärme überzeugen. Noch immer ist das Ahrtal eine riesige Baustelle. Für die Installierung von Nahwärmenetzen ist das sogar ein Vorteil. Denn um ein solches Netz zu bauen, muss stark in die bestehende Infrastruktur eingegriffen werden.
"Im Flutgebiet besteht jetzt die Chance, den Ausbau relativ geräuschlos durchzuführen", sagt Thomas Hoppenz, Geschäftsführer der Ahrtalwerke, die bereits vor der Flut in Bad Neuenahr-Ahrweiler Nahwärme angeboten haben. "Für den Bau eines Nahwärmenetzes müssen überall die Straßen aufgerissen und ein Ort für die Heizzentrale gefunden werden." Das Ahrtal im Wiederaufbau biete natürlich eher die Möglichkeit, das gleich mit zu erledigen.
Zunächst mussten Machbarkeitsstudien her, denn welche Art der Nahwärme sich am besten eignet, hängt von der Größe der Siedlung und seiner Topografie ab. Die meisten der 14 betroffenen Gemeinden kamen für die Technik infrage, in sechs davon fanden sich auch direkt genügend Interessenten. Dennoch ist der Stand des Ausbaus sehr unterschiedlich.
Wiederaufbau als Chance: Doch Nahwärmenetze brauchen Zeit.
Marienthal macht den Anfang
Marienthal, im mittleren Ahrtal, ist die erste Gemeinde, die seit Ende 2022 ein eigenes Nahwärmenetz betreibt. 33 Haushalte haben einen Anschluss im Keller. Im Dorf gibt es jetzt ein zentrales Heizkraftwerk, in dem Holzpellets verbrannt werden - es handelt sich also um ein warmes Nahwärmenetz. Zusätzlich liefert Solarthermie auf dem Dorfgemeinschaftshaus Energie, die in das Netz eingespeist wird.
Dorfkümmerer Rolf Schmitt sagt: "Neben dem Effekt, dass wir relativ günstig heizen können mit der Dorfwärme, haben wir nebenbei noch den CO2-Ausstoß von 238 auf 18 Tonnen reduzieren können."
Suche nach Investoren
Doch warum können nicht schon viel mehr Menschen von der Technik profitieren? Mehrere Gemeinden kämpfen noch dafür. In Dernau wird ein Nahwärme-Projekt mit rund 17 Millionen Euro veranschlagt, in Mayschoß soll es elf Millionen kosten.
Nahwärme-Botschafter Ngahan von der Energieagentur ist noch auf der Suche nach Investoren. "Selbst wenn die großen Versorger abspringen sollten, können die Gemeinden das selber bauen. Sie betreiben es und verdienen damit ja Geld. Das muss man den Kreditgebern nur erklären. Die Investitionen würden wieder hereingeholt - eine sichere Sache", meint er.
Außerdem wäre eine Anlage in Eigenregie wahrscheinlich billiger für die Verbraucher. Kommunen müssen nicht, wie Energieversorger, Gewinne machen. Sie könnten die Wärme zum Selbstkostenpreis an die Haushalte abgeben.
Die Ungeduld wächst
Trotzdem sind in Dernau einige Anwohner sauer: Sie vermissen den politischen Willen für zukunftsfähige Heiztechnik. Bei Infoveranstaltungen, in denen es stets hieß, die Nahwärme würde bald kommen, beklagten sich die Leute, dass sie seit zwei Jahren warteten. Sie hätten bewusst keine Gasheizung eingebaut, stattdessen auf die nachhaltige Nahwärme gewartet. Jetzt stünden immer noch die Boxen mit den Übergangs-Ölheizungen vor ihren Häusern.
Aufwändig und teuer
Nahwärme lässt sich nicht auf die Schnelle realisieren. Die zwei Jahre, die es in Marienthal gedauert hat, seien schon absolute Rekordzeit, erklärt Thomas Hoppenz von den Ahrtalwerken. "Es ist eine aufwendige und kostenintensive Infrastruktur." Nach den Machbarkeitsstudien müssten Bohrungen gemacht und Leitungen durchs ganze Dorf verlegt werden. "Eine Therme ins Haus zu hängen ist leichter", so der Geschäftsführer, "dennoch erlebt die Idee der Wärmeversorgung über Leitungen gerade eine Renaissance. Sie entspricht dem politischen Willen, den CO2 Ausstoß von Heizungen auf Null zu reduzieren, weil man jede Art der Wärmeerzeugung davorsetzen kann."
Kohle, Gas und Holz könnten sogar als Übergangslösung noch genutzt, die Anlagen aber später auf Geothermie, Solar, Biogas oder sogar irgendwann einmal Wasserstoff umgerüstet werden.
Besonders geeignet ist Nahwärme natürlich da, wo direkt regenerative Energieträger vorhanden sind und eingesetzt werden können. Das ist im Ahrtal fast überall der Fall. "Gemeinden müssen die Planungssicherheit aber auch unterstützen. Für die Umsetzung brauchen wir Infrastrukturräume, die die Gemeinden zur Verfügung stellen müssen, also Grundstücke für die Heizzentrale und für die Erzeugung regenerativer Energien", so Hoppenz.
Fluthilfe nur für Wiederaufbau
Auf ein weiteres Problem für Nahwärmenetze im Ahrtal weist Paul Ngahan hin: "Die Fluthilfe darf nur für Infrastruktur verwendet werden, die bei der Flut zerstört wurde - die es also vor der Flut schon gab. Nahwärmenetze gab es fast nirgends im Ahrtal, deshalb müssen wir hier andere Hilfstöpfe suchen."
Er macht die Politik dafür verantwortlich: "Die Politik hat hier nicht weit genug in Richtung Dekarbonisierung gedacht, das macht es für die Betroffenen komplizierter neue Wege zu gehen. Sie müssen für den Wiederaufbau ihrer Häuser Fluthilfe beantragen und für den Anschluss an ein Nahwärmenetz EU-, Bundes- und Landesgelder."
Auf der Suche nach Förderung und wegen der langen Wartezeit hat schon so mancher im Ahrtal aufgegeben und wieder eine Gastherme aufgehängt - nicht nachhaltig, aber förderfähig.
Es gibt zwei Arten von Nahwärme. Die klassische "warme Nahwärme" bringt (wie auch die Fernwärme) an einer zentralen Stelle erzeugte Wärme in Form von mindestens 70 Grad heißem Wasser durch gut isolierte Leitungen in die angeschlossenen Häuser. Dort übergibt eine Wärmeübergabestation (Wärmetauscher) die Wärme an das Wasser des hausinternen Heizkreislaufs und wärmt die Heizung und den Warmwasserbereiter. Nicht verbrauchte Wärme strömt zurück ins Netz. Die Wärme für das Netz kann dabei aus den verschiedensten Energieträgern kommen. Allerdings wird die Wärme außerhalb der Gebäude erzeugt. Beim Transport geht also recht viel Wärme verloren, die notwendige Isolierung der Kabel ist ein großer Kostenfaktor.
Bei der "kalten Nahwärme" wird die Wärme erst im Haus erzeugt. Hier kommt thermisches Grundwasser lediglich mit einer Temperatur von fünf bis 35 Grad Celsius durch das Leitungsnetz. Jedes Haus muss mit einer Wärmepumpe ausgestattet werden, die unter Einsatz von Strom, Kältemittel und Druck das Wasser verdampfen lässt. Die hierbei entstehende Wärme wird an einen Wärmespeicher weitergegeben. Bei diesem System sind viel günstigere unisolierte Rohrleitungen verwendbar. Allerdings braucht jedes Haus eine Wärmepumpe. Das macht diese Technik teurer.