Neue STIKO-Empfehlung "Wille zur Impfung beinahe ungebrochen"
Wie geht es nach der AstraZeneca-Entscheidung in den Impfzentren weiter? Bernd Kühlmuß leitet das Zentrum in Ulm und spricht im Interview über Verunsicherung und drei mögliche Szenarien, die nun zu erwarten sind.
tagesschau.de: Am Dienstag hat die Ständige Impfkommission (STIKO) erneut ihre Empfehlung für das Vakzin AstraZeneca geändert. Was bedeutet das für die Abläufe in Ihrem Impfzentrum?
Berd Kühlmuß: Die Information kam ja am Abend und da haben wir für Ulm entschieden, dass wir alle Impfungen fortführen. Das heißt, alle, die heute oder in diesen Tagen ihren Impftermin haben, werden auch geimpft. Diejenigen unter 60 dann eben nicht mit AstraZeneca, sondern mit BioNTech.
Bernd Kühlmuß ist Kardiologe und Professor für Gesundheitswissenschaften an der DHBW Heidenheim. Er leitet das Impfzentrum in Ulm und berät das Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg bei der Bewältigung der Corona-Krise.
"Wir prüfen gerade, wie es weitergeht"
tagesschau.de: Haben Sie denn spontan genügend anderen Impfstoff vorrätig?
Kühlmuß: Wir reden zunächst von 1700 Impfdosen AstraZeneca, die wir in den nächsten drei Tagen in Ulm verimpfen wollten. Das ist nicht allzu viel, da reicht der andere Impfstoff aus. Wie es danach weitergeht, prüfen wir gerade.
tagesschau.de: Droht nicht ein großes Durcheinander, weil viele Impftermine umgebucht werden müssen?
Kühlmuß: Man muss unterscheiden zwischen Erst- und Zweitimpfungen. Die Erstimpfungen sollen jetzt für die unter 60-Jährigen nicht mit AstraZeneca fortgeführt werden. Das heißt, diese Menschen versuchen wir jetzt alle auf BioNTech umzubuchen.
Viel schwieriger ist die Frage der Zweitimpfungen. Denn da gibt es ja noch keine abschließende Empfehlung, wie das zu handhaben ist. Das ist aber auch noch nicht so dringlich. Wir haben ja erst im Februar mit AstraZeneca begonnen und der Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung soll zwölf Wochen betragen. Das heißt, wir haben den ganzen April Zeit, um das zu klären. Erst im Mai stehen die Zweitimpfungen an.
"Ein Mix aus unterschiedlichen Impfstoffen ist denkbar"
tagesschau.de: Welche Szenarien sind denkbar?
Kühlmuß: Szenario eins ist, wir impfen noch einmal mit AstraZeneca, weil man davon ausgeht, wer die erste Impfung vertragen hat, wird auch die zweite vertragen. Szenario zwei ist, wir wechseln auf einen anderen Impfstoff für die Zweitimpfung. Szenario drei ist, wir führen zunächst gar keine Zweitimpfung durch, denn es besteht ja schon nach der ersten Impfung ein hoher Impfschutz. Und nach drei, vier oder fünf Monaten beginnt man dann nochmal eine neue Grund-Immunisierung mit einem anderen Impfstoff, also beispielsweise zwei Impfungen mit BionNTech.
Es existieren ja weltweit bereits Daten über einen Wechsel, also einen Mix von Impfstoffen und das muss jetzt weiter ausgewertet werden. Und das mache nicht ich, sondern das machen Experten, die das extrem gut können und auf die werde ich mich verlassen.
tagesschau.de: Rechnen Sie mit einer großen Verzögerung der Impfkampagne durch diese Neuempfehlung der STIKO?
Kühlmuß: Nicht wirklich. Die Frage ist ja eigentlich: Wie groß ist die Akzeptanz in der Bevölkerung, also der über 60-Jährigen, sich beim Hausarzt mit AstraZeneca impfen zu lassen? Denn wenn die Impfstoffe in die Hausarztpraxen kommen und die Priorisierung eingehalten werden soll, sind es ja ohnehin die Älteren, die prioritär geimpft werden müssten. Das heißt, wenn den über 60-Jährigen transportiert werden kann, dass dieser Impfstoff für sie geeignet und sicher ist, rechne ich nicht mit großen Verzögerungen.
"Nur zehn bis 15 Prozent der Termine abgesagt"
tagesschau.de: Wie verunsichert sind die Menschen denn jetzt, die zu Ihnen ins Impfzentrum kommen?
Kühlmuß: Wir haben über die lokale Presse informiert, dass bitte alle zum Impfzentrum Ulm kommen sollen und alle Termine regulär stattfinden werden, gegebenenfalls eben mit anderem Impfstoff. Die Über-60-Jährigen werden weiter mit AstraZeneca geimpft. Und die allermeisten sind auch gekommen, nur etwa zehn bis 15 Prozent haben ihren Termin nicht wahrgenommen.
Also trotz des großen Durcheinanders, das jetzt entstanden ist: Der Wille sich impfen zu lassen, ist beinahe ungebrochen. Zehn bis 15 Prozent Absagen sind nicht viele.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.