Offener Brief an Scholz "Klimaschutz ist keine Sache einer Partei"
Beim Klimaschutz müsse die Politik deutlich mehr tun, fordern Hunderte Vertreter aus Parteien, Wissenschaft und Gesellschaft in einem offenen Brief. Ein Mitinitiator verweist auf bereits ausgearbeitete Maßnahmen.
Die Bundesregierung soll den "deutschen Beitrag zur globalen Einhaltung der Pariser Klimaziele" sicherstellen. Das fordern mehr als 400 Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Religion und Gesellschaft in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz, die Ministerinnen und Minister sowie Abgeordnete im Bundestag, den Landtagen und im EU-Parlament.
Offene Briefe nehme man zur Kenntnis, kommentiere sie aber nicht, teilte ein Regierungssprecher auf Anfrage mit. "Die Bundesregierung verfolgt eine ambitionierte Klimaschutzpolitik", so der Sprecher. Dazu hätten sich Bundeskanzler Scholz und die Minister immer wieder öffentlich geäußert, zuletzt bei der Regierungsbefragung am 29. März.
Ein Mitinitiator des offenen Briefs, Heinrich Strößenreuther, verweist im Gespräch mit tagesschau.de auf den Maßnahmenkatalog der Organisation "GermanZero", die ein Gesetzespaket erarbeitet hat, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Der CDU-Politiker und Vorstand der Klimaunion nennt ein paar Beispiele, welche Maßnahmen ergriffen werden müssten: Deutschland müsste bis 2035 komplett auf E-Mobilität umsteigen, die Energieversorgung vollständig auf Solar, Wind und Speicherstrom umstellen und die Wärmeversorgung über Nahwärmenetze und Wärmepumpen betreiben.
Innovationen für klimaschonendes Verhalten
Die Bundesregierung müsse vor allem auch die Regelungen ernst nehmen, die es im Bereich Klimaschutz bereits gebe, sagt Transformationsforscherin Maja Göpel gegenüber tagesschau.de. Sie hat den offenen Brief ebenfalls unterzeichnet. "Die Bundesregierung sollte mindestens das, was bereits verabschiedet wurde, berücksichtigen", so Göpel. Dass beim Koalitionsausschuss der Ampelregierung in der vergangenen Woche die Sektorziele, die seit 2019 alle Ministerien verpflichtet haben, bestimmte Einsparziele bei den Treibhausgasemissionen einzuhalten, aufgeweicht wurden, findet sie enttäuschend.
"Besonders das Verkehrsministerium kommt im Bericht des Expertenrats für Klimafragen nicht gut weg", stellt Göpel fest. 2021 hatten das Verkehrs- und das Bauministerium ihre Ziele nicht erreicht, sie mussten deshalb Sofortprogramme ausarbeiten. Doch insbesondere das Verkehrsministerium wurde immer wieder dafür kritisiert, dass es kein ausreichendes Programm vorgelegt hat.
Göpel sieht besonders den CO2-Preis als sinnvolles Instrument mit Lenkungswirkung. Die Regierung solle zudem nicht einzelne Tätigkeiten wie etwa das Tanken subventionieren. "Eine Mobilitätspauschale, die auch für Fahrrad und ÖPNV greift, wäre marktpolitisch sinnvoll", so Göpel. Man müsse schnellstmöglich Innovationen in die Gesellschaft bringen, die es Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, sich klimaschonend zu verhalten.
"Die Grenzen gibt uns der Planet vor"
"Die jährliche Bilanz, wie weit man beim Klimaschutz ist, wird verwässert und in die Zukunft verschoben", sagt der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz, der den Brief auch unterzeichnet hat. "Das können wir uns nicht mehr leisten." Er meint damit nicht nur die verwässerten Sektorziele, sondern auch, dass die Klimaschutzziele künftig in einer "mehrjährigen Gesamtbilanz" betrachtet werden sollen. Die Möglichkeit, schnell zu handeln, sei damit nicht mehr gegeben.
"Klimaschutz ist keine Sache einer Partei", so der CDU-Politiker. "Alle müssen dazu beitragen." Die deutsche Gesellschaft sei in einer Phase, in der es um die Umsetzung gehe. "Da merkt man den Widerstand", sagt Polenz. Es müsse auch der soziale Ausgleich gegeben sein, zudem solle Deutschland ein Industrieland bleiben. "Aber wir müssen sehen, in welchem Rahmen das möglich ist. Die Grenzen gibt uns der Planet vor."
"Eine historisch beispiellose Aufgabe"
Die Initiatorinnen und Initiatoren des Briefs stellen fest: "Wir gehören zur letzten Generation, die aufhalten kann, was uns droht: der globale Verlust unserer Kontrolle über die menschengemachte Klimakrise." Der Klimaschutz sei eine parteiübergreifende, staatstragende und historisch beispiellose Aufgabe, die Anpassung der Infrastruktur eine Mammutaufgabe.
"Für diesen gewaltigen Umbau ist es wichtig, dass wir jetzt enorm an Tempo zulegen", heißt es in dem Brief. Es gehe darum, die Energieversorgung umzustellen, Gebäude zu dämmen, Mobilität ohne fossile Brennstoffe zu ermöglichen und Energie zu sparen. "Was wir wirklich brauchen, ist eine umfassende, zügig umgesetzte Klimapolitik. Wir können uns keine Halbherzigkeiten mehr leisten, keine weiteren Nebelkerzen, kein weiteres Zögern."
Kritik an Koalitionsausschuss
Den offenen Brief haben Politiker verschiedener Parteien unterzeichnet. Auch Wissenschaftler und prominente Umweltschützer schlossen sich dem Aufruf an.
In der vergangenen Woche hatten sich SPD, Grüne und FDP im Koalitionsausschuss unter anderem auf einen beschleunigten Ausbau der Autobahnen an 144 Stellen, Milliardeninvestitionen in das Schienennetz und eine Lockerung der Klimaschutzregeln verständigt. Bei Umweltschützern waren vor allem die Beschleunigung von Autobahnprojekten und die Aufweichung der Klimaziele für einzelne Sektoren auf Kritik gestoßen.