"Bookfluencer" Willbrand TikTok-Star mit 83
Er redet über Kafka, Proust, Tolstoi - und Hunderttausende schauen ihm dabei auf Instagram und TikTok zu. Klaus Willbrand ist dort in kürzester Zeit bekannt geworden. Und mischt mit 83 Jahren "BookTok" auf.
Klaus Willbrand sitzt inmitten von Büchern in seinem Antiquariat in Köln. Sie stapeln sich in den Regalen bis hoch unter die Decke. Viele davon hat er selbst gelesen. Das schätzen seine insgesamt fast 150.000 Follower auf Instagram und TikTok. Dort postet der 83-Jährige seit ein paar Monaten regelmäßig. "Er ist der einzige auf Social Media, dessen Meinung zu Büchern mich interessiert", schreibt etwa ein User. Dabei war das ganze eigentlich so nie geplant.
Seit 20 Jahren führt Klaus Willbrand sein bescheidenes Antiquariat. Er lebt Literatur: nahm sich einmal als junger Mann eine dreijährige Auszeit, nur um zu lesen, erzählt er. Auf einem Bücherflohmarkt lernt er vor drei Jahren die Lektorin Daria Razumovych kennen.
Die beiden trennen 50 Jahre, trotzdem verstehen sie sich auf Anhieb. Die 32-Jährige schlägt ihm schnell vor, auf Social Media aktiv zu werden, Willbrand aber lehnt das zuerst ab: "Das kam mir so absurd vor", erzählt er, "83 Jahre und auf TikTok. Ich dachte, da schauen sich Leute nur Albernheiten an."
Videos gehen viral
Dann aber geht es seinem Laden immer schlechter. Anfang des Jahres ging es nicht mehr: Es kam kaum noch Kundschaft. "Er lief zwar nie besonders gut. Aber durch die Pandemie ist es katastrophal geworden", erzählt der Antiquar. Der Laden sollte schließen. Und Klaus Willbrand hatte nichts mehr zu verlieren. Daria Razumovych nimmt das erste TikTok auf. Sie war sich sicher: das kann funktionieren. "Ich hätte aber nicht gedacht, dass es so ein Ausmaß haben würde", erzählt die 32-Jährige, die als Social-Media-Beraterin arbeitet.
Schon das erste Video geht viral und hat bis heute über 100.000 Aufrufe. Manche andere haben Millionen - wie eines mit dem Titel "Must Reads für junge Leute". Sie fragt, er antwortet. Meistens sind es Buchempfehlungen, inzwischen aber auch immer häufiger private Fragen aus der Community: etwa wann und wo Klaus Willbrand lese oder welchen Schriftsteller er gerne persönlich gekannt hätte.
Antiquar Klaus Willbrand und Geschäftspartnerin Daria Razumovych stehen zwischen Büchern in seinem Antiquariat in Köln-Sülz.
"BookTok" als Chance für Buchhändler
Klaus Willbrand ist über Nacht zum "Bookfluencer" geworden. Davon gibt es auf Social Media einige, denn Bücher spielen vor allem auf TikTok längst eine große Rolle. Die Bücher-Community hat auf der Plattform den Namen "BookTok". Und was dort empfohlen wird, verkauft sich.
Das bestätigt auch Thomas Koch vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels: "Rund ein Drittel der jungen Menschen wird über Social-Media-Kanäle auf neue Bücher aufmerksam." Unter den 16- bis 19-jährigen seien es sogar 38 Prozent, so Koch weiter. "BookTok ist also ein ernstzunehmender und spannender Trend für die Buchbranche und zeigt, dass es wichtig ist, dass Bücher den Menschen dort begegnen, wo sie sich aufhalten."
Was online Trend ist, verkauft sich auch in den Buchhandlungen: Neben Bestseller-Stickern kleben inzwischen oft auch "Empfohlen von BookTok"-Sticker auf Neuerscheinungen. Oder es gibt ganze Regale voll nur mit Titeln, die gerade online im Trend sind. Für Buchhandlungen bringe das die Chance, die junge Kundinnen und Kunden langfristig für sich und Bücher zu begeistern, so Thomas Koch.
TikTok-Videos haben Laden gerettet
Klaus Willbrand passt da eigentlich so gar nicht rein. Denn er spricht vor allem über alte Bücher, Klassiker. Die neuesten Titel findet man in seinem Laden nicht. Trotzdem profitiert auch er von seinem Erfolg auf Social Media. Zwar kommen viele Menschen inzwischen einfach in seinen Laden, um ihn einmal persönlich kennenzulernen, ein Selfie zu machen. Daran musste er sich erst gewöhnen. "Aber das interessante dabei ist: die Leute kaufen auch wirklich Bücher. Selbst teure Erstausgaben", so Willbrand.
Inzwischen laufe das Geschäft wieder. Und er macht weiter mit den Videos, um das zu machen, was er schon immer am liebsten gemacht hat: über Literatur reden. Jetzt eben online. Der Kern seiner Arbeit? Menschen für Literatur begeistern: "Man muss nicht lesen. Man stirbt nicht, wenn man nicht liest. Aber die meisten ahnen nicht, wie viel ihnen dabei entgeht. Wir geben ihnen eine Ahnung davon."