Afghanische Vertretung in Deutschland Ein Land, zwei Botschaften?
Der Status der afghanischen Vertretungen in Deutschland ist unübersichtlich. Für Tausende Menschen aus Afghanistan sorgt das für Unsicherheit: Welche Dokumente sind noch gültig - und wie lange?
Vor dem afghanischen Konsulat in Bonn spielt sich täglich dasselbe Bild ab: Eine lange Schlange zieht sich über den Bürgersteig, Menschen stehen dicht an dicht, manche seit Stunden. Sie warten darauf, dass ihre Pässe verlängert, Geburtsurkunden ausgestellt oder andere Anträge bearbeitet werden.
Viele stehen hier mit einem mulmigen Gefühl und fragen sich: Werden diese Dokumente noch als gültig anerkannt? Und wenn ja, wie lange noch?
Seit der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 ist die diplomatische Lage der afghanischen Vertretungen in Deutschland komplex. Während sich die afghanische Botschaft in Berlin und das Konsulat in Bonn strikt weigern, mit den Taliban zu kooperieren, hat das Konsulat in München bereits die Seiten gewechselt. Dort arbeitet man inzwischen mit den neuen Machthabern zusammen - eine Entwicklung, die die afghanische Diaspora in Deutschland in eine ungewisse Lage versetzt.
Mehr als drei Jahre lang agierten die afghanischen Vertretungen in Deutschland weitgehend unabhängig und wurden von deutschen Behörden anerkannt. Doch die Taliban, isoliert und um internationale Anerkennung bemüht, versuchen zunehmend, die Kontrolle über die afghanischen Auslandsvertretungen zu gewinnen.
Anfang August 2024 kündigten die Taliban öffentlich an, nur noch Dokumente anzuerkennen, die von bestimmten Botschaften und Konsulaten ausgestellt wurden: jenen, die mit den Taliban kooperieren. Das hat bereits zu einem konsularischen Flickenteppich in Europa geführt: Während einige afghanische Vertretungen - etwa in Tschechien, Spanien, den Niederlanden und Bulgarien - ebenfalls zur Kooperation übergegangen sind, haben Länder wie Großbritannien und Norwegen die Entscheidung getroffen, ihre afghanischen Botschaften zu schließen.
Erhöhte Nachfrage und Unsicherheit
Rund eine halbe Million Afghanen leben in Deutschland, unter ihnen sind mehr als 300.000 Geflüchtete. Der Bedarf an konsularischen Diensten ist entsprechend hoch. Doch die aktuellen Entwicklungen schüren Unsicherheit: Viele Afghanen fragen sich, ob Dokumente, die von den unabhängigen Vertretungen in Berlin und Bonn ausgestellt werden, künftig noch anerkannt bleiben.
Mohammad Saber aus Gelsenkirchen gibt sich gelassen: "Für uns spielt das keine Rolle. Wir reisen ohnehin nicht nach Afghanistan, und innerhalb der EU oder in die Türkei sind diese Dokumente weiterhin gültig, auch für die deutschen Behörden." Seine Haltung teilen viele Afghanen, die keinen Kontakt zu den Taliban-kontrollierten Behörden wünschen.
Auch Hakimi, die kürzlich ihren Pass verlängert hat, sieht keinen Grund zur Sorge: "Ich gehe nicht zum afghanischen Konsulat in München. Ich möchte mein Geld nicht an eine Behörde zahlen, die mit den Taliban zusammenarbeitet. Diese Dokumente sind in Deutschland gültig, und wir planen keine Reisen nach Afghanistan. Das ist für mich und meine Kinder entscheidend."
Doch nicht alle Afghanen sehen die Situation so entspannt. Besonders für diejenigen, die Familien in Afghanistan besuchen wollen oder müssen, sind die neuen Regeln problematisch.
Qasim Aslani ist seit neun Jahren in Deutschland. Er schildert seine Ratlosigkeit: "Ich wollte einen afghanischen Pass beantragen, aber man hat mir keinen ausgestellt. Heute bin ich wieder hier, um zu fragen, ob ich nach München gehen soll oder welche Optionen ich habe. Ich habe gehört, die Dokumente aus Berlin und Bonn seien möglicherweise bald ungültig."
Deutschland erkennt alle Dokumente an
Deutschland erkennt weiterhin alle von afghanischen Vertretungen ausgestellten Dokumente an - unabhängig davon, ob die jeweilige Vertretung mit den Taliban kooperiert oder nicht. Die deutschen Behörden, einschließlich des Bundesinnenministeriums und des Auswärtigen Amts, unterstreichen aber, dass Deutschland die Taliban-Regierung nach wie vor nicht als legitime Vertretung Afghanistans anerkennt und daher keine neuen Diplomaten, die von den Taliban entsandt werden, akzeptiert.
"Deutschland unterhält diplomatische Beziehungen zum Staat Afghanistan, nicht zur De-Facto-Regierung der Taliban", betont ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Die bestehenden afghanischen Vertretungen in Deutschland operieren weiterhin im Namen des afghanischen Staats und bieten Konsulardienste wie Passverlängerungen und Dokumentenausstellungen an. Ein solches Modell hatte Deutschland bereits während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 etabliert und damit Erfahrungen gesammelt.
Die afghanischen Vertretungen in Deutschland decken ihre laufenden Kosten überwiegend über Gebühren für ihre Dienstleistungen. Das Konsulat in Bonn etwa beschäftigt 20 Diplomaten und ortsansässige Mitarbeiter und ist auf diese Einnahmen angewiesen. Ein Diplomat erklärt, dass rund 75 Prozent der Ausgaben durch die erbrachten Dienstleistungen gedeckt werden können, während die verbleibenden 25 Prozent durch Gehaltskürzungen ausgeglichen werden.
Widerstand gegen Taliban-Kooperation
Das afghanische Konsulat in Bonn und die Botschaft in Berlin haben erklärt, dass sie sich weigern, unter Taliban-Kontrolle zu arbeiten. Der Konsul in Bonn hat inmitten dieses Konflikts bereits angekündigt, seinen Posten aufgeben zu wollen.
Die Situation erinnert an die erste Taliban-Herrschaft, als die afghanischen Vertretungen im Ausland im Namen der gestürzten Regierung Burhanuddin Rabbani weiterarbeiteten. Damals erkannte die internationale Gemeinschaft die Taliban nicht als Regierung an, und die afghanischen Vertretungen blieben in den Händen der Rabbani-Exilregierung.
Die Zukunft der afghanischen Vertretungen in Deutschland bleibt ungewiss und die Lage für Tausende Menschen aus Afghanistan in Deutschland angespannt. Die konsularischen Dienste werden weiterhin in einer rechtlichen Grauzone fortgeführt. Wie lange dieser Status bestehen bleibt und welche Folgen eine mögliche Kontrolle der Taliban über die Vertretungen hätte, ist unklar. Afghanische Staatsangehörige in Deutschland müssen daher weiterhin mit Unsicherheiten rechnen - besonders, wenn sie ihre Dokumente für Reisen oder Behördengänge im In- und Ausland benötigen.