Rechenzentrum für Kriminelle Vom "Cyberbunker" in den Bau
Über den "Cyberbunker" von Traben-Trarbach liefen jahrelang illegale Geschäfte: Drogendeals, Waffenhandel und Erpressungssoftware. In einem Mammutprozess wurden nun die Betreiber zu Haftstrafen verurteilt.
Mit der Unterwelt kennen sie sich gewissermaßen aus in Traben-Trarbach: Unter dem Moselstädtchen liegt ein Labyrinth aus Gewölbekellern, zur Jahrhundertwende ein regensicherer Handelsplatz von Wein für alle Welt, tief in der Erde, eine Touristenattraktion.
Seit zwei Jahren ist eine neue hinzugekommen für Freunde von Kriminalgeschichten: ein fünf Stockwerke tiefer Bunker. Er beherbergte auch einen Handelsplatz, allerdings für die Unterwelt in aller Welt: Waffen, Drogen, Erpressungssoftware. Auch die Angriffe auf eine Million Router von Telekom-Kunden im Jahr 2016 stammten von hier.
Im September 2019 zogen 650 Einsatzkräfte dem Bunker und seiner Belegschaft den Stecker. Die filmreife Razzia mündet nun im Urteil gegen acht Angeklagte. So sah es das Landgericht Trier als erwiesen an, dass sie eine kriminelle Vereinigung gebildet hatten. Der Hauptangeklagte Herman X., ein Mann aus den Niederlanden, wurde zu fünf Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.
Von außen unscheinbar, ragt der Bunker fünf Stockwerke tief in die Erde (Archiv).
Fall könnte vor Bundesgerichtshof landen
Nur in einem Fall setzte der Vorsitzende Richter Günther Köhler das Urteil zur Bewährung aus. Vom Tatvorwurf der Beihilfe zu Straftaten allerdings sprach das Gericht sie frei. Hier fehlten dem Gericht die nötigen Beweise. Die Akten könnten aber nochmal geöffnet werden: Viele Prozessbeobachter gehen davon aus, dass Rechtsmittel eingelegt werden und sich dann der Bundesgerichtshof mit dem Cyberbunker befasst.
Der Fall ist juristisch bemerkenswert: Für das Betreiben von Rechenzentren für illegale Plattformen gibt es keinen eigenen Straftatbestand. Die Ermittler haben dennoch nicht nur einzelne, illegale Shops hochgehen lassen, sondern gleich ein ganzes Rechenzentrum. Sie beendeten somit die Geschäfte nicht nur einzelner Krimineller sondern die ihres Dienstleisters.
Ein heikles Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz, da Provider nicht zur inhaltlichen Kontrolle der gehosteten Server verpflichtet sind, also normalerweise nicht wissen, ob legale oder illegale Inhalte von ihren Kunden bei ihnen verarbeitet werden. Der Paketbote darf auch nicht den Inhalt seiner Lieferung kontrollieren.
Mammutprozess zum "Cyberbunker" - die Ermittler mussten riesige Datenberge auswerten.
Bunker als teures Hobby?
Von den illegalen Inhalten der Server wusste wohl nur ein Kernteam: "Von den Personen, die zu meiner Zeit da waren, hatten nur zwei bis drei das Aufgabengebiet der Server - die restlichen haben sich eher um die Anlage und Reparaturen gekümmert", erzählt im Gespräch mit tagesschau.de ein Mann, der Wochen vor der Razzia im Bunker arbeitete und nicht genannt werden möchte.
"Es waren ausnahmslos alles sehr nette Menschen und ich hatte eine echt gute Zeit. Bei Fragen, etwa wie eine Aufgabe erledigt werden soll, wurde sich auch immer die Zeit genommen, alles gut zu erklären." Für ihn habe es sich bei dem Unternehmen "um ein komplett normales Rechenzentrum mit besonderen Standards in Hinblick auf die Sicherheit" gehandelt.
Dessen Mitarbeiter, erzählt er weiter, seien hauptsächlich Niederländer gewesen, wie der Hauptangeklagte Herman X.:
Er hat von vornherein einen netten Eindruck gemacht. Er war auch keiner, der 24 Stunden sieben Tage die Woche im Bunker saß, sondern man hat ihn schon mehrmals täglich zu Gesicht bekommen. Alles in Allem machte er den Eindruck eines netten Mannes auf mich, der sein Hobby in einem Bunker auslebt und einfach Spaß hat.
Ein teures Hobby - allein seit der Razzia hat der Unterhalt der Anlage mehr als 100.000 Euro verschlungen - das der Betreiber finanzieren musste. Schuf er deshalb die technische Infrastruktur für fast 250.000 Straftaten und warb mit Schutz vor der Verfolgung durch Behörden? Um das gerichtsfest beweisen zu können, dauerten die Ermittlungen mehrere Jahre.
Die Internetleitung des Bunkers wurde angezapft. Was bei der "Netzknotenüberwachung" rauskam, entsprach nur einem halben Prozent dessen, was die Ermittler später vorfanden: nämlich 2 Petabyte. Die geringe Menge war schon so aussagekräftig, dass sie weitere Ermittlungen rechtfertigte. Auf den 403 sichergestellten Servern fand sich bisher auch nur ein einziger legaler Inhalt: die Internetpräsenz eines Sportclubs.
Der Bunker im idyllischen Traben-Trarbach wurde zum Schauplatz der internationalen Darknet-Kriminalität (Archiv).
Mehr als 150 Festnahmen nach Server-Analyse
Der Cyberbunker war so eine wahre Goldgrube für Ermittler: 150 Festnahmen ergaben sich aus den Analysen der Server. Der Fall ist auch politisch bemerkenswert: Das Rechenzentrum befand sich im in den 1970er-Jahren erbauten Bunker des ehemaligen Amts für Wehrgeophysik in Traben-Trarbach. Beim Verkauf im Sommer 2013 war es also im Eigentum der Bundesanstalt für Immobilien. Der Bund verkaufte nun eine Immobilie, die sich gerade dadurch auszeichnet, dass sie von außen, und damit auch von Ermittlungsbehörden, nur schwer zu knacken ist.
Das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz äußerte deshalb schon beim Verkauf im Jahr 2013 Bedenken und meldete sie dem Verkäufer, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Johannes Kunz, Präsident des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz: "In diesem Vermerk wurden auch die Verbindungen der Kaufinteressenten zu Firmen und Aktivitäten dieser Firmen im Bereich Cybercrime und Urheberrechtsverletzungen geschildert. Allerdings zurückliegende Straftaten."
Politische Peinlichkeit
Der Cyberbunker von Traben-Trarbach war nicht die erste Wirkungsstätte des nun verurteilten Betreibers. Bereits vor 20 Jahren hatte Herman X. eine ähnliche Anlage in den Niederlanden, verlor aber nach einem Brand in einem Gebäudeteil die Gewerbeerlaubnis. Gebrannt hatte ein Ecstasy-Labor. Zuvor, 1998, war X. bereits wegen des Vorwurfs der Hehlerei verhaftet worden.
Trotz solcher Hinweise und des Vermerks durch das LKA verkaufte die Bundesanstalt den atomsicheren Bunker. "Der Ausschluss eines Bewerbers auf Grundlage vager Verdachtsmomente konnte danach nicht in Betracht kommen", erwiderte die Anstalt kurz nach der Razzia schriftlich.
Dieser Verkauf eines Bunkers ist für Jürgen Brauer, Generalstaatsanwalt und Gründer der rheinland-pfälzischen Landeszentralstelle zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus in Koblenz, höchst fragwürdig:
Wenn sich da Reichsbürger, eine Rockergruppierung oder was auch immer ansiedeln: Es ist ja eine Liegenschaft, die dermaßen hermetisch abgeriegelt werden kann, dass es sehr schwer ist, da reinzukommen. Da muss man sich genauer Gedanken machen, mit wem man so einen Vertrag abschließt und ob man es überhaupt in private Hände geben kann.
Es war der Gärtner
Es bedurfte vier Jahren intensiver Ermittlungen und eines verdeckten Ermittlers, der als Gärtner getarnt zunächst die Vegetation auf dem 13 Hektar großen Grundstück und schließlich das Vertrauen von Herman X. gewann. Er konnte X. dann dazu verleiten, dass er die gesamte Belegschaft aus dem Bunker hinaus zu einem von Zivilpolizisten umringten Abendessen in die Stadt brachte.
Für die Ermittler war es dann zum Schluss übrigens doch ganz einfach, in die Cyber-Unterwelt von Traben-Trarbach vorzudringen: Das Stahltor am Bunkereingang war mit einem handelsüblichen Vorhängeschloss gesichert.