Psychotherapeutische Betreuung Wo Geflüchtete Hilfe bekommen
Viele der Geflüchteten haben traumatische Erfahrungen hinter sich. Wo bekommen sie in Deutschland psychotherapeutische Hilfe, wie ist es um die Plätze bestellt - und wer übernimmt die Kosten?
Mit wie vielen Fällen wird gerechnet?
Die Schätzungen der Experten unterscheiden sich, genaue Aussagen sind schwer möglich. Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) geht aber von einem psychosozialen Versorgungsbedarf von 30 Prozent unter geflüchteten Menschen aus. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung (DPtV) Gebhard Hentschel verweist auf eine frühere Studie in einer zentralen Aufnahmeeinrichtung in Bayern. Dabei sei bei 63,6 Prozent der Asylbewerber eine oder mehrere psychische Diagnosen festgestellt worden. Eine Posttraumatische Belastungsstörung wurde demnach mit 32,2 Prozent am häufigsten diagnostiziert.
Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina schreibt in einer Stellungnahme zu Flüchtlingen aus dem Jahr 2018, dass nach Schätzungen die Hälfte der in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge durch mehrfache und massive traumatische Erfahrungen seelisch belastet sein könnten. "Wiederum die Hälfte dieser Personen dürfte nicht in der Lage sein, sich ohne fremde Hilfe zu erholen", heißt es.
Gibt es genug Anlaufstellen?
Experten beklagen seit Jahren lange Wartezeiten und fehlende Therapieplätze - gerade für Flüchtlinge. Nach Angaben des BAfF konnten schon im Jahr 2019 fast 12.000 Personen weder in den Psychosozialen Zentren versorgt, noch an andere Stellen vermittelt werden. "Deutschland ist auf diese Situation nicht ausreichend vorbereitet", sagt deshalb Geschäftsleiter Lukas Welz. Die Finanzierung der Psychosozialen Zentren sei schon jetzt prekär.
"Insbesondere in strukturschwachen und ländlichen Regionen und dem Ruhrgebiet reichen die Kapazitäten nicht aus", bestätigt auch Hentschel von der DPtV. Die Corona-Pandemie habe diese Situation verschärft. Eine kurzfristige Erweiterung der Behandlungskapazitäten sei bisher versäumt worden.
Wer übernimmt die Kosten?
Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine müssen kein Schutzverfahren durchlaufen und erhalten einen befristeten Aufenthaltsstatus. Sie bekommen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Geflüchteten haben so nur Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung etwa über Krankenscheine. Anträge für Therapien sind möglich. Die Kosten übernehmen die Sozialämter. Häufig würden sie aber negativ beschieden, die Wartezeiten sind lang, kritisieren Experten.
In einigen Bundesländern gibt es Vereinbarungen der Landesregierung mit den Krankenkassen. Dort wird die Betreuung bereits durch die Krankenkassen übernommen. Für jeden angemeldeten Leistungsberechtigten werde eine elektronische Gesundheitskarte mit besonderer Statuskennzeichnung ausgegeben, sagt eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums.
Die DPtV kritisiert allerdings, dass "den Geflüchteten nicht unmittelbar eine Versichertenkarte ausgestellt und ein regulärer Leistungsanspruch analog der GKV-Leistungen zur Verfügung steht." Vorsitzender Hentschel fordert ein deutliches Signal der Politik an die Krankenkassen, finanzielle Mittel für den Ausbau der Behandlungskapazitäten bereitzustellen. Psychotherapeuten könnten etwa zur Versorgung ermächtigt werden oder Sonderbedarfszulassungen erhalten. Zudem könnte die sogenannte Kostenerstattung ausgebaut werden. Das heißt: Patienten würden in Ausnahmefällen in einer Privatpraxis behandelt.
Zuletzt gab es Forderungen, dass Geflüchtete aus der Ukraine Zugang zu Hartz IV haben sollen. Auf diese Weise würden die Kommunen nicht nur die Kosten der Unterkunft erstattet bekommen, sondern die Menschen hätten auch die Möglichkeit, eine schnelle psychosoziale Versorgung zu erhalten, sagte die Grünen-Migrationsexpertin Filiz Polat.
Ein Problem allerdings bleibt: Insgesamt bleibt die Zahl der bewilligten Therapieplätze nach Expertenansicht gering, die Wartezeiten lang. Eine Umfrage der DPtV vom vergangenen Jahr, zeigte, dass 38 Prozent aller Antragsteller länger als sechs Monate warten mussten.
Welche Rolle spielen fehlende Sprachkenntnisse?
Die Überwindung von Sprachbarrieren sei bei der Erstbetreuung wichtig, sagt Trauma-Expertin Ulrike Schmidt. "Es ist nicht trivial für einen Therapeuten, wenn man den Patienten nicht versteht."
Doch auch hier gibt es offenbar immer wieder Probleme. Oft fehle es an Erfahrungen im Umgang mit Kriegs- und Fluchttraumata und der Arbeit mit Übersetzerinnen und Übersetzer, bemängelt Welz vom BAfF. Er fordert einen gesetzlichen Anspruch auf Übersetzung in der psychosozialen Versorgung für Geflüchtete. So könnten unter anderem Fehlbehandlungen aufgrund von Sprachbarrieren vermieden werden.
Die DPtV weist auf fehlende Dolmetscher hin. Zudem sei die Beantragung der Übernahme der Kosten für die Übersetzung während der psychotherapeutischen Gespräche aufwendig und das Genehmigungsverfahren langwierig.
Was lehren die Erfahrungen aus 2015/2016?
Durch die Erfahrungen aus den Jahren 2015/2016 wurden Angebote ausgebaut. "Es gibt Strukturen zur Behandlung traumatisierter Kriegsgeflüchteter, auf die sich jetzt zurückgreifen lässt", sagt Trauma-Expertin Schmidt. "Der hohe Bedarf an Unterstützung traumatisierter Überlebender von Folter und Krieg 2015 hat dazu geführt, dass Länder und Kommunen, vor allem aber Initiativen vor Ort Psychosoziale Zentren geschaffen haben", sagt auch BAfF-Geschäftsleiter Welz. "Darauf können wir aufbauen."
Laut DPtV zeigten die Erfahrungen, dass das psychotherapeutische Angebot Geflüchteten nur nutzen könne, wenn auch die Finanzierung der Sprach- und Kulturmittler durch die Kommunen übernommen werden.
Wie finden Betroffene oder Helferinnen und Helfer Ansprechpersonen?
Die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung hat eine umfangreiche Übersicht mit Anlaufstellen für die Gesundheitsversorgung Geflüchteter erstellt.
Der Internetdienst Arzt-Auskunft der Stiftung Gesundheit listet Ärztinnen und Ärzte auf, in deren Praxen Ukrainisch oder Russisch gesprochen wird. Unter den Medizinern finden sich Ärzte verschiedener Fachrichtungen, auch Psychologen oder Psychotherapeuten. Im Verzeichnis der Arzt-Auskunft sind rund 23.000 Einträge von Praxen gelistet, in denen Russisch verstanden wird, in 620 Praxen können sich Patienten auf Ukrainisch verständigen.
Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer bietet einen Überblick und eine Deutschlandkarte mit den Zentren.