Am Tagebau Garzweiler Zurück in die Geisterdörfer
Im rheinischen Braunkohlerevier mussten Hunderte ihr Zuhause verkaufen. Ihre Dörfer sollten dem Tagebau weichen. Doch fünf Ortschaften wurden gerettet - und müssen jetzt wiederbelebt werden.
"Ich bin hier geboren", sagt Maria Fischermann-Kamerichs. "Und ich bin hier aufgewachsen", ergänzt ihr Sohn, Marco Fischermann. Die beiden gehen an ihrem alten Haus in Kuckum vorbei im rheinischen Kohlerevier: roter Klinker, verschlossene Rollläden, verwilderter Garten.
"Wir würden gerne wieder hierhinziehen, wenn alles klappt. Zurück in unsere alte Heimat", sagt die 68-Jährige. Viele Häuser im Ort haben gelitten, aber die Verbundenheit im Dorf, die tolle Nachbarschaft, das sei schon besonders hier gewesen.
Ihr Sohn würde mit seiner Tochter in das alte Haus einziehen, wenn alles gut geht. "Es gibt marode Stellen an Dächern und Gauben, der feuchte Keller", sagt er. Aber das Haus zurückkaufen würde sich lohnen. "Das ist meine Kindheit. Das lässt man nicht einfach verfallen."
Verkauf an RWE
2018 musste die Familie das Dorf räumen. Wie den Fischermanns ist es Hunderten Familien im Ort und den benachbarten Gemeinden ergangen. Sie mussten ihre Häuser an den Energiekonzern RWE verkaufen, der die Dörfer abreißen wollte, um an die im Boden liegende Braunkohle zu kommen. Das war der Plan der Politik, bis dann ein vorzeitiges Ende des Braunkohletagebaus beschlossen wurde.
"Die Nachricht war für mich ein Schlag in die Magengrube", sagt Maria Fischermann-Kamerichs. "Das Hin und Her schmerzt. Jedes Mal, wenn ich nach Kuckum reinfahre, dann ist das voller Erinnerungen. Das Herz geht auf."
Die Ortschaft Kuckum ist eines von fünf geretteten Dörfern im rheinischen Brankohlerevier
Fünf Dörfer vor Modernisierung
210 Millionen Euro hat das Land Nordrhein-Westfalen aufgebracht, um die verlassenen Dörfer wieder aufzubauen. Keyenberg, Berverath, Unter-, Oberwestrich und Kuckum sollen modernisiert werden, obwohl die meisten Bewohner umgesiedelt wurden und in anderen Orten neu gebaut haben.
In Erkelenz kommen die Umgesiedelten und die Verbliebenen in der Stadthalle zusammen. Der Bürgermeister der Stadt, Stephan Muckel, spricht bei einer Auftaktveranstaltung zur weiteren Entwicklung der fünf geretteten Dörfer.
"Wie soll ein neuer Marktplatz aussehen? Wo könnte eine Kita sein? Wo muss das Feuerwehrgerätehaus hin? Das wollen wir hier von den Menschen aufsaugen und sammeln", erklärt der Bürgermeister. Jetzt schon hätten die Dörfer Qualitäten mit tollen Vierkanthöfen und schönen Kirchen. "Unsere Dörfer sollen nicht Spekulationsobjekte werden für Immobilienfonds, sondern mit den Menschen eine Idee vor Ort entwickeln für die Dörfer."
Mehrere Haushalte mit Interesse
Alle Umsiedler haben die Chance, ihre alten Häuser für sich oder ihre Kinder zurückzukaufen. Nach der Besichtigung wird offiziell ein Preis durch unabhängige Gutachter des Kreises Heinsberg festgestellt. RWE ist bei dem Prozess nicht beteiligt, das ist den betroffenen Familien wichtig.
"Wir wissen schon von Familien, die wieder zurück wollen", sagt Stephan Muckel. 39 Haushalte haben bisher Interesse bekundet, ihre alten Häuser in einem der fünf Dörfer zu kaufen. "RWE hat zugestimmt, dass sie die anderen, verlassenen Häuser nicht verkaufen ohne kommunale Zustimmung." Somit könnte man das neue Leben in den alten Dörfer besser im Sinne einer Dorfgemeinschaft steuern.
Auf Zetteln sammeln die Bürgerinnen und Bürger ihre Ideen und Wünsche: Kuckum soll grüner werden, Weideflächen nicht bebauen, Bau einer Begegnungsstätte für Jung und Alt.
Ruhe für die Dörfer
Ideen für ein neues Dorfleben, die auch für Maria Fischermann-Kamerichs gut klingen. Sie hofft darauf, dass der Preis für ihr altes Haus am Ende stimmt. Man sehe dort die vergangene Zeit, die man mit seinen Liebsten verbracht hat. "Ich wünsche mir, dass unser Ort wieder belebt wird und in den anderen Dörfern Ruhe einkehrt", sagt sie.
Jetzt stellt sich die Frage, wie die weitgehend leeren Dörfer wiederbelebt werden sollen. Die Anwohner haben große Pläne.