Eine Krankenschwester zieht eine Spritze mit dem Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer auf.
interview

Stiko-Mitglied Zepp "Impfungen lösen die Krise nicht allein"

Stand: 15.12.2020 16:22 Uhr

Auch in Deutschland soll in Kürze gegen Covid-19 geimpft werden. Fred Zepp von der Ständigen Impfkommission über Sicherheit, Impfskeptiker und die Frage, wann genügend Menschen geimpft sein werden.

tagesschau.de: Bis heute sollten die Bundesländer ihre Impfzentren aufgebaut haben. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Fred Zepp: Das ist unter höchstem Zeitdruck geschehen. Es geht dabei nicht nur um Räume und Ausstattung, sondern auch um Fachpersonal. Im Gesundheitswesen herrscht schon länger ein Fachkräftemangel, etwa bei Pflegekräften und fachqualifizierten Ärzten. Viele Kollegen haben sich auch aus dem Ruhestand zur Verfügung gestellt. Normalerweise hätten wir dafür Monate gebraucht. Jetzt ist es aber gelungen diese Zentren in wenigen Wochen auf die Beine zu stellen. Das ist ein sehr gutes Ergebnis. Die Zentren stehen jetzt.

Prof. Dr. Fred Zepp
Zur Person
Professor Fred Zepp ist seit 1998 Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko). Das Gremium hat die Empfehlungen zur Reihenfolge der Corona-Impfungen verfasst. Zepp ist zudem Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin an der Universitätsklinik Mainz.

tagesschau.de: Aber der Biontech-Impfstoff ist noch nicht da - zumindest nicht in der EU und Deutschland. Andere Länder haben schon mit den Impfungen begonnen ...

Zepp: In vielen Ländern außerhalb der EU hat man sich für eine Notfallzulassung entschieden. Die Behörden dort prüfen natürlich die Sicherheit und die Wirksamkeit des Impfstoffes. Weitergehende Fragen, wie zum Beispiel die Kontrolle der Herstellung, der Stabilität der Produktion oder Verträglichkeit werden zunächst nachrangig bewertet. Ziel ist dabei, den Impfstoff schneller in den Verkehr zu bringen. Damit geht man gewisse Risiken ein. In dieser Notfallzulassung ist der Hersteller auch aus der Produkthaftung raus. Bei der europäischen Zulassungsbehörde EMA will man dagegen in der Tiefe detailliert prüfen. Das halte ich für einen berechtigen Ansatz der EMA. All das geschieht zum Schutz der Menschen.

tagesschau.de: Großbritannien war das erste Land, in dem der Biontech-Impfstoff verwendet wurde. Zwei Patienten hatten danach schwere allergische Reaktionen. Beunruhigt Sie das?

Zepp: Nein, das ist zunächst nicht ungewöhnlich. Von dem was ich lese, hatten beide Personen auch Vorgeschichten mit anderen schweren allergischen Reaktionen. Man hat bei Impfungen immer Menschen mit dabei, die auch eine stärkere Reaktion zeigen können. Stabilere Ergebnisse bekommt man letztlich erst, wenn Millionen Menschen geimpft wurden. Die typischen Impfreaktionen wie Gliederschmerzen oder Abgeschlagenheit sind in der Regel spätestens nach 36 Stunden vorbei. Das betrifft die allermeisten Menschen, die sich impfen lassen.

tagesschau.de: Zudem gibt es Bedenken, dass Ältere mit einem schwächeren Immunsystem den Impfstoff schlechter vertragen können. Was ist da dran?

Zepp: Ich erwarte nicht, dass ältere Menschen besonders gefährdet sind. Konventionelle Impfstoffe bestehen meist aus Bestandteilen eines Infektionserregers mit denen das Immunsystem trainiert wird. Der neue mRNA-Impfstoff enthält dagegen nur den Bauplan für ein Struktureiweiß des Erregers. Nach Impfung stellt der Körper dann selbst Kopien dieses Eiweißes her, um die eigene Abwehr aufzubauen. Da das Immunsystem vieler älterer Mensch schwächer wird, bleibt die Frage, ob dies auch zu einer schwächeren Impfantwort führt. Das wissen wir aber noch nicht. Das müssen die Ergebnisse weiterer Studien zeigen. Hinsichtlich der Verträglichkeit der neuen Impfstoffe sehe ich aber kein Sicherheitsproblem für diese Gruppe.

tagesschau.de: Ein gutes Drittel der Bevölkerung in Deutschland will sich nicht impfen lassen. Kann die Ausbreitung des Virus trotzdem gestoppt werden?

Zepp: Das ist nicht ideal. Auch bei der Corona-Pandemie muss es ein Ziel sein, einen Herdenschutz zu erzeugen. Ich kann nachvollziehen, dass viele Menschen zunächst skeptisch reagieren. Immerhin dauert die Entwicklung und Prüfung eines Impfstoffes sonst viele Jahre. Jetzt sind es im Fall der neuen Corona-Impfstoffe nur wenige Monate gewesen. Ich bin aber zuversichtlich, dass mit dem zunehmenden Einsatz der Impfung im Laufe des nächsten Jahres die Skepsis deutlich nachlässt. Der Anteil der harten Impfgegner liegt hierzulande bei nur rund drei Prozent. Etwa ein Drittel der Bevölkerung ist zwar impfkritisch, lässt sich aber durchaus mit Daten überzeugen.

tagesschau.de: Die Ständige Impfkommission hat empfohlen, ältere Menschen über 80 Jahre in Heimen und das medizinische Personal als erste Gruppe zu impfen. Das sind etwa 8,6 Millionen Menschen. Die Stiftung Patientenschutz kritisiert, dass diese Gruppe zu groß sei. Lieber solle man sich auf die älteren Menschen konzentrieren, die besonders gefährdet seien. Was meinen Sie?

Zepp: Pflegekräfte und Mediziner sind in der Regel deutlich jünger, aber sie sind einer sehr hohen Ansteckungsgefahr ausgeliefert - etwa in Krankenhäusern und Pflegeheimen, wo sie oft Dutzende Covid-Patienten am Tag versorgen. Wir prüfen die weitere Entwicklung. Wir müssen eine Balance finden zwischen der begrenzten Verfügbarkeit der Impfstoffe, den Corona-Hochrisikogruppen und den Patienten, die an anderen Krankheiten leiden. Auch diese Menschen müssen versorgt werden. Das Gesundheitssystem muss für alle am Laufen gehalten werden.

tagesschau.de: Eine Impfpflicht soll es nicht geben. Aber Fluggesellschaften denken bereits darüber nach, nur noch geimpfte Passagiere zu an Bord zu lassen. Auch Gastronomen oder Kulturveranstalter hoffen besonders auf den Impfstoff, um wieder öffnen zu können. Könnte es sein, dass nicht geimpfte Menschen in einigen Gesellschaftsbereichen ausgeschlossen werden?

Zepp: Im medizinischen Bereich haben wir das schon. Eine Impfung ist da in bestimmten Bereichen gesetzlich geregelt und sogar eine Einstellungsvoraussetzung. Bezüglich Coronavirus-Infektionen sehe ich zwar keine Spaltung der Gesellschaft in Geimpfte und Umgeimpfte. Aber die Freizügigkeit von Menschen, die nicht geimpft sind, könnte auf absehbare Zeit eingeschränkt sein.

tagesschau.de: Ihr Ausblick auf 2021? Müssen wir lernen, mit dem Virus zu leben?

Zepp: Ja, die Durchimpfung der Bevölkerung in Deutschland wird nach meiner Einschätzung mindestens ein Jahr in Anspruch nehmen. Die Krise lösen wir nicht mit Impfungen allein, sondern auch mit der Beibehaltung von Hygienemaßnahmen und neue Therapien. Aber wir hätten nicht da landen müssen, wo wir jetzt stehen. Die Sorgfaltspflicht hat nachgelassen. Es ist durchaus menschlich, dass Teile der Bevölkerung nach diesem extremen Jahr gerade bei der Einhaltung der Hygienemaßnahmen nachlässig geworden sind. Ich rechne schon noch für die nächsten sechs Monaten mit stärkeren Einschränkungen. In einem Jahr dürften wir ein normaleres Weihnachtsfest feiern können - wenn alles gut geht.

Das Interview führte Axel John, SWR

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten am 15. Dezember 2020 die tagesschau um 16:00 Uhr und tagesschau24 um 16:25 Uhr.