Jugendoffiziere an Schulen Zwischen Werbung und Aufklärung
Immer mehr Schulen laden Soldaten in den Unterricht ein. Nicht, um für den Beruf zu werben, sondern um über Sicherheitspolitik zu sprechen. Kann das überhaupt klar getrennt werden?
Kurz nach 10 Uhr im niederrheinischen Geldern. Für die Schüler und Schülerinnen des Lise-Meitner-Gymnasiums ist es ein besonderer Start in den Tag: Sie haben Besuch von der Bundeswehr. Für viele in der Gruppe ist es die erste Begegnung mit einem Soldaten, für den Hauptmann Jos Meinköhn dagegen eine Routineveranstaltung.
"Guten Morgen! Ist es okay, wenn wir uns duzen?", fragt er freundlich in die Runde. Ein Nicken und "Klar" kommt zurück. Meinköhn trägt einen Dienstanzug mit Hemd, Krawatte und grauem Jackett. Seine blonden Haare sind streng nach hinten gekämmt. Er steht gerade, spricht laut, aber ruhig.
Zunächst erzählt der Anfang 30-Jährige von seinem BWL-Studium bei der Bundeswehr inklusive Auslandssemester an einer US-Militärakademie und anschließendem NATO-Einsatz in Litauen. Am Anfang sei das gar nicht so leicht gewesen all die Waffennamen und Kommandos auch auf Englisch draufzuhaben.
"Speerspitze der Öffentlichkeitsarbeit"
Jugendoffiziere arbeiten für den Informationsdienst der Bundeswehr - also in der Öffentlichkeitsarbeit. Sie werden vor allem von Schulen eingeladen und sollen als Referenten für Sicherheitspolitik über Ziele und Interessen der Bundeswehr im Ausland informieren und über Einsatzmöglichkeiten im Inland sprechen.
Allein 2022 haben Jugendoffiziere 4.308 solcher Vorträge an Schulen und vereinzelt auch an Universitäten gehalten. Vor der Pandemie waren es rund 3.350 pro Jahr.
Jugenoffizier Jos Meinköhn spricht mit den Schülerinnen und Schülern des Lise-Meitner-Gymnasiums in Geldern.
Vorträge, Truppenbesuche, Ausflüge
Der Anstieg habe etwas mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine zu tun, vermutet Hauptmann Meinköhn. Deshalb sei das Interesse an Schulen größer geworden.
Besucht werden Klassen ab Stufe 9. Im Angebot stehen neben 90-minütigen Vorträgen auch Truppenbesuche und Ausflüge mit Übernachtung und Planspielen, bei denen Jugendliche die Rolle eines Regierungschefs, Ministers oder einer NGO einnehmen können. Ziel ist es, sicherheitspolitische Zusammenhänge lebendig vermitteln.
Oberstleutnant Ulrich Fonrobert, Leiter der Informationsarbeit im Landeskommando Nordrhein-Westfalen, bezeichnet Jugendoffiziere als die "Speerspitze der Öffentlichkeitsarbeit". Denn diesen Job dürfe schließlich nicht jeder machen. Alle Jugendoffiziere seien bestens ausgebildet, hätten meist ein Politikstudium oder ähnliches hinter sich und seien für die Bundeswehr im Auslandseinsatz gewesen, betont er.
Bildungsgewerkschaft verurteilt "Werbeversuche"
Kritik an der Arbeit von Jugendoffizieren kommt von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die GEW ist die größte Bildungsgewerkschaft Deutschlands und hat nach eigenen Angaben rund 280.000 Mitglieder. Diese arbeiten an Kindergärten, Schulen oder Universitäten.
Auf ihrer Webseite ruft die GEW dazu auf, den "Einfluss der Bundeswehr an Schulen zurückzudrängen". Politische Bildung gehöre in die Hand von Lehrkräften und nicht in die von Jugendoffizieren. Die GEW betont in ihrer Stellungnahme, dass sie jegliche "Werbeversuche der Schulen verurteilt".
Ist die Arbeit von Jugendoffizieren an Schulen Werbung? "Ja", sagt Oberstleutnant Fonrobert. Aber sie sei nicht mehr oder weniger Werbung, als wenn ein Soldat in Uniform draußen herumlaufe.
Jugendoffiziere würden allerdings nicht für den Beruf an der Waffe werben. Dafür seien Karriereberater da. Kooperationsvereinbarungen der einzelnen Schulministerien und der Bundeswehr verbieten das Werben für Tätigkeiten bei der Bundeswehr.
Staatsbürger in Uniform
Ein Schüler stellt schon während des Vortrags Fragen zu den Zugangsvoraussetzungen für die Offizierslaufbahn. Hauptmann Meinköhn verweist auf die Karriereseite der Bundeswehr.
Eine Schülerin sagt im Anschluss: "Ich hatte schon das Gefühl, dass ich auch was über den Beruf des Soldaten gelernt habe. Besonders spannend war es, etwas über seinen persönlichen Weg zu erfahren. Aber es hat sich nicht so angefühlt, als würde mir hier jemand einen Job verkaufen wollen."
Für Jugendoffizier Meinköhn ist die Präsentation seines Werdegangs keine Werbung für den Beruf. "Wenn ich zum Beispiel erwähne, dass ich in Litauen war, dann können später gezielt Fragen zum NATO-Einsatz dort gestellt werden."
Christian Brauers unterrichtet Politik und Sozialwissenschaften am Lise-Meitner-Gymnasium und lädt regelmäßig Soldaten ein. "Es ist wichtig, mit der Bundeswehr in Kontakt zu bleiben und den Staatsbürger hinter der Uniform kennenzulernen", sagt der Lehrer. "Hier stand auch schon jemand, der über sein Posttraumatisches Belastungssyndrom gesprochen hat. Wenn, dann wäre das definitiv keine gute Werbung für den Beruf."
In all den Jahren habe er bisher nur einmal mitbekommen, dass der Besuch werblich war, so Brauers. "Das waren mir ein bisschen zu viele schöne Bundeswehr-Fotos in der Präsentation." Unter den Kollegen gebe es da geteilte Meinungen, aber von Eltern habe er bisher keinen Gegenwind gespürt.
Eltern uneinig
Die Einstellung der Eltern zu Besuchen der Bundeswehr an Schulen sei sehr unterschiedlich, sagt Claudia Koch vom Bundeselternrat. "Auch, wenn wir direkt an Berufsorientierung denken." Es liege im Ermessen der Schulen wie der Unterricht gestaltet werde.
"Wir wollen da keine Vorschriften machen. Das ist nicht unsere Aufgabe." Es komme auf die richtige Einbettung eines solchen Besuchs an, unterstreicht Koch, und das hänge eben mit der Vor- und Nachbereitung durch die Lehrkraft zusammen.
Die GEW fordert Friedensinitiativen die gleichen Möglichkeiten wie der Bundeswehr an Schulen einzuräumen. Auch solche Veranstaltungen müssen, genauso wie der Besuch eines Jugendoffiziers, von Lehrkräften vor- und nachbereitet werden, betont Politiklehrer Brauers. Das gelte für jeden externen Besuch.