Urteil zu Kirchenasyl Wann wird Humanität zur Straftat?
Die Äbtissin Mechthild Thürmer soll in drei Fällen Kirchenasyl gewährt haben - und muss sich wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt vor Gericht verantworten. Heute wird das Urteil erwartet.
Hat Mutter Mechthild Beihilfe zum illegalen Aufenthalt geleistet und sich damit strafbar gemacht? Um diese Frage geht es heute vor dem Amtsgericht Bamberg. 2020 nahm die Äbtissin des Benediktinerklosters Kirchschletten im Landkreis Bamberg drei geflüchtete Frauen - sogenannte Härtefälle - ins Kirchenasyl, als diesen die Abschiebung drohte.
Ihr Anwalt Franz Bethäuser geht von einem Freispruch aus. Mutter Mechthild habe nichts falsch gemacht, so Bethäuser. Ähnlich sieht das auch Bettina Nickel, die sich als Juristin beim Katholischen Büro in Bayern um das Thema Kirchenasyl kümmert.
"Neue Eskalationsstufe"
Die Ordensfrau ist damit nicht die erste, die sich in Bayern vor Gericht verantworten muss, weil sie Geflüchtete vor einer Abschiebung schützte. Schwester Juliane Seelmann oder Bruder Abraham - vor allem in Nordbayern, im Gebiet der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg, kam es im Gegensatz zum restlichen Bayern in den vergangenen Jahren zu mehreren Gerichtsverfahren. Als vor zwei Jahren die ersten Kirchenleute in Bayern vor Gericht standen, sprachen Beobachter deshalb von einer "neuen Eskalationsstufe".
Inzwischen aber gibt es ein wegweisendes Gerichtsurteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts, das den bayerischen Umgang mit Kirchenasylen neu ausrichten dürfte: Vor einem Jahr entschied das Bayerische Oberste Landesgericht im Fall von Bruder Abraham aus dem Kloster Münsterschwarzach, dass keine Strafbarkeit vorliegt, wer einen Asylbewerber nur duldet und nicht aktiv dazu aufruft zu bleiben.
450 Ermittlungsverfahren seit 2017
Für ihr Engagement wurde Mutter Mechthild 2021 mit dem Göttinger Friedenspreis ausgezeichnet. Derzeit gibt es in Bayern etwa 45 katholische und 38 evangelische Kirchenasyle. Das heißt, hier nehmen Kirchengemeinden, Pfarrer oder Ordensgemeinschaften Geflüchtete auf, für maximal sechs Monate. Denn wer sich ein halbes Jahr in Deutschland aufgehalten hat, hat hier ein Recht auf ein Asylverfahren.
Das Kirchenasyl ist kein eigenes Rechtsinstitut, sondern Ausdruck einer langen christlich-humanitären Tradition. In der Vergangenheit sind Kirche und Staat daher immer wieder in Konflikt gekommen, ob es strafbar ist, Kirchenasyl zu gewähren. Da keine eigenen gesetzlichen Regelungen fürs Kirchenasyl existieren, gibt es für sogenannte Härtefälle seit 2015 zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche die Vereinbarung, dass in begründeten Ausnahmefällen eine Einzelfallprüfung stattfindet. Trotzdem kam es in den vergangenen Jahren in Bayern immer wieder zu Ermittlungsverfahren.
Illegal oder christlich?
Nach Angaben des bayerischen Justizministeriums waren es seit 2017 mehr als 450 Ermittlungsverfahren wegen Kirchenasyls allein in Bayern. Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist Bayern hier viel strenger, weiß Bettina Nickel vom Katholischen Büro aus dem Austausch mit anderen Ansprechpartnern. "Da haben wir Umfragen gemacht, ob auch woanders Leute, die Kirchenasyl gewähren, strafrechtlich verfolgt werden und das haben wir nicht so rückgemeldet bekommen."
Die Entscheidung im Fall von Bruder Abraham gibt den Verantwortlichen fürs Kirchenasyl in Bayern indirekt eine Rechtssicherheit. Der Nürnberger Jesuitenpater Dieter Müller, der derzeit drei Menschen im Kirchenasyl hat, leitet aus diesem Urteil praktische Konsequenzen für sein Handeln ab: "Ich verfolge natürlich die Verfahren. Bruder Abraham, jetzt Mechthild. Ich würde mich nicht abhalten lassen, sofern ich mich korrekt ans Dossierverfahren halte und den Betroffenen korrekt informiere. Und da werde ich ihn nicht rausschmeißen in der Notsituation."
Kirchenasyle sind weiterhin gefragt: Nicht nur Jesuit Dieter Müller hat eine Warteliste. Auch das Katholische Büro Bayern meldet einen Anstieg von Anfragen für Kirchenasyle in Bayern.