Libanesen und Syrer in NRW Was steckt hinter den Krawallen im Ruhrgebiet?
Straßenkämpfe zwischen Libanesen und Syrern haben Castrop-Rauxel und Essen erschüttert. Jetzt stehen die Arbeit der Polizei und die Integrationspolitik im Fokus.
Seit etwa einer Woche halten Auseinandersetzungen zwischen Syrern und Libanesen das Ruhrgebiet in Atem, es gab mehrere Verletzte. Zunächst kam es am vergangenen Donnerstag in Castrop-Rauxel zu Straßenkämpfen, am Folgetag lieferten sich dann Hunderte Männer in Essen Auseinandersetzungen. Dabei griffen Libanesen ein syrisches Restaurant an.
In Videos in sozialen Netzwerken marschieren Männergruppen auf und wollen ihre Macht demonstrieren - auch Wisam stößt immer wieder auf solche Videos. Er wohnt in Essen und ist selbst Syrer, war aber nicht an den Auseinandersetzungen beteiligt.
Als seine Mutter in Damaskus die Videos von den Krawallen in seiner neuen Heimatstadt Essen gesehen hat, hat sie besorgt bei ihrem Sohn nachgefragt, ob alles in Ordnung sei. Im Bürgerkriegsland Syrien macht sie sich Gedanken um die Sicherheit ihres Sohnes in Nordrhein-Westfalen.
Noch keine Festnahmen
Wisam wünscht sich, dass die Täter festgenommen und bestraft werden: "Das wäre ein Signal für die Betroffenen, dass der Rechtsstaat in Deutschland funktioniert."
Tatsächlich aber muss die Essener Polizei einräumen, dass es nach den Ausschreitungen bisher noch keine einzige Festnahme gegeben hat. Zunächst haben die Einsatzkräfte die Lage beruhigen und den Tumult beenden müssen, sagt Polizeisprecher Pascal Pettinato. In Essen seien dabei vier Polizisten verletzt worden: "Da steht die Strafverfolgung erstmal ein bisschen zurück." Inzwischen aber werte man das Videomaterial der Krawalle aus, um die Täter zu ermitteln.
Rund um die Ausschreitungen haben die Beamten in NRW Personenkontrollen durchgeführt, die belegen, dass vor allem Libanesen und Syrer beteiligt waren. Die Polizei konnte zahlreiche Waffen sicherstellen - Macheten, Schlagwerkzeuge und eine Maschinenpistole.
Auslöser war ein Streit zwischen Elfjährigen
Ob es einen direkten Zusammenhang zwischen den Vorfällen in beiden Städten gibt, wird noch untersucht. Laut der zuständigen Staatsanwaltschaft in Dortmund war der Auslöser der Massenschlägerei in Castrop-Rauxel ein Streit zwischen zwei Elfjährigen.
Der Islamwissenschaftler und Clan-Experte Ralph Ghadban vermutet, dass Clan-Streitigkeiten dahinterstecken. Neu sei bei diesen Fällen, dass sich Syrer soweit organisiert hätten, "dass sie es wagen, mit etablierten Clans einen Kampf zu führen", sagte Ghadban in den tagesthemen.
Reul sieht trotzdem Fortschritte
Den Kampf gegen Clan-Kriminalität hat in Deutschland wohl niemand so prominent auf die politische Agenda gesetzt wie Herbert Reul, der Innenminister von Nordrhein-Westfalen. Sind die Krawalle in Essen und Castrop-Rauxel auch ein Scheitern seiner Bemühungen? Der CDU-Politiker will davon nichts wissen. "30 Jahre hat die Politik gepennt, hat sich keiner gekümmert", schleuderte Reul den Journalisten entgegen. Er selbst ist seit 2017 Innenminister im Amt. "Zu sagen, da hätte sich nichts bewegt, ist wirklicher Quark."
Neben der polizeilichen Arbeit rückt auch die Integrationspolitik in den Fokus. Dabei sei bisher der soziokulturelle Hintergrund von Migranten bisher zu wenig berücksichtigt worden, meint Ghadban. Einige Einwanderer brächten aus ihren Heimatländern ein gemeinschaftliches Denken mit. Man könne aber nur Individuen, nicht Gruppen integrieren, sagt Ghadban. Abschottung in Gruppen mache Integration "unheimlich schwierig". Integrationskurse seien eine erste Maßnahme, aber nicht genug.
"Die Menschen müssen zusammenkommen"
Wisam, der junge Syrer aus Essen, äußert durchaus Verständnis für den Frust der in Deutschland lebenden Libanesen. Anders als die syrischen Flüchtlinge hätten die Libanesen lange Zeit ohne klare Bleibeperspektive hier gelebt: "Die Bedingungen für die Syrer waren hundertmal besser."
Die Spannungen zwischen beiden Gruppen ließen sich nur über persönliche Begegnungen abbauen, glaubt er. "Die Menschen müssen zusammenkommen - durch kulturelle Angebote, durch Sport - damit sie den anderen als Menschen sehen."