Virchowbund ruft zu Protest auf Warum Arztpraxen heute geschlossen bleiben
Aus Protest gegen die Gesundheitspolitik bleiben heute viele Fach- und Hausarztpraxen geschlossen. Ihre Interessenvereinigung beklagt Unterfinanzierung und warnt vor Finanzinvestoren.
Noch länger auf einen Termin beim Hausarzt oder der Fachärztin warten - das droht nach Ansicht des Virchowbunds, der die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte vertritt. Der Vorsitzende Dirk Heinrich ist HNO-Arzt in Hamburg. Er sagt: "Die Praxen sind durch verschiedenste Regelungen, insbesondere aber auch durch Beschränkungen der Abrechnungsmöglichkeiten, mittlerweile so stranguliert, dass sie Leistungen einschränken müssen, weil sie das nicht mehr finanzieren können."
Das eine ist die Belastung durch Bürokratie. Rund 60 Tage im Jahr verbringen Praxen mit Papierkram, statt sich in dieser Zeit um Kranke zu kümmern. Das andere ist die Abrechnung: Für jede Behandlung gibt es Geld von der Krankenkasse. Insgesamt ist die Summe jedoch gedeckelt. Wenn die Praxen mehr Menschen behandeln, bekommen sie ihre Kosten nicht voll erstattet.
Bis zuletzt gab es noch eine Ausnahme. "Das hat man in der letzten Regierung mit der Neupatientenregelung gelockert, dass für neue Patienten alles bezahlt wird, was tatsächlich an Leistungen erbracht wird", sagt HNO-Arzt Heinrich. Ziel sei gewesen, einen Anreiz zu schaffen, dass Praxen mehr neue Patientinnen und Patienten aufnehmen. Aber diese Regelung, beklagt er, wurde in diesem Jahr abgeschafft. "Dieses Geld fehlt jetzt und das bedeutet logischerweise weniger Termine."
"Keine Verschlechterung der Versorgung in der Fläche"
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wiegelt ab: Auch er müsse sparen. Und die Neupatientenregelung habe wenig bewirkt, sagt der SPD-Politiker. Es habe wenig Gegenleistung für das zusätzliche Budget gegeben. Lauterbach betont: "Wir haben, seit diese Regelung abgeschafft wurde, keine Verschlechterung der Versorgung in der Fläche gesehen."
Termine würden knapper, die Wartezeiten länger, entgegnet der Virchowbund. Der Ärzteverband sieht die Praxen unter Druck, weil die Kosten steigen: durch höhere Gehälter fürs Personal und steigende Preise für Energie und Material.
Laut Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen GKV sind deshalb die Honorare angepasst worden. Sprecher Helge Dickau sagte: "Wir haben die Honorare der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte gerade erst neu verhandelt. Und wir haben uns mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, also der Standesvertretung der Ärztinnen und Ärzte, auf einen üppigen Anstieg der Honorare geeinigt. Und darin enthalten ist auch der Inflationsausgleich."
Die Honorare sind um 3,85 Prozent gestiegen. Die Inflation liege allerdings höher, betont der Virchowbund, bei fünf bis sechs Prozent. Demnach bleibe da ein Minus. Kein Wunder aus Sicht der Praxen also, dass sie keinen Nachwuchs finden.
Finanzinvestoren hoffen auf das große Geschäft
Stattdessen kaufen zunehmend Finanzinvestoren Praxen auf und trimmen sie dann als Ketten auf Gewinn. Dirk Heinrich macht diese Entwicklung große Sorgen: "Sie versorgen natürlich schon auch Patienten, aber mit einem anderen Fokus. Der Fokus liegt häufig auf dem Verkauf von individuellen Gesundheitsleistungen. Es werden Termine nur so vergeben, solange der Patient noch irgendwie Geld bringt."
Da sind sich die Praxen und der Bundesgesundheitsminister einig: Auch Lauterbach will den Einfluss der Investoren begrenzen und plant dafür gesetzliche Regelungen. Mit den Bundesländern laufen Gespräche, mehr Studienplätze für Medizin anzubieten, um das Nachwuchsproblem anzugehen. Doch die Fachärzte und Hausärztinnen sind überzeugt: Das löst sich nur mit besseren Bedingungen für die Arztpraxen.