Claus Philipp Maria Schenk Graf von Stauffenberg

Claus Schenk Graf von Stauffenberg "Ein etwas untypischer Soldat"

Stand: 23.07.2024 08:42 Uhr

80 Jahre nach dem versuchten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 verblasst die Erinnerung an Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Stattdessen versucht die Neue Rechte, Stauffenberg für sich zu kapern.

Von Pia Fruth, SWR

Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der schwer kriegsversehrte Wehrmachtsoffizier und Hitler-Attentäter, gilt in der Bundesrepublik heute als Ikone des deutschen Widerstands gegen das NS-Regime. Sein Portrait ziert die Buchdeckel unzähliger Biografien. Es gibt Spielfilme, Blockbuster und Theaterstücke über ihn.

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Dennoch verblasst die Erinnerung an das Ereignis. Das hat eine repräsentative Studie des Allensbach-Instituts schon 2014 ermittelt. Immer weniger junge Menschen verbinden etwas mit dem Namen Stauffenberg. Gleichzeitig verkauft ein rechtskonservativer Buchverlag erfolgreich Stauffenberg-T-Shirts im Pop-Art-Style über das Internet.

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Wenig echte Erinnerung, viel Projektion

"Stauffenberg ist neben den Geschwistern Scholl das Sinnbild für den Widerstand geworden, obwohl die Rezeptionsgeschichte durchaus kompliziert war und bis heute noch irgendwie ist", sagt Ulrich Schlie, Historiker und Professor für Sicherheits- und Strategieforschung an der Universität Bonn.

Im Podcast Das Wissen erklärt er weiter: "Wenn wir ihn wirklich verstehen wollen, tun wir gut daran, ihn zunächst einmal als einen etwas untypischen Soldaten zu verstehen."

Stauffenberg war der behütete Spross einer alten Adelsfamilie, ein Patriot, der Cello spielte, griechische Klassiker im Original las, zum engsten Freundeskreis um den Dichter Stefan George gehörte und mit Leib und Seele Offizier war.

Hitlers Hauptquartier nach dem missglückten Attentat durch Stauffenberg und seine Mitstreiter

Hitlers Hauptquartier nach dem missglückten Attentat durch Stauffenberg und seine Mitstreiter

Was am 20. Juli 1944 geschah

Am 20. Juli 1944 um die Mittagszeit deponierte er im Führerhauptquartier eine Bombe. Er ging dabei ein hohes Risiko ein: Die "Wolfsschanze" war ein Hochsicherheitskomplex aus Bunkern, Barracken und Schreibstuben, tief in den Wäldern Ostpreußens. Hitler hatte zu einer Lagebesprechung eingeladen.

Stauffenberg und eine deutschlandweit vernetzte Verschwörergruppe aus mehr als 200 Militärs, Adeligen, zivilen Männern und Frauen wollten dem Morden in den Kriegsgebieten und in den Konzentrationslagern darum möglichst schnell ein Ende setzen.

Monatelang arbeiteten sie heimlich und unter Lebensgefahr an einem Umsturzplan: Stauffenberg sollte Hitler mit einem Sprengsatz töten und damit den Weg für einen neuen Rechtsstaat frei machen. Doch das geplante Attentat scheiterte. Hitler wurde durch Stauffenbergs Bombe nur leicht verletzt, der Attentäter selbst noch in derselben Nacht standrechtlich in Berlin erschossen.

"Der erste Interpret war Hitler"

In einem historischen Radiobeitrag, den das ARD-Archivradio veröffentlicht hat, sind Reaktionen vom Tag nach dem gescheiterten Attentat zu hören: Stauffenberg, die Männer und Frauen des 20. Juli, werden zu Hochverrätern erklärt.

Kurz zuvor hatte sich Hitler selbst in einer Rundfunkansprache an die Bevölkerung gewandt. Er bezeichnete Stauffenberg und seine über 200 Mitverschworenen als "ganz kleine Clique ehrgeiziger und verbrecherisch-dummer Offiziere".

"Der erste Interpret des 20. Juli 1944 war Hitler, der damit etwas total marginalisiert hat, was viel größer war, als die Nazis natürlich zugeben wollten", meint Sophie Bechtolsheim. Sie ist Historikerin und Stauffenberg-Enkelin und muss sich bis heute mit den unterschiedlichsten Vereinnahmungen ihres Großvaters beschäftigen.

Dem SWR sagt sie: "Das Abstruse ist, dass sich alle politischen Lager versucht haben, meines Großvaters zu bemächtigen. Es gibt zum Beispiel eine Biografie aus der DDR-Zeit, die versucht, Stauffenberg in den Klassenkampf einzupflegen. Und jetzt tut es die Neue Rechte, die den Patriotismus kapert, um damit ihr eigenes Tun und Denken zu legitimieren."

Noch lange nicht fertig mit dem Thema

Auch der Militärhistoriker Ulrich Schlie beobachtet diese Entwicklung: "All diejenigen, die damals aufgestanden sind, können heute ihre Stimme nicht mehr erheben, weil sie nicht mehr leben", sagt er. "Man hat also im Grunde so lange gewartet für diese Indienstnahme, bis niemand mehr aus dem Kreis sich dagegen lautstark vernehmlich äußern kann."

Schlie hält es darum für sehr wichtig, die historische Erinnerung an Stauffenberg und die Ereignisse des 20. Juli 1944 lebendig zu halten: "Denn die Frage: Wer hält stand? Wie kann ich dafür sorgen, dass das Unrecht wieder durch Recht ersetzt wird? Das sind leider weltweit ganz aktuelle Fragen. Wir sind mit dem Thema lange noch nicht fertig."

In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Hitler habe Stauffenberg erschießen lassen. Die Erschießung der Verschwörer geschah jedoch nicht auf Hitlers direkten Befehl, sondern wurde durch Generaloberst Friedrich Fromm befohlen. Bis heute sind dessen Motive in der Wissenschaft umstritten.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen
Christina Nagel, ARD Berlin, tagesschau, 20.07.2024 08:59 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 20. Juli 2024 um 09:00 Uhr.