Weihnachten im Ahrtal Endlich wieder im eigenen Haus
Die Flutkatastrophe im Ahrtal liegt zweieinhalb Jahre zurück. Seither wurde überall repariert, abgerissen und neu aufgebaut. Vieles bleibt zu tun. Doch Ursula Hellmuth kann die Feiertage im neuen Haus verbringen.
Ursula Hellmuth steht vor ihrem neuen gelben Haus in Altenburg und strahlt. Mit dem Finger zeigt sie nach oben: "So einen schönen Erker habe ich mir schon immer gewünscht!"
Den Weg dorthin hätte sich die 78-Jährige allerdings gerne erspart. Die Witwe hatte bei der Flut im Juli 2021 im Ahrtal fast alles verloren. Sich selbst konnte sie retten, indem sie durchs Dachfenster ihres Hauses in einen gegenüberliegenden Hang schwamm. Dort verbrachte sie die Nacht - nur in Unterwäsche und der permanenten Sorge, das Wasser könnte noch weiter steigen.
Weihnachten im eigenen Haus
Was folgte, war eine Odyssee durch Notunterkünfte und Ferienwohnungen. Weil bei der Flut Unmengen von Heizöl in die Wände eingedrungen war, musste das Haus abgerissen werden. Für die 78-Jährige war klar: Sie will ein neues Haus auf ihrem bisherigen Grundstück bauen. "In meinem Alter nochmal in fremder Umgebung ganz bei null anfangen, das wollte ich mir nicht antun, dazu bin ich zu alt."
Zu alt fühlte sie sich in den vergangenen eineinhalb Jahren aber auch manchmal für das Projekt Hausbau. Hellmuth sagt heute, hätte sie gewusst, was auf sie zukommt, hätte sie es sich vielleicht nicht angetan. Anfangs gab es Schwierigkeiten mit der Versicherung, staatliche Fluthilfe musste beantragt werden, Handwerker und Baumaterialien waren rar.
Der Aufzug für ihren körperlich stark eingeschränkten Lebensgefährten funktioniert nach wie vor nicht. Hellmuth sagt mit ein bisschen Wehmut in der Stimme: "Wir ziehen in ein Haus, das gerade mal zu drei Viertel fertig ist." Ihr großes Ziel hat sie aber erreicht: Weihnachten im eigenen Haus feiern - auf eigenen Stühlen, an einem eigenen Tisch - im Erker des neu gebauten Zuhauses. Ihr größter Wunsch: endlich zur Ruhe kommen.
Ursula Hellmuth und ihr Lebensgefährte Klaus Helmut Schleich können dieses Jahr Weihnachten im eigenen Haus feiern.
Fremdeln in vertrauter Umgebung
So wie früher fühlt es sich für die Altenburgerin aber noch nicht wieder an. In ihrer Straße, mehr als 100 Meter von der Ahr entfernt, sieht es aus wie auf einer Großbaustelle. Überall wird gewerkelt, Baumaschinen, Gerüste und Kräne bestimmen das Bild.
Die meisten Häuser, die gebaut werden, sind größer und vor allem höher als die, die hier vor der Flut standen - auch aus Gründen des Hochwasserschutzes. Aber nicht nur die Häuser sehen anders aus. Die Flut hat auch das Miteinander verändert, erzählt Hellmuth. Viele hätten sich seit der Flut kaum noch gesehen. Die über Jahrzehnte gewachsene Vertrautheit sei aktuell nicht mehr überall zu spüren. Die 78-Jährige hofft, dass sich das bald wieder ändert.
Die Gemeinde Altenburg gleicht einer Großbaustelle.
Von Essen ins Ahrtal
Anja Braumüller ist auch in der Weihnachtszeit im Ahrtal unterwegs - um Spenden zu verteilen oder um beim Wiederaufbau zu helfen. Die 51-Jährige gehört zu den letzten freiwilligen Helfern im Ahrtal. Eigentlich lebt und arbeitet Braumüller in Essen, kommt aber seit zweieinhalb Jahren alle zwei Wochen in die Flutregion.
Die Bankkauffrau fährt meist am Freitagabend in Essen los - nach einer langen Arbeitswoche. "Ich habe vieles nach der Flut miterlebt. Das lässt mich nicht mehr los. Mit Anwohnern und Helfern ist eine Gemeinschaft entstanden", erzählt sie.
Gerade die Weihnachtszeit sei für viele Menschen im Ahrtal schwierig. "Die Lage ist teils immer noch katastrophal. Ich habe mir das zweieinhalb Jahre nach der Flut nicht vorstellen können." Am zweiten Adventswochenende war Braumüller etwa in Dernau, um bei Sanierungsarbeiten in einem von der Flut schwer beschädigten Haus mitzuhelfen.
Elf weitere Helfer waren mit dabei - aus dem Saarland, Nordrhein-Westfalen und sogar den Niederlanden. Nicole Driessen kommt aus Kerkrade und ist unter der Woche Krankenschwester. "Wenn die Leute sagen, danke schön, dass du da warst, dann geht mein Herz auf. Dafür mache ich das - nicht nur in der Weihnachtszeit."
Dankbar für jede helfende Hand
Hausbesitzer Thomas Klein ist froh über jede helfende Hand. Er kam bislang nur langsam voran. Die Gründe: viel Bürokratie und wenig Handwerker. "Zum Teil waren sie hier nur zum Aufmessen für ein Angebot. Das Angebot habe ich nie bekommen. Teilweise ging es nur darum, welchen Stundenlohn sie bekommen, damit sie nur mal anfangen - und dann haben sie sich nie wieder gemeldet."
Peter Hilger aus Grevenbroich gehört ebenfalls zum Helferteam. Auch er merkt, dass viele Menschen gerade jetzt in der Weihnachtszeit mit ihren Erinnerungen kämpfen. "Wir sind nicht nur als Helfer hier, sondern auch als Seelsorger. Viele Menschen kommen auf uns zu und wollen einfach nur reden", erzählt Hilger.
Anja Braumüller nickt und sagt, dass sie auch nach Weihnachten wiederkommen, um zu helfen. "Wir kennen so viele Menschen, die unsere kostenlose Hilfe bräuchten. Wir tun, was wir können. Neben unserer Arbeit wollen wir den Menschen aber auch sagen: Ihr seid nicht vergessen."
Das Ahrtal bleibt eine geschundene Region
Das Ahrtal ist inzwischen ein Ort der Gegensätze. Aufbruch und Abbruch liegen dicht beieinander. Auch Kirchen wurden von den Fluten zerstört. In Altenahr steht eine neue, kleine Holzkapelle - für Anwohner, die Gemeinschaft und Trost gerade jetzt in der Weihnachtszeit suchen.
"Es ist noch vieles bei vielen Menschen nicht in Ordnung. Weihnachten ist das Fest der Liebe und das ist nicht für jeden einfach", erzählt etwa Margret Radermacher, die regelmäßig in die Kapelle kommt.
Neben ihr sitzt Hans Ruhnke. "Dieser Ort ist für mich besonders wichtig, weil ich in Altenburg meine Frau in der Flut verloren habe. Sie wurde hier neben der Kapelle beerdigt. Die Menschen kommen zusammen und wir können miteinander reden. Das hilft", erzählt er.
Die Tiny-Kapelle in Altenahr bietet Gemeinschaft und Trost für Anwohner.
"Große emotionale Herausforderung"
Im Trauma-Hilfe-Zentrum Ahrtal weiß man, dass die Weihnachtsfeiertage und der Jahreswechsel für viele Menschen in der Region eine große Herausforderung sind. Die Leiterin der Einrichtung, Katharina Scharping, sagt, zahlreiche Menschen seien mürbe, erschöpft und gereizt. An Tagen, an denen traditionell Bilanz gezogen werden, werde das umso deutlicher. Hinzu komme die Trauer um Verwandte und Freunde, die bei der Flut gestorben sind.
Die Chefärztin erzählt: Im Laufe der Zeit seien aber auch viele Freundschaften, Beziehungen und Ehen zerbrochen. Auch weil jeder auf Krisen anders reagiere, mancher unbedingt einen Sündenbock brauche - und weil es manchmal schwer auszuhalten sei, dass es bei den anderen mit dem Wiederaufbau schneller klappt.