70 Jahre Wort zum Sonntag Vier Minuten Werte und Sinn
Heute vor 70 Jahren wandte sich im Wort zum Sonntag erstmals ein evangelischer Pastor an die Zuschauerinnen und Zuschauer der ARD. Über die Jahre hat sich die christliche Verkündigungssendung gewandelt.
Am Anfang war ein Bruch. Ein Kabelbruch im Fernsehstudio verhinderte kurzfristig, dass der katholische Prälat Klaus Mund aus Aachen das erste Wort zum Sonntag live sprechen konnte. Das war am 1. Mai 1954. Sieben Tage später wurde dann erstmals eine christliche Verkündigungssendung im deutschen Fernsehen ausgestrahlt.
Am 8. Mai 1954 wandte sich der evangelische Pastor Walter Dittmann aus dem ehemaligen Hochbunker auf dem Hamburger Heiligengeistfeld erstmals an die Zuschauerinnen und Zuschauer. "Sie haben heute Abend viel gesehen und gehört", lauteten die ersten Worte des neuen TV-Formats.
Der Krieg, die Nazi-Diktatur mitsamt ihrer mörderischen Verbrechen waren gerade einmal neun Jahre her. Doch der Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs war kein Thema in der ersten Fernsehpredigt, die damals noch zehn Minuten dauerte und live gesendet wurde.
Zweitälteste noch bestehende Sendung in Deutschland
Dittmann forderte in seinem Wort zum Sonntag eine "bestimmte Haltung", um die zahlreichen Bilder und Klänge der Welt aus einer christlichen Perspektive heraus deuten zu können. "Wenn wir ein Auge für ein gequältes Menschengesicht haben und ein Ohr für eine stille Klage, dann haben wir sehen und hören gelernt."
Auch heute, 70 Jahre nach dem ersten Wort zum Sonntag, scheinen die Äußerungen von damals nichts von ihrer Aktualität eingebüßt zu haben. So ist das Wort zum Sonntag nach der tagesschau die zweitälteste noch bestehende Sendung im deutschen Fernsehen.
Seit seinem Start 1954 ist das Format ökumenisch verantwortet. So wechseln sich heute die insgesamt acht Sprecherinnen und Sprecher der katholischen und evangelischen Kirche wöchentlich ab.
Pfarrer Horst Greim aus Eisenach war in den 1990er Jahren der erste Sprecher des Worts zum Sonntag aus der DDR.
Inhaltlich sind die Kirchen verantwortlich
In der Osternacht 2020, mitten in der Corona-Pandemie, gab es eine ökumenische Premiere: Erstmals standen mit den Bischöfen Georg Bätzing und Heinrich Bedford-Strohm gleich zwei Sprecher vor der Kamera. Damals fanden aufgrund der Schutzbestimmungen während der Coronakrise keine öffentlichen Gottesdienste statt. Es war ein historisches Wort zum Sonntag.
Für die christliche Verkündigungssendung sind inhaltlich die Kirchen verantwortlich. Aufgrund von Rundfunkstaatsverträgen und entsprechender Gesetze stehen ihnen als Körperschaften öffentlichen Rechts besondere Sendezeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu.
Der evangelische Medienbischof und Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung, sagte mit Blick auf das 70-jährige Bestehen des Worts zum Sonntag: "Es liefert keine fertigen Antworten, sondern bietet christliche Deutungshorizonte für aktuelle gesellschaftliche Fragen." Die Sendung sei zeitnah und zeitlos.
Sein katholischer Amtsbruder, Kardinal Reinhard Marx aus München ergänzte, dass die Rede von Gott auch für zentrale Fragen der Gegenwart wichtige Horizonte eröffne. "Es gibt so aus einer christlichen Perspektive Halt und Hoffnung."
Werteorientiertes Sinnangebot
Heute möchte die christliche Verkündigungssendung laut eigenem Anspruch vielmehr ein werteorientiertes Sinnangebot zu aktuellen Fragen der Zeit liefern und nicht fertige Antworten präsentieren. Die großen Kirchen haben ihre moralische Deutungshoheit eingebüßt.
Der Predigtstil der 1950er- und 1960er-Jahre ist beim Wort zum Sonntag mittlerweile Geschichte. Der christliche Glaube, seine Traditionen und Rituale sind in einer säkularen und vielfältigen Gesellschaft heute nicht mehr selbstverständlich. Waren 1954 noch mehr als 90 Prozent der Bevölkerung in Deutschland evangelisch oder römisch-katholisch, so liegen die Mitgliederzahlen der beiden großen christlichen Kirchen heute unter der Marke von 50 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Dem muss sich auch das Wort zum Sonntag stellen. Die evangelische Sprecherin Annette Behnken aus Hannover betont, dass zwar die Kirchenmitgliedschaft schwinde, nicht aber das Interesse an religiösen Fragen. Es gehe darum, direkt und schnörkellos zu den Menschen zu sprechen, über das Leben, über Sehnsüchte und Hoffnungen, über alles, was Menschen zutiefst angehe, sagt Behnken.
Der Priester und Theologe Michael Sievernich aus Frankfurt gehörte in den 1990ern ebenfalls zu den Sprechern des Worts zum Sonntag.
Im Schnitt 1,24 Millionen Zuschauer
Im Laufe der Jahrzehnte hat sich auch die Länge des Formats geändert. Aus den ursprünglich zehn Minuten sind mittlerweile vier geworden, die nun nach den tagesthemen und vor dem Fernsehfilm am späten Samstagabend gesendet werden.
Im Schnitt sehen heute 1,24 Millionen Menschen zu. Das sind zwar deutlich weniger als in den Anfangsjahrzehnten des Worts zum Sonntag. Damals schauten mehr als zehn Millionen zu. Aber das Wort zum Sonntag verzeichnet an einem Samstagabend mehr Zuschauende, als an einem Wochenende in die Fußballstadien der deutschen Profiligen gehen.
Mehr als 300 Sprecherinnen und Sprecher haben das Wort zum Sonntag in den vergangenen 70 Jahren geprägt. Dabei dauerte es drei Jahre, bis mit Erika Schwarze erstmals eine Frau über die christliche Botschaft im Fernsehen sprach.
Zweimal wandten sich Päpste im Wort zum Sonntag an die Öffentlichkeit: Johannes Paul II. im Jahr 1987 und Benedikt XVI. kurz vor seinem Deutschlandbesuch 2011. Weitere Prominente Sprecherinnen und Sprecher waren zum Beispiel: Hans Küng, die Ordensschwester Isa Vermehren, Heinrich Albertz, Hanns Lilje und Otto Dibelius.
Der katholische Priester Stephan Wahl war zwölf Jahre lang Sprecher des Worts zum Sonntag.
Horizonte öffnen und Denkanstöße liefern
Immer wieder mussten die Sprecherinnen und Sprecher auch auf aktuelle Ereignisse reagieren. Nach der Flugzeugentführung der "Landshut" am 15. Oktober 1977 in Mogadischu änderte der evangelische Pfarrer Jörg Zink sein Wort zum Sonntag kurzfristig. Und der damalige Berliner Bischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Martin Kruse, sprach 1989 nach dem Fall der Berliner Mauer im Ersten.
Aktuelle Entwicklungen und Ereignisse aus einer christlichen Perspektive heraus zu kommentieren und lebenspraktisch zu deuten, ist auch heute noch der Anspruch der Sprecherinnen und Sprecher. Der Programmdirektor Kultur des Bayerischen Rundfunks und ARD-Koordinator für Religion, Björn Wilhelm, urteilt, dass das Wort zum Sonntag mit der Zeit gegangen sei und zugleich seinen Kern bewahrt habe. In Zeiten multipler Krisen sei es wichtig, Horizonte zu öffnen, Lebenshilfe zu geben und Denkanstöße zu liefern, so Wilhelm.
Einmal im Jahr wird das Wort zum Sonntag übrigens am Samstagabend vor 21 Uhr gesendet. An diesem Wochenende ist das wieder der Fall - nämlich vor Beginn der Live-Übertragung des Eurovision Song Contest aus dem schwedischen Malmö. Und Millionen werden zuschauen und zuhören.