Interview

Die Grünen nach der Wahl ihres Spitzenduos "Der linke Flügel ist gestärkt"

Stand: 12.11.2012 17:29 Uhr

In welche Richtung steuern die Grünen? Nach der Wahl von Katrin Göring-Eckardt ins Spitzenduo wird auch über schwarz-grüne Bündnisse spekuliert. Das sei eine "krasse Fehlinterpretation", sagt der Parteilinke Ströbele im Gespräch mit tagesschau.de. Die Partei sei durch die Urwahl nach links gerückt.

tagesschau.de: Ist das Spitzenduo Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt auch Ihre Wunschkonstellation?

Hans-Christian Ströbele: Zum Teil. Ich finde, dass dieses Duo hervorragend für den kommenden Wahlkampf geeignet ist. Es wird übrigens gerade übersehen, dass Trittin 72 Prozent der Stimmen bekommen hat. Das stärkt seine Position:Trittin steht im grünen Spektrum für eine linke Politik und für soziale Gerechtigkeit.  

Zur Person

Hans-Christian Ströbele ist Abgeordneter im Bundestag für Bündnis 90/ Die Grünen und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, im Rechtsausschuss sowie im Parlamentarischen Kontrollgremium für Geheimdienste. Er besuchte Snowden letztes Jahr in Moskau.

tagesschau.de: Heißt das,Trittin soll das politische Schwergewicht sein und Göring-Eckardt ist auf Grund ihrer geringeren Stimmenzahl das Leichtgewicht?

Ströbele: Natürlich nicht. Beide sind gleichberechtigt und müssen ihre Rollen jetzt gemeinsam finden.

tagesschau.de: Dennoch stehen sie für unterschiedliche Richtungen. Was verändert sich durch Göring-Eckardt?

Ströbele: Es wird in der Partei ja viel gerätselt, warum sie so eine unerwartet hohe Stimmenzahl bekommen hat. Ich hätte damit auch nicht gerechnet. Den Grund sehe ich darin, dass viele Mitglieder auch jüngere Personen an der Spitze sehen wollen und nicht nur die Gründergeneration. Außerdem ist Göring-Eckardt auch ein Zeichen dafür, dass die Mitglieder aus dem Bündnis 90 in der Parteispitze stark vertreten sein sollen.

"Nicht die Konservativen wurden gestärkt"

tagesschau.de: Es wurde doch auch der bürgerlich wertkonservative Flügel, zu dem Göring-Eckardt gehört, gestärkt.

Ströbele: Es ist eine krasse Fehlinterpretation, aus der Urwahl den Schluss zu ziehen, dass die Reformer oder Konservativen auf dem Vormarsch sind. Trittins Wahlergebnis zeigt im Gegenteil, dass der linke Flügel gestärkt ist. Ich sehe keine Neuausrichtung zum Konservativen hin und schon gar nicht hin zur CDU.

tagesschau.de: Dennoch wird jetzt über schwarz-grüne Bündnisse auf Bundesebene debattiert. Ist eine solche Koalition wahrscheinlicher geworden?

Ströbele: Ganz und gar nicht. Alle grünen Spitzenpolitiker - auch Göring-Eckardt - machen deutlich, dass sie eine Koalition mit der SPD anstreben und eine Koalition mit der Union für nicht realistisch halten und nicht wollen.

Lieber mit den Piraten und der Linkspartei als mit der CDU

tagesschau.de: Die Grünen haben Merkels Europa-Politik unterstützt. Der von den Grünen geforderte Atomausstieg ist beschlossene Sache. Wo sind die großen unüberbrückbaren Differenzen zur Union?

Ströbele: Schauen Sie sich die Energiepolitik der Regierung an. Sie geht nicht voran, weil sie ständig wieder blockiert und infrage gestellt wird. Dann die Frage, wer die Kosten für die Energiewende tragen soll. Wir wollen die Industrie in die Pflicht nehmen und die ungerechtfertigten Ausnahmen beseitigen, die Union will dem Bürger Mehrkosten aufladen.

tagesschau.de: Das klingt aber nicht wie eine unüberbrückbare Differenz. Wo sind die Ausschlusskriterien für Schwarz-Grün?

Ströbele: Nehmen Sie das Betreuungsgeld. Das wäre mit uns nicht machbar. Merkel hat sich dazu  breitschlagen lassen, das Betreuungsgeld durchzusetzen - gegen viel Widerstand selbst in der eigenen Partei. Auch beim Thema Mindestlohn sind wir weit von der Union entfernt. Denn wir wollen wie die SPD einen gesetzlichen Mindestlohn, das will die Union aber nicht.

tagesschau.de: Wenn es nun für Rot-Grün nicht reicht, wie die Umfragen derzeit erwarten lassen, gehen die Grünen dann in die Opposition. Wollen Sie nicht regieren?  

Ströbele: Natürlich wollen wir regieren, aber es gibt ja noch andere Optionen. Ich habe mit großem Interesse gelesen, dass die Piraten vor der Wahl in Schleswig-Holstein und NRW angekündigt hatten, einen rot-grünen Ministerpräsidenten mitzuwählen. Und es gibt ja auch noch andere kleine Partei, mit der wir in einigen Inhalten übereinstimmen.

"Es gelingt immer besser, die verschiedenen Flügel zu integrieren"

tagesschau.de: Eine Zusammenarbeit mit den Piraten oder auch der Linken kann man sich aber mit einer Göring-Eckardt oder auch einem Winfried Kretschmann oder Fritz Kuhn nicht vorstellen. Droht den Grünen eine neue Zerreißprobe zwischen dem linken und rechten Lager?

Ströbele: Das Gegenteil ist der Fall. Es gelingt uns immer besser, die unterschiedlichen Positionen zu integrieren. Eine Weile hieß es, die Realos oder die Reformer in der Partei seien auf dem Vormarsch. Aber wenn wir die Positionen anschauen, die auf den letzten Parteitagen verabschiedet wurden, dann geht der Trend doch in die andere Richtung.

tagesschau.de: Warum sind dann gerade die konservativen Grünen-Politiker wie Kretschmann, Kuhn und Göring-Eckardt so erfolgreich?

Ströbele: Es gibt ganz offensichtlich ein Aufwachen im bürgerlich-konservativen Lager. Immer mehr Menschen fordern mehr Bürgerbeteiligung. Sie wollen sich aktiv einmischen in die Politik und dabei auch unkonventionelle Methoden anwenden, wie man bei den Protesten gegen "Stuttgart 21" gesehen hat. Und immer mehr Konservative entdecken den Wert von gutem ökologischem Essen, von  nachhaltiger Wirtschaft und von mehr Umweltschutz. Die Konservativen bewegen sich auf die Grünen zu - nicht umgekehrt.

"Unter Rot-Grün waren die Grünen weiter rechts als heute"

tagesschau.de: Wie hat die Partei sich Ihrer Meinung nach verändert in den letzten Jahren?

Ströbele: Die Partei verändert sich ständig, und das ist auch gut so. Mal geht es stärker in die eine Richtung, dann wieder stärker in die andere Richtung. Während der rot-grünen Koalition unter Schröder waren die Grünen in wichtigen Fragen wie zum Beispiel der Agenda-Politik weiter rechts als sie das heute sind. Jetzt gibt es dazu eine geläuterte Haltung. Das Gleiche sehen Sie beim Bundeswehr-Mandat für Afghanistan. Ein Großteil der Grünen hat sich bei der Abstimmung im Bundestag enthalten, und viele haben dagegen gestimmt.

tagesschau.de: Wäre eine schwarz-grüne Koalition im Bund für Sie und andere linke Politiker ein Grund, die Partei zu verlassen?

Ströbele: Über solche Optionen diskutiere ich, wenn es an der Zeit dafür ist. Ich sehe diese Option nicht. Die Grünen wollen keine Koalition mit der CDU. Wir werden unser Wahlziel erreichen: die Ablösung von Schwarz-Gelb durch Rot-Grün.  

Das Gespräch führte Simone von Stosch, tagesschau.de.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 12. November 2012 um 20:00 Uhr.