Vor der Sondierung mit der Union Grüner Wandel ohne klares Ziel
Die Grünen sondieren mit der Union - hadern aber mit ihrem eigenen Kurs. Welche grünen Kernthemen sind geblieben, nachdem Schwarz-Gelb 2011 den Atomausstieg beschlossen hat?
(Galgen-)Humor scheinen sie nach wie vor zu haben. Wer in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen anruft und sich verbinden lässt, hört vor dem gewünschten Gesprächspartner erstmal ein paar Takte von "Always Look on the Bright Side of Life". Der Klassiker von Eric Idle untermalt im Monty-Python-Film "Das Leben des Brian" die Kreuzigungsszene: Menschen in schier aussichtsloser Situation stimmen ein heiteres Liedchen an. Eine Szene, die auch den Zustand der Partei beschreibt?
Klar ist: Das Ergebnis der Bundestagswahl kostet Opfer. Claudia Roth, Renate Künast und Jürgen Trittin bestimmen nicht länger die Richtung von Fraktion und Partei. Damit treten Namen und Gesichter ab, die die Grünen für Jahre geprägt haben. Die mit der Partei älter geworden sind, womöglich zu alt für einen Neuanfang. Der Münsteraner Politologe Klaus Schubert stellt ein massives Nachwuchsproblem fest: "Die Grünen haben sich seit Jahren nicht ausreichend um junge Leute gekümmert. Die Altvorderen, die die Partei mitbegründet und -aufgebaut haben, haben die oberen Ränge okkupiert und nicht zuletzt darauf gehofft, die eigene Karriere nach dieser Bundestagswahl mit einem Ministeramt krönen zu können."
Schwerer Abschied von der Macht
Vor allem Jürgen Trittin schien der Abschied von der Macht schwer zu fallen. Länger als Künast brauchte er für die Entscheidung, nicht mehr für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren. Bei seinem letzten Auftritt in alter Funktion zeigte er sogar ein paar Nerven: das Lächeln ein wenig zu breit, die Worte ein wenig zu gesetzt, und schlucken musste er anfangs auch. Trittin sei dramatisch gescheitert, meint Schubert: "Es war ganz deutlich, dass er Finanzminister werden und noch mal Großes bewegen wollte."
Nach wie vor beharrt Trittin darauf, der Staat müsse Mehreinnahmen generieren, also Steuern erhöhen. Anders lasse sich das grüne Wahlprogramm nicht umsetzen, so Trittin im Bericht aus Berlin. Das sehen nicht alle in der Partei so. Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hatte Trittin scharf kritisiert. Mit der Steuerfrage könne man nur klassischen Lagerwahlkampf machen, und "das geht schief".
Kretschmann wie Trittin gehören dem Team an, das für die Grünen die Chancen für eine Koalition mit der Union auslotet. CSU-Chef Horst Seehofer hatte zunächst angekündigt, mit Trittin nicht reden zu wollen. Inzwischen, und das dürfte für den Angesprochenen viel schlimmer sein als die formulierte Ablehnung, degradierte Seehofer ihn zur Dekoration: "Kretschmann ist jetzt dabei, und Trittin ist Vergangenheit. Wenn der dabei sitzt - das stört nicht."
Wenn Union und Grüne über die Möglichkeiten einer Koalition sprechen, sitzen 22 Politiker am Tisch - 14 für die Union und acht für die Grünen. Die Teilnehmer der Sondierungsgespräche im Überblick:
CDU: Angela Merkel, Hermann Gröhe, Volker Kauder, Wolfgang Schäuble, Ronald Pofalla, Stanislaw Tillich und Volker Bouffier
CSU: Horst Seehofer, Alexander Dobrindt, Gerda Hasselfeldt, Hans-Peter Friedrich, Peter Ramsauer, Ilse Aigner und Barbara Stamm
B'90/Grüne: Claudia Roth, Cem Özdemir, Katrin Göring-Eckardt, Jürgen Trittin, Anton Hofreiter, Winfried Kretschmann, Sylvia Löhrmann und Steffi Lemke
Zwischen Partei- und Kirchentag
Mit Trittin war Katrin Göring-Eckardt als Spitzenkandidatin angetreten. Anders als Trittin scheint sie fürs Ergebnis nicht abgestraft worden zu sein. Souverän entschied sie die Wahl zur Fraktionsvorsitzenden für sich. Ein Teil der Beobachter sieht in ihr eine "Merkel in Grün", eine, an der Kritik abtropft und die sich im Wechsel der Positionen nicht verheddert. Schon einmal war Göring-Eckardt Fraktionsvorsitzende. Zwischen 2002 und 2005 focht sie für Rot-Grün und die Hartz-Reformen, um sich anlässlich des zehnten Jahrestags der Beschlüsse davon zu distanzieren.
Wofür Göring-Eckardt thematisch steht, ist schwer auszumachen. Manchmal verwischen auch die Linien zwischen Partei- und Kirchentag, zwischen Rednerpult und Kanzel. Einer der Schlüsselbegriffe der neuen Fraktionschefin ist Gerechtigkeit. Und sie selbst empfindet es offenbar als gerecht, sich nach der Wahlniederlage gleich fürs nächste Amt zu empfehlen, während der andere Spitzenkandidat gehen muss. Göring-Eckardt selbst beschrieb ihr Tun als einen Akt der Verantwortung.
Auf diesem Altar opferte sie sogar ihr Amt als Präses der EKD-Synode. Das Kirchenparlament mit 126 Mitgliedern vertritt die rund 24 Millionen evangelischen Christen in Deutschland. Schon während des Wahlkampfs hatte Göring-Eckardt das Amt ruhen lassen. Jetzt wolle sie mit ganzer Kraft an der künftigen Entwicklung ihrer Partei mitwirken. Und da ist noch Luft nach oben: 3,2 Millionen Deutsche haben in diesem Jahr grün gewählt. Nur 60.000 Menschen bundesweit sind Parteimitglieder. So viele Protestanten sind allein in der Landeskirche Schaumburg-Lippe organisiert, der kleinsten nach der in Anhalt.
Expertise in Wirtschafts- und Verkehrspolitik
Vielleicht hätte Kerstin Andreae stärkere Akzente setzen können. Auch sie hatte ihren Hut für den Fraktionsvorsitz in den Ring geworfen, musste sich aber Göring-Eckardt geschlagen geben. Am Ende waren es eben nicht genügend Abgeordnete, die in ihrer wirtschaftspolitischen Expertise den Weg zu neuen Wählerschichten erkennen wollten.
In der Verkehrspolitik hat sich bisher Anton Hofreiter einen Namen gemacht. Der Doktor der Biologie ließ es in den Auseinandersetzungen um Deutsche Bahn und Berliner Flughafen an scharfen Formulierungen nicht fehlen. Jetzt muss er sich thematisch breiter aufstellen. Seine Erscheinung wird als Alleinstellungsmerkmal nicht reichen, auch wenn manch konservatives Medium das vielleicht gern genau so gesehen hätte.
"Wähler der Mitte nicht mehr erreicht"
Von einer Volkspartei seien die Grünen weiter entfernt denn je, meint auch Politologe Schubert: "Im Prinzip haben sich die grünen Linken durchgesetzt und zu wenig auf den Konsens innerhalb der Partei geachtet. Das hatte zur Folge, dass man den Wähler in der Mitte nicht mehr erreicht hat." Dabei sei der Veggie-Day ähnlich zu bewerten gewesen wie die Pkw-Maut: "Es entsprach dem lahmen Wahlkampf, dass solche nebensächlichen Themen plötzlich eine solche Bedeutung bekamen. Dabei ist die Grundidee des Veggie-Days gar nicht schlecht gewesen und entspricht dem christlichen Prinzip, einmal in der Woche auf Fleisch zu verzichten. Aber kann man damit wirklich Punkte machen?"
Welche Themen sind noch originär grün?
Schubert ist sich sicher: Die Energiewende als "ureigenes" Thema hätte den Grünen mehr gebracht als eine Debatte über Ernährungsformen oder Steuererhöhungen. "Da hätte man auf der einen Seite die Umwelt- und Klimapolitik einbauen können", führt der Politologe aus, "auf der anderen Seite aber auch die Industriepolitik. In diesem Bereich liegen auch Wirtschaftskompetenzen vor, zum Beispiel in Fragen der technischen Entwicklung für Energiegewinnung und -transport."
Die Neuaufstellung der Parteispitze erfolgt auf der Bundesdelegiertenkonferenz Mitte Oktober. Dann wird Cem Özdemir spätestens zu den Etablierten gehören, wenn nicht zum "alten Eisen". Der 47-jährige Diplom-Sozialpädagoge ist der einzige aus dem einstigen Spitzenquartett aus Parteichefs und Spitzenkandidaten, der sein bisheriges Amt behalten will. Seit 2008 ist er Vorsitzender der Partei und steht für einen strammen Realo-Kurs. Ein "Weiter so" werde es nicht geben, hatte Özdemir in einer ersten Analyse des Wahlergebnisses gesagt, ohne aber präzise zu beschreiben, wie "Weiter" und "So" denn anders aussehen könnten.
"Schwarz-Grün können wir vergessen"
Den Platz an Özdemirs Seite dürfte Simone Peter einnehmen, ebenfalls 47 Jahre alt. Die saarländische Grünen-Fraktionsvize ist zwar bundesweit bisher kaum in Erscheinung getreten, hat aber gute Chancen, Roth im Parteivorsitz zu beerben. Peter als promovierte Mikrobiologin war Umweltministerin in der saarländischen Jamaika-Koalition mit CDU und FDP, die 2012 auseinander brach. Sie gilt als Vertreterin des linken Parteiflügels. Ihr Credo: Die Grünen müssen wieder zu ihren Kernthemen zurück. Blöd nur, dass ausgerechnet Schwarz-Gelb den Atomausstieg wohl endgültig beschlossen hat und "Atomkraft Nein Danke"-Aufkleber nur noch nostalgischen Wert besitzen. Und an Schwarz-Grün will Politologe Schubert ohnehin nicht glauben: "Das können wir vergessen. Eine Partei, die so angeschlagen ist und so wenig Selbstbewusstsein hat, kann kaum auf Augenhöhe mit einer Union verhandeln, die fast die absolute Mehrheit gewonnen hätte."
Schubert zufolge stehen die Weichen für die Grünen also in Richtung Opposition. In dieser Funktion könnten die Grünen sich profilieren, würden aber darauf verzichten, in Regierungsverantwortung zu gestalten. Und vielleicht braucht es auch noch Zeit, bis man sich wieder mit Sachthemen auseinandersetzen kann. Die Beschäftigung mit dem Personal überlagert bislang die Frage, mit welchen Themen die Grünen künftig Wähler überzeugen und sich von den anderen Parteien abgrenzen wollen. Die Entscheidung ist schwierig, die Erfahrung schmerzhaft. Das linke Wahlprogramm der Grünen verfing ebenso wenig wie die Spitzenkandidatin, die die bürgerliche Mitte gewinnen sollte. In der einen Ecke hat man verloren, in der anderen nichts gewonnen. Das kommt davon, wenn man allzu strategisch denkt und glaubt, alles auf einmal haben zu wollen.
"Atomkraft Nein Danke" gilt als ur-grüner Slogan.