"Identitäre Bewegung" "Blut-und-Boden-Ideologie modern verpackt"
Die "Identitäre Bewegung" habe sich vom Bild des Rechtsextremisten mit Glatze und Springerstiefeln verabschiedet, erklärt Experte Andreas Speit im Interview. Sie verfolge aber weiter eine "Blut-und-Boden"-Ideologie.
tagesschau24: Bisher wurde die "Identitäre Bewegung" ja als Verdachtsfall aufgeführt, jetzt gilt sie als "gesichert rechtsextremistisch". Wie erklären Sie sich diese Neubewertung?
Andreas Speit: In den letzten Jahren hat sich die gesamte rechtsextreme Szene enorm radikalisiert - auch die "Identitäre Bewegung". Sie sind der Meinung, dass ein großer Austausch in Europa vonstatten gehen würde, und das bedeute, dass die ureigene Bevölkerung ausgewechselt würde. Da sehen sie jetzt gerade eine biologische Grenze überschritten und haben diesen enormen Handlungsdruck.
tagesschau24: Die Bewegung wirkt weder roh noch gewaltbereit. Was ist radikal an den "Identitären"?
Speit: Radikal ist ihre Strategie, wie sie versuchen, in der Mitte der Gesellschaft Fuß zu fassen. Sie wollen Masse bewegen, aber keine Massenbewegung werden. Verbal sind sie tatsächlich immer radikaler geworden. Und es hat schon gewalttätige Auseinandersetzungen mit "Identitären" gegeben, sie haben schon Menschen angegriffen in der Bundesrepublik.
tagesschau24: Was sind die typischen Argumente der Bewegung?
Speit: Das typische Argument ist, dass jede Ethnie ihren angestammten Lebensraum hat. Das kennen wir von der sogenannten Neuen Rechten, es klingt so ein wenig, als ob es nicht rassistisch gemeint sei.Wenn man sich aber anschaut, wie diese Ethnien definiert werden, wird deutlich, dass es letztlich doch die alte "Blut- und Boden"-Ideologie ist. Die wird nur moderner propagiert, populistischer präsentiert und auch aktionistischer.
tagesschau24: Können Sie beschreiben warum "Identitäre" auf viele erst einmal harmlos wirken?
Speit: Es wirkt ein wenig überraschend, dass da Rechte sind, die auch reden können und die Aktionen machen, wie man sie eher aus dem alternativen linken Milieu kennt. Die Identitären, die es seit 2012 in Deutschland gibt, profitieren davon, dass wir immer noch das Bild des Rechtsextremisten mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln im Kopf haben. Man hat sich ein wenig blenden lassen.
tagesschau24: Wird dieses Modell "Volk = Rasse", so wie das früher mal hieß, denn bei den Identitären bis zu Ende gedacht? Und wie soll das funktionieren?
Speit: Letztlich wollen sie eine homogene Gesellschaft. Führende Kader der "Identitären" betonen immer wieder, dass Menschen, die hier geboren worden sind, aber Eltern mit Migrationshintergrund haben, niemals Deutsche werden können. Sie fordern ernsthaft die Re-Migration, ohne zu sagen, wie genau sie sie sich das vorstellen. Selbst Gastarbeiter, die in Deutschland das Wirtschaftswunder mitentwickelt haben, sind für sie eigentlich Störenfriede, die hier nichts zu suchen haben.
tagesschau24: Gibt es Verbindungen zwischen den "Identitären" und der AfD?
Speit: Die Position der Rückführung ist auch eine Position innerhalb der AfD. Björn Höcke geht sogar einen Schritt weiter und sagt, selbst bei Menschen, die für Einwanderung sind, müsste man eigentlich überlegen, ob sie noch in Deutschland bleiben sollten. Wir wissen, dass es zum Beispiel im wissenschaftlichen Mitarbeiterstab des Bundestags Beziehungen zur "Identitären Bewegung" gibt. Auch auf Landtagsebene hat es sie gegeben.
tagesschau24: Wie und wo agieren die "Identitären"?
Speit: Sie versuchen, ihre Position in der Mitte der Gesellschaft zu platzieren. Das ist ihnen 2016 mit der kurzen Besetzung des Brandenburger Tors auch gelungen. Das war, was sie wollten: Es wurde live berichtet. Solche Aktionen finden im kleineren Rahmen immer wieder statt. Der Unterschied ist aber, dass die Medien nicht mehr so mitspielen, wie anfänglich. Viele Journalisten haben erkannt, dass sie, wenn sie nicht aufpassen, zum PR-Berater der Bewegung werden.
tagesschau24: So richtig groß ist die Bewegung ja nicht. Welche Bedeutung hat die Gruppe bei der Etablierung rechten Gedankenguts?
Speit: Die Zahl sollte man nicht unterschätzen: Es sind 600 überzeugte Kader. Wir wissen aus internen Unterlagen, dass dort auch nicht jeder erwünscht ist, dass es sozusagen Aufnahmeprüfungen gibt. Sie sind vor allem durch Aktionen auf der Straße präsent und in sozialen Netzwerken wie YouTube und Twitter. Dort hat beispielsweise einer der führenden Kader mehr als 100.000 Follower.
Andreas Speit ist Journalist und Publizist. Er gilt als einer der renommiertesten Kenner der rechtsextremen Szene in Deutschland. Unter anderem schreibt er für die "tageszeitung" und hat zahlreiche Bücher zu den Themen Rechtsextremismus und Neonazismus herausgegeben.
tagesschau24: Welche Folgen wird die Neubewertung durch den Verfassungsschutz für die "Identitären" haben?
Speit: Vor allem wird die AfD wahrscheinlich mehr auf Distanz gehen, weil sie Angst hat, dass sie dann mehr und mehr beobachtet werden könnte. Da wird es neue Reibungen geben.
tagesschau24: Halten Sie ein Verbot dieser Bewegung für sinnvoll?
Speit: Der Name und das Logo würden verschwinden. Ich denke aber, dass diese Bewegung das Ziel hat, sich mehr durch Aktionen im Diskurs zu halten. Bei den Kadern ist anzunehmen, dass sie dann woanders weiter politisch aktiv sein werden. Teile von ihnen arbeiten jetzt schon auch in anderen Projekten mit, schreiben zum Beispiel für rechte Zeitungen.
Das Interview wurde für die schriftliche Fassung gekürzt und redigiert. Die Fragen stellte Michail Paweletz.