Nach Stopp wegen Sicherheitsbedenken Aufnahmeprogramm für Afghanen läuft wieder an
Das Aufnahmeprogramm für gefährdete Afghanen soll nach drei Monaten wieder starten. Mittlerweile warten 14.000 Menschen mit Aufnahmezusage auf ihre Visa - bis ihre Fälle abgearbeitet sind, dürfte es lange dauern.
Ende März hatte die Bundesregierung die Visavergabe und Einreise von besonders Gefährdeten aus Afghanistan über das Bundesaufnahmeprogramm vorübergehend gestoppt. Der Weg nach Deutschland war Menschenrechtlerinnen, Regimegegnern, Angehörigen verfolgter Minderheiten oder Mitarbeitenden der 2021 gestürzten Regierung damit drei Monate versperrt.
Begründung für den zeitweiligen Stopp: Sicherheitsbedenken nach Hinweisen "auf mögliche Missbrauchsversuche im Rahmen der laufenden Aufnahmeverfahren aus Afghanistan", so das Auswärtige Amt damals.
Heute nun läuft das Programm wieder an, sagte ein Ministeriumssprecher NDR Info. Als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme werden alle Antragsteller von Fachleuten deutscher Sicherheitsbehörden in der deutschen Botschaft in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad mehrere Stunden lang intensiv befragt.
1480 Menschen warten in Pakistan und dem Iran
Erst bei positivem Ergebnis werden dann Visa ausgestellt. Zunächst seien diejenigen an der Reihe, die wegen der Aussetzung der Ausreisen in Pakistan oder im Iran warten mussten. Für die Interviews müssen Aufnahmeberechtigte aus Irans Hauptstadt Teheran aber erst nach Islamabad gebracht werden.
Ende Mai warteten in beiden Städten 1480 Personen, so das Auswärtige Amt zu NDR Info. Die Ausreiseunterstützung für die 12.600 Personen mit Aufnahmezusage in Afghanistan soll anschließend folgen. Betroffene werden laut Auswärtigem Amt von einem Dienstleister im Auftrag der Bundesregierung über das weitere Vorgehen im jeweiligen Einzelfall informiert und unterstützt.
Maximal können durch das Bundesaufnahmeprogramm monatlich 1000 Menschen nach Deutschland ausreisen. Diese Zahl beinhaltet Gefährdete und Angehörige. Das hatten SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart und das Programm im Oktober 2022 gestartet. Bisher sind darüber aber noch keine Afghaninnen und Afghanen nach Deutschland gekommen. Hilfsorganisationen und Bundestagsopposition gehen davon aus, dass der Rückstau von allein mehr als 14.000 Menschen, die bereits eine Aufnahmezusage haben, nur sehr langsam abgearbeitet wird.
Noch kein Personal in Islamabad
Das Bundesinnenministerium antwortete der Linken-Abgeordneten Clara Bünger am vergangenen Mittwoch, derzeit sei "noch kein Personal der Sicherheitsbehörden für die Durchführung von Sicherheitsinterviews nach Islamabad entsandt". Wieviele Sicherheitsfachleute insgesamt eingesetzt werden und mit wie vielen Interviews pro Tag anfangs zu rechnen sei, wollten die Ministerien weder auf Anfrage der Abgeordneten noch des NDR beantworten.
Das Portal "Business Insider" hatte von zunächst lediglich fünf Befragungen pro Tag berichtet. Die Zahl wollte man im Auswärtigen Amt nicht kommentieren. Die Kapazitäten sollten aber stetig ausgebaut werden.
"Die neuen Sicherheitsüberprüfungen sind ein Wahnsinn", sagt Bünger. Sie verzögerten die Aufnahme Gefährdeter weiter massiv. "Dabei haben die Menschen keine Zeit. Sie müssen so schnell wie möglich aus Afghanistan raus, um nicht doch noch ihren Verfolgern in die Hände zu fallen. Auch in Pakistan ist es derzeit alles andere als sicher."
Der Afghanistanexperte und ehemalige Diplomat Thomas Ruttig nennt die Verzögerungen beim Bundesaufnahmeprogramm in seinem Blog eine "Bankrotterklärung für die Bundesregierung, deren Interesse an Afghanistan seit Beginn ihres Engagements in Afghanistan 2001 begrenzt war, obwohl sie immer wieder darauf verwies, dass sie als Truppenentsendeland und Geber von Entwicklungshilfe weltweit meist an zweiter oder dritter Stelle gestanden hatte".
Axel Steier von der Flüchtlingshilfsorganisation Mission Lifeline sieht keine Belege für den angeblichen Missbrauch des Visaverfahrens, womit das dreimonatige Aussetzen des Programms begründet worden war. "Das Geraune nutzt die Bundesregierung schlicht dafür, um den legalen Zuzug von Menschen aus Afghanistan mindestens zu bremsen."
Die meisten in Pakistan und im Iran wartenden afghanischen Familien können wegen latenter Gefährdung oder konkreter Drohungen der Taliban nicht zurück nach Afghanistan und haben in Pakistan keine Lebensgrundlage. Unter den Wartenden sind Menschen, die von den Taliban mit dem Tod bedroht werden wie die afghanische Politikerin Feroza Ahmadzai. Die Paschtunin hatte sich zehn Jahre lang im Rat der afghanischen Provinz Logar vor allem für Frauenrechte eingesetzt.