Fachkräftemangel Von Kanada lernen?
Deutschland braucht Fachkräfte aus dem Ausland, die Ampel arbeitet derzeit an einem Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Andere Länder sind da weiter. Kanada zum Beispiel. Zwei Minister wollen sich dort Anregungen holen.
Seine jüngste Reise führte Arbeitsminister Hubertus Heil ins brandenburgische Dahlewitz, gerade einmal 25 Kilometer Fahrstrecke von Berlin. Dort schaute er sich vor zwei Wochen bei einem Turbinenhersteller an, wie man um Fachkräfte werben kann. Das Unternehmen beschäftigt rund 2400 Menschen. Davon hat nach Firmenangaben jeder fünfte einen ausländischen Pass.
Schwere Sprache, schwerfällige Bürokratie
Der SPD-Politiker fasste seine Eindrücke kurz vor dem Aufbruch nach Kanada im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio zusammen. Menschen aus 50 Nationen arbeiteten in Dahlewitz, "und wenn man mit denen spricht, dann weiß man, was unsere Stärken sind". Es gehe darum, dass Deutschland ein sicheres Land sei mit einer starken Volkswirtschaft.
Doch ist es aber eben auch ein Land mit schwieriger Sprache und schwerfälliger Bürokratie. Deutschland hat es nicht leicht im Werben um Fachkräfte. Die aber braucht man hierzulande dringend. Das Institut der deutschen Wirtschaft schätzte die Lücke zuletzt auf rund eine halbe Million Menschen.
"Lernen, wie die das machen"
Nun reist Hubertus Heil 6000 Kilometer, um sich in Ottawa und Toronto Anregungen zu holen. Kanada sei ein klassisches Einwanderungsland. "Und wir wollen lernen, wie die das machen."
Wie Deutschland das künftig selbst machen will, hat das Bundeskabinett Ende November zumindest im Grundsatz beschlossen, in einem sogenannten Eckpunktepapier. Zentrales Thema: mehr Fachkräfte aus dem Ausland gewinnen.
Eine von der Regierung geplante Neuerung ist die sogenannte Potenzialsäule mit einem Punktesystem. Gilt also auch hier das Vorbild Kanada, das bereits 1967 ein Punktesystem einführte? Nein, sagt Wido Geis-Thöne vom Institut der deutschen Wirtschaft. Denn Kanada vergebe über sein Punktesystem auf Dauer angelegt Aufenthaltstitel. Deutschlands Pläne seien nicht so weitreichend.
Wenn man die notwendige Punktezahl zusammenbekommt, erhält man lediglich ein Visum, das für ein Jahr zur Jobsuche berechtigt. "Da sind wir in völlig unterschiedlichen Welten."
Union spricht von "verpasster Chance"
Stephan Stracke von der CSU ist Arbeitsmarktexperte der Union. Er hält das Punktesystem vor allem für "ein Zugeständnis an die FDP", die habe auf ein solches Modell gedrungen. Ein Punktesystem aber, das lediglich zur Jobsuche berechtigt, überzeugt Stracke nicht. "Das wird auch wenig Wirkung zeigen, insofern ist es eher eine verpasste Chance."
Ob im Krankenhaus, im Handwerk oder bei Ingenieuren: Überall fehlen Fachkräfte. Arbeitsminister Heil will deshalb nicht eine, sondern viele Lösungen. Er will im Inland besser aus- und weiterbilden, will mehr Frauen gewinnen.
Zugleich aber soll es eben für Menschen aus dem Nicht-EU-Ausland einfacher werden, auch jenseits des geplanten Punktesystems. Wer einen deutschen Arbeitsvertrag hat sowie einen ausländischen Abschluss und Erfahrung nachweisen kann, kann kommen. Der Abschluss muss nicht mehr vorab in Deutschland anerkannt werden. Das ist dann die sogenannte Erfahrungssäule im künftigen Modell.
Union für "Bundesagentur für Einwanderung"
CSU-Politiker Stracke hält das für den echten Paradigmenwechsel und ist deshalb skeptisch. Zugleich räumt er ein, dass der bisherige Weg ein schwieriger ist. Die in der Regierungszeit von Angela Merkel etablierten Verfahren seien reichlich langsam. "Wir haben über 1000 Stellen, die dafür zuständig sind."
Die Union schlägt daher eine "Bundesagentur für Einwanderung" vor. Die soll bündeln und Tempo machen.
Heil ist zurückhaltend, wenn es um eine neue Behörde geht, signalisiert ansonsten aber Zustimmung. Auch er betont: "Das modernste Einwanderungsrecht läuft ins Leere, wenn wir damit nicht endlich auch bürokratische Hürden einreißen." Es sei doch absurd, wenn man erst um gute Leute aus dem Ausland werbe, die aber dann abgeschreckt würden, weil andere schneller sind. "Dann haben wir im Wettbewerb verloren."
Lange und intransparente Verfahren
Aus Sicht von Geis-Thöne vom Institut der deutschen Wirtschaft fehlt es aber noch an Ideen, um wirklich schneller zu werden. Angefangen bei teils monatelangen Wartezeiten, um bei Konsulaten und Botschaften überhaupt nur einen Termin zu bekommen. Geis-Thöne hält die langen und intransparenten Verfahren für das zentrale Problem. Da nützten auch die schönsten Zugangswege nichts. Er sieht zwar den politischen Willen zur Veränderung, aber zu wenig greifbare Ideen, um das System auch wirklich umzubauen.
Viel Stoff also für zwei Tage in Kanada, bei denen auch Innenministerin Nancy Faeser dabei sein wird. Kanada jedenfalls hat, so sagt es CSU-Politiker Stracke, "eine Willkommenskultur, die sehr ausgeprägt ist". Da kann Deutschland sich sicher noch etwas abschauen.
Minister Heil sagt es nach seinen Gesprächen mit internationalen Fachkräften im brandenburgischen Dahlewitz so: "Die haben besser über unser Land geredet, als wir das manchmal selbst tun." Das müsse man sich auch in Deutschland angewöhnen.