Innenministerin Faeser Nichts als Baustellen
Die einen sehen sie auf dem Sprung zurück in die hessische Landespolitik, die anderen kritisieren ihre vielen Ankündigungen, ohne zu liefern. Bundesinnenministerin Faeser hat sich viel vorgenommen. Zu viel?
Diese Woche kann sich für Innenministerin Nancy Faeser eigentlich sehen lassen: Eine Grundsatzrede zur "Inneren Sicherheit in der Zeitenwende" bei der renommierten Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin, die Leitung des zweitägigen G7-Innenministertreffens - und dazwischen die Verkündung einer neuen Strategie gegen Organisierte Kriminalität bei der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Botschaft: Eine Macherin am Werk.
Will sich Faeser, die noch in Hessen als Oppositionsführerin im hessischen Landtag mit der Linkspartei zusammentat, um einen NSU-Untersuchungsausschuss zu beantragen, schnell ein tatkräftigeres "Law and Order-Profil" geben?
Den Eindruck kann man kriegen: Bisher lief es nicht so besonders für die 52-jährige hessische Landespolitikern im neuen Amt. Zwar wurde sie im März für ihren Aktionsplan gegen Rechtsextremismus auch von den Oppositionsparteien Union und Linkspartei durchaus respektiert. Mit "Prävention und Härte" solle Rechtextremisten begegnet werden.
Hoher Nachholbedarf
Da dem aber an politischer Umsetzung bisher nichts folgte, lautete zwischenzeitlich die Begleitmusik der Opposition: Viel heiße Luft! "Ich habe nicht den Eindruck, dass die Ministerin so richtig aus dem Quark gekommen ist", sagt Thorsten Frei, Innenpolitik-Experte und Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag.
Dabei hat Faeser innenpolitisch viel zu tun, um nicht zu sagen nachzuholen - gerade bei Themen, die Horst Seehofer wortreich jahrelang eher ausgesessen hat. Erst 2020, zwei Tage nach dem Terroranschlag von Hanau, hatte sich der langjährige CSU-Innenminister zur Aussage durchgerungen, den Rechtsextremismus als die "größte Bedrohung in unserem Land" zu bezeichnen. Es folgte im selben Jahr ein eigener GroKo-Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus, mit initiiertet durch Kanzlerin Angela Merkel. Auch SPD-Ministerien arbeiteten zu.
Viel Vorarbeit, noch wenig Umsetzung
Das sei damals ein "Paukenschlag" gewesen, urteilt Rechtsextremismus-Experte Matthias Quent. Doch der Inhalt versackte im Wahljahr 2021 und harrt der Umsetzung. Die SPD ist inzwischen Kanzlerpartei. "Es wäre interessant zu fragen, was davon umgesetzt wurde", sagt Quent heute - bis auf den Staatstrojaner fällt ihm beim Durchgehen der Punkte nicht viel auf.
Der dort geforderte "Beirat zur Förderung der wehrhaften Demokratie", ein Beratungsgremium für die Bundesregierung wie es etwa die Wirtschaftsweisen sind, besteht weiter nur auf dem Papier. Obwohl er wichtiger denn je wäre, so Quent: Denn der Bereich Rechtsextremismus wächst stetig, die beim Generalbundesanwalt anhängigen Strafverfahren weisen eine zunehmende Bewaffnung aus.
Drängende Baustellen
Bei vielen weiteren Baustellen drängt die Zeit: Die großen Defizite beim Katastrophenschutz, die Migrationspolitik mit Novelle des Staatsbürgerschaftsrechts, der virulente Antisemitismus, die Organisierte Kriminalität - und die Dauerbaustelle Demokratiefördergesetz.
Allein aus dem "Aktionsplan gegen Rechtsextremismus" ergeben sich einige gesetzliche Neuregelungen, die aber bisher nicht vorliegen: Die aus dem Trend zur Bewaffnung der rechtsextremen Szene resultierende geplante Verschärfung des Waffenrechts etwa. Oder die Änderung des Bundesdisziplinargesetzes, um Extremisten in Behörden besser verfolgen zu können. Für die angekündigten Finanzermittlungen in der Extremistenszene braucht es zusätzliche Personalressourcen etwa beim BKA.
Zu viel vorgenommen?
Zentrale Personen in Behörden und Ministerium seien dabei noch immer diejenigen, die bekannte Probleme hervorgebracht haben, urteilt die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Martina Renner: "Eine eigene politische Handschrift ist da bisher nicht zu erkennen".
Zuviele Baustellen für Faeser? Für die Unbekannte, die Olaf Scholz wie aus dem Zauberhut am Sonntag vor Bekanntgabe der Kabinettsbesetzung holte und anrief? Ein ungünstiger Start war damit programmiert: Ohne jede Möglichkeit sich vorzubereiten, nahm sie ihre Amtsgeschäfte auf. Und das bei einem so großen Haus wie dem Bundesinnenministerium, das 16 Jahre in Hand der CDU und CSU war. Man spricht hier gern vom Eigenleben, das dieser Apparat führt.
Faeser war in der SPD schon früher immer mal im Gespräch für Ämter in Berlin. Ihr eilte in ihren Reihen ein guter Ruf voraus, eine frische, andere Art zu haben. Profiliert hatte sie sich im hessischen Landtag durch ihr innenpolitisches Engagement gerade beim Thema Rechtsextremismus. Mit ihr verband die SPD die Hoffnung, eine progressivere Innenpolitik zu prägen. Jetzt wird im Regierungsviertel öfter auch dort die Frage gestellt, ob sie die Behörde und das Amt insgesamt unterschätzt hat.
Ausgerechnet die SPD kassierte Faesers Vorstoß zur Cyberabwehr in ihren ersten Wochen im Amt - sie hatte ihn an eine ältere Position der Union angelehnt. Auch die Ampelkoalitionspartner FDP und Grüne zählen nicht immer zu Faesers Unterstützern.
Bei der Vorratsdatenspeicherung etwa plädierte die Ministerin eine Verschärfung zugunsten auch der Verfolgung sexualisierter Gewaltstraftaten im Internet, die der FDP zu weit geht. Umgekehrt hört man, dass die Chefs von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt gut mit der neuen Ministerin können.
Rechtsextremismus-Experte: "Verstehe die Kritik nicht"
"Ich verstehe die Kritik an ihr im Großen und Ganzen nicht", sagt hingegen der Politologe und Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke: "Im Vergleich zu ihren Vorgängern ist sie ein Glücksfall fürs Innenministerium, gerade bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus." Allenfalls brauche Faeser eine Strategie, die Prozesse in ihrem Ministerium zu beschleunigen.
Funke, der Sachverständiger im hessischen NSU-Ausschuss war, habe die Politkerin dort als "kompetent und entschlossen" erlebt. Die Macho-Attitüde ihres früheren SPD-Amtsvorgängers Otto Schily brauche sie nicht, sie werde mit ihrer sachlichen Art anerkannt.
Nur eine Ministerin auf Zeit?
Wenig hilfreich im neuen Amt sind derzeit die Spekulationen, Faeser sei eine Ministerin auf Zeit und könne als hessische SPD-Landesvorsitzende bald auch Spitzenkandidatin dort werden.
In Hessen ist im kommenden Jahr Landtagswahl - und die SPD regiert dort schon länger nicht mehr. In ihrer Landespartei wächst die Ungeduld. Zu gern hätte man dort mit starkem Zugpferd mal wieder eine Chance, Regierungspartei zu werden.
Doch Schwarz-Grün regiert dort stabil - und dieses Mal tritt der stellvertretende Ministerpräsident Tarek Al-Wazir mit dem Anspruch an, die Grünen in die Regierung zu führen. "Mein Herz schlägt in Hessen" hatte Faeser noch beim Landesparteitag im Mai gerufen, das wurde von manchem schon als halbe Zusage interpretiert.
"Meine ganze Kraft gilt dem Innenministerium", hält sie inzwischen in jedem Gespräch dagegen. Ein Dementi klingt anders. Aber will sie am Ende als Verliererin dastehen, mit verunmöglichter Rückkehr nach Berlin? Oder als Juniorpartnerin der Grünen? Und vorher mit halber Kraft Wahlkampf führen, weil in Berlin zu viele Baustellen warten? Sie kann gar nicht weg, scheint es. Aber auch, dass sie sich von den Mühen und der Kritik des Anfangs nicht die Laune verderben lässt.