Christian Lindner, Bettina Stark-Watzinger und Jörg Kukies stehen nebeneinander im Bundespräsidialamt

Finanzministerium nach Ampel-Aus Viele Baustellen für Übergangsminister Kukies

Stand: 22.11.2024 04:02 Uhr

Der SPD-Politiker Kukies kennt sich im Finanzministerium aus, übernimmt nach dem Bruch der Ampelkoalition aber auch viele Baustellen. Was ist bis Ende Februar noch zu erwarten?

Von Nicole Kohnert und Lothar Lenz, ARD-Hauptstadtstudio

Das Bundesfinanzministerium in der Berliner Wilhelmstraße gilt nicht gerade als das übersichtlichste Regierungsgebäude der Hauptstadt: Mehr als 2.000 Räume zählt das monumentale Bauwerk, die Flure messen zusammen knapp sieben Kilometer.

Im dritten Obergeschoss des Gebäudes befindet sich das Dienstzimmer des Bundesfinanzministers. 19 seiner Vorgänger im Amt hängen als Schwarz-Weiß-Porträts im Foyer, von Fritz Schäffler (CSU, ab 1949) bis Olaf Scholz, der bis Ende 2021 das Finanzressort führte - vor seinem Wechsel ins Kanzleramt.

Christian Lindner hängt noch nicht in der Ministergalerie, seine Entlassung auf Betreiben von Bundeskanzler Scholz ist noch zu frisch. Er habe so viel Freude am Amt des Bundesfinanzministers, dass er auch Eintritt für das Dienstgebäude zahlen würde, hatte Lindner öfter gesagt.

Nun müssen sich die rund 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses auf einen neuen Chef einstellen. Jörg Kukies heißt der, und er wird sich im Detlef-Rohwedder-Haus, wie das Gebäude des Bundesfinanzministeriums offiziell heißt, weder verlaufen noch herumirren müssen: Drei Jahre hat der ehemalige Bankmanager schon hier gearbeitet - als SPD-Staatssekretär für den damaligen Finanzminister Scholz.

Zusätzliche Projekte kaum noch möglich

Nun sitzt Kukies dort, wo er sonst zu Besprechungen mit seinem Chef war: im Büro des Finanzministers - nur eben auf der anderen Seite des Schreibtischs. Zumindest so lange, bis sich nach der Neuwahl Ende Februar eine neue Bundesregierung gebildet hat, hat Kukies den Job von Lindner übernommen, als oberster Kassenwart der Bundesrepublik.

In Kukies' Dienstzimmer erinnert nichts mehr an den Amtsvorgänger Lindner. Die persönlichen Gegenstände des FDP-Chefs sind vom Schreibtisch weggeräumt.

Geblieben aber ist die politische Aufgabenstellung: einen Haushalt für das nächste Jahr aufzustellen, die finanzielle Handlungsfähigkeit der amtierenden Bundesregierung aufrechtzuerhalten, die sogenannte vorläufige Haushaltsführung für die ersten Monate des Jahres 2025 sicherzustellen. Darunter versteht man die Steuerung aller Ausgaben des Bundes, ohne dass es ein geltendes Haushaltsgesetz gibt. Alle vier Jahre kommt so etwas üblicherweise vor - immer dann, wenn eine neue Bundesregierung gewählt wird und erst nach einer Koalitionsbildung überhaupt ein Haushaltsgesetz ins Parlament eingebracht werden kann.

Die vorläufige Haushaltsführung ist vom Grundgesetz geregelt: Alle planmäßigen und gesetzlich abgesicherten Ausgaben des Bundes, etwa die Gehälter der Staatsbediensteten, laufen ganz normal weiter. Zusätzliche Projekte sind aber nur in Ausnahmefällen möglich.

Anhaltend schwache Konjunktur

Diesmal aber ist es komplizierter, denn der Haushaltsentwurf der geplatzten Ampel-Regierung für 2025 ist bereits in den Bundestag eingebracht. Über die Frage, wie die Milliardenlöcher darin zu schließen sind und welche Prioritäten es bei den Ausgaben überhaupt geben soll, ist das Dreier-Bündnis aus SPD, Grünen und FDP ja am Ende zerbrochen.

Die FDP-Abgeordneten im zuständigen Haushaltsausschuss haben auf Opposition umgeschaltet. Dass der Haushaltsentwurf für nächstes Jahr nun aber mit einer anderen Mehrheit im Bundestag, etwa mit Hilfe der Union, beschlossen werden könnte, gilt als ausgeschlossen.

Außerdem hatte das Ampel-Kabinett im Sommer noch einen Nachtragshaushalt für 2024 auf den Weg gebracht. Er war wegen der anhaltend schwachen Konjunktur notwendig geworden: Läuft die Wirtschaft schlecht, sinken die Steuereinnahmen des Staates, und die Ausgaben steigen, etwa für das Bürgergeld.

Bei einer verfestigten Rezession erlaubt die Schuldenbremse des Grundgesetzes deshalb auch eine etwas höhere Neuverschuldung - diese zusätzlichen rund zehn Milliarden Euro sollten über den Nachtragshaushalt für 2024 bereitgestellt werden. Aber auch dessen Verabschiedung ist nun offen.

Kukies zeigt sich optimistisch

Trotzdem gibt sich Kukies sicher, dass der Bund nicht in akute Zahlungsschwierigkeiten kommt: "Eine Haushaltssperre wird es, Stand jetzt, nicht geben", sagte Kukies in den wenigen Interviews, die er bisher als neuer Bundesfinanzminister gegeben hat. "Alles verändert sich. Wir schauen jeden Tag auf die Zahlen, was an Steuern reinkommt und was an Ausgaben rausgeht", erklärte Kukies noch vergangene Woche gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio.

Ein Grund für seinen - relativen - Optimismus könnte die Einnahmeentwicklung im Monat Oktober sein: Laut Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums entwickelten sich die Steuereinnahmen besser als erwartet. Beobachter nennen als mögliche Ursache, dass die Banken das gestiegene Zinsniveau mehr und mehr an Kapitalanleger weitergeben. Über die Abgeltungssteuer fließt dann ein Teil davon an den Fiskus.

Noch entscheidender aber für Kukies' Kassenabschluss dürfte der Monat Dezember sein. Üblicherweise ist das der umsatzstärkste Monat im Einzelhandel. Aber die Einkaufslust vieler Verbraucher war zuletzt sehr gehemmt.

Neue Mehrheit im Bundestag?

Was alle Planungen des neuen Bundesfinanzministers zusätzlich erschwert, ist die offene Frage, welche anderen Gesetze der zerbrochenen Ampelkoalition es möglicherweise doch noch durch den Bundestag schaffen könnten. Zum Beispiel das Steuerfortentwicklungsgesetz: Hinter dem sperrigen Namen verbirgt sich der von Lindner stets geforderte Abbau des sogenannten kalten Progression, also die Anpassung der Lohn- und Einkommensteuersätze an die Inflation.

Auch Bundeskanzler Scholz will, dass Arbeitnehmer "mehr brutto vom netto" übrig behalten. Aber findet der SPD-Politiker für das Gesetz eine neue Mehrheit im Bundestag? Das Gesetz enthält außerdem verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen, könnte also dringend benötigte Konjunkturimpulse setzen, mit Folgen für den Arbeitsmarkt und wiederum die Steuereinnahmen des Staates. Kukies muss hier mit vielen offenen Posten rechnen.

Hoher Finanzbedarf bei der Bahn

Oder das Thema Deutsche Bahn: Der Bund wollte das Staatsunternehmen eigentlich bei der Sanierung seines Schienennetzes durch einen 4,5-Milliarden- Zuschuss zum Eigenkapital unterstützen. So hatten es Kanzler Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und der damalige Finanzminister Lindner Ende August bei einer ihrer Spitzenrunden im Kanzleramt besprochen. Eine gesetzliche Grundlage für die Finanzspritze aber gibt es bisher ebenfalls nicht.

Die Bahn braucht das Geld dringend: Wenn der Bundeshaushalt 2025 nicht verabschiedet werde, fehlten der Schiene im kommenden Jahr rund 17 bis 20 Milliarden Euro, warnte der Vorsitzende der Eisenbahner-Gewerkschaft EVG, Martin Burkert, der Nachrichtenagentur dpa zufolge. Bis 2030 sei der Finanzbedarf sogar noch um ein Vielfaches größer.

Kommt der ambitionierte Zeitplan der Bahn für ihre Baustellen also ins Schlingern? Das Bundesfinanzministerium gibt sich bei dieser Frage ausgesprochen zugeknöpft. Man rechnet wohl und prüft, was möglich ist - auch unter den recht engen Vorgaben der vorläufigen Haushaltsführung.

Mehr als ein Interimsjob?

Und Kukies? Zumindest theoretisch hat er sogar Chancen, länger als Chef im Ministerium zu bleiben: Sollte die Union nach der Wahl ein Bündnis mit der SPD eingehen, wird CDU-Chef Friedrich Merz wohl Kanzler werden. Er könnte Amt des Bundesfinanzministers dem Koalitionspartner überlassen. Oder geht das einflussreiche Ressort dann doch eher an die Unionsschwester CSU? Die Spekulationen blühen.

Rezession und hohe Kosten

Sicher ist, dass die Aufgabe des nächsten Bundesfinanzministers alles andere als einfach wird. Denn es gibt bisher keine wirklichen Anzeichen für ein Anspringen der Konjunktur und damit für nachhaltig wachsende staatliche Einnahmen. Die aber werden dringend benötigt.

Nicht nur die Verteidigung wird absehbar deutlich teurer; die Demografie belastet auch die Sozialetats immer stärker. Und ab 2028 muss der Bund auch die Kredite aus der Corona-Zeit zurückzahlen, insgesamt weit mehr als 400 Milliarden Euro. Für Investitionen in die Zukunft und für die Sanierung der maroden Infrastruktur ist dann deutlich weniger Geld da.

Ganz unten im Foyer des Detlef-Rohwedder-Hauses gibt es eine Informationstafel für Besuchergruppen. "Das Bundesfinanzministerium spielt innerhalb der Bundesregierung eine tragende Rolle", heißt es da. Dass das auch für den Bruch einer amtierenden Regierungskoalition einmal zutreffen sollte, hatte bei der Beschriftung der Tafel sicher niemand geahnt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 12. November 2024 um 23:00 Uhr.