SPD-Spitzenkandidatin Faeser Hessen first
Bundesinnenministerin und Hessen-Wahlkämpferin - geht das? Nach Ansicht ihrer Partei schon. Nancy Faeser ist mit großer Mehrheit zur SPD-Spitzenkandidatin gekürt worden. Bei ihrer Rede setzte sie auf Landesthemen.
Draußen eine Handvoll Demonstranten, die die Bundesinnenministerin Nancy Faeser für ihren Asylkompromiss mit den europäischen Staaten als "Nancy Seehofer" schmähen - drinnen eine SPD-Landesvorsitzende Faeser, in deren Bewerbungsrede zur Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl das Wort Asyl kein einziges Mal vorkommt. Sie wird von ihrer Partei gefeiert, als hätte es die innerparteiliche Aufregung um den Asylkompromiss nie gegeben. Länger als vier Minuten wird begeistert applaudiert, in der anschließenden Aussprache gibt es nichts als Unterstützung für die Spitzenkandidatin.
Faeser legt Schwerpunkt auf Landesthemen
In ihrer kämpferischen Rede setzte Faeser voll und ganz auf hessische Themen: Schule, mehr Erzieherinnen, Pflege, die Veränderung der Arbeitswelt, kostenlose Meisterbriefe sowie der Kampf gegen Rechtsextremismus, der in Hanau eine besondere Bedeutung hat. Hier, am Ort des Parteitages, hatte ein rassistisch motivierter Attentäter vor drei Jahren neun Hanauer mit Migrationshintergrund erschossen.
Das Wort Respekt zog sich durch ihre Rede, ähnlich wie im Wahlkampf von Bundeskanzler Olaf Scholz. Mit dem Motto "Die besten Kräfte für Hessen" zieht die SPD in den Wahlkampf. Das ist gewollt doppeldeutig gemeint: Sie sieht ihre Kandidaten als die besten Kräfte und stellt den Kampf gegen den Fachkräftemangel in den Mittelpunkt der Kampagne.
Der Gegner wird nicht namentlich genannt
Als Hauptgegner hat sie die seit einem Vierteljahrhundert regierende CDU ausgemacht, deren amtierenden Ministerpräsidenten Boris Rhein sie nicht beim Namen nannte, aber als "Grüßaugust" bezeichnete.
Die Grünen, die zum ersten Mal einen Dreikampf um die Staatskanzlei ausgerufen haben und mit Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir einen Ministerpräsidentenkandidaten aufgestellt haben, waren ihr keine Erwähnung wert.
Spitzenkandidatin mit großer Zustimmung
Am Tag der Landtagswahl am 8. Oktober werde die CDU 8950 Tage bzw. 24 Jahre sechs Monate und einen Tag im Amt sein. "Das ist genug", rief sie ihrem begeisterten Publikum zu. Dieser Hessen-zentrierte Parteitag sollte die Zweifel zerstreuen, dass hier eine Spitzenkandidatin antritt, die eigentlich gar nicht Ministerpräsidentin werden will, sondern auch ganz zufrieden damit wäre, im Bundeskabinett zu bleiben.
Bei ihren Genossinnen und Genossen gelang das: sie wurde mit 94,4 Prozent der Delegiertenstimmen zur Spitzenkandidatin gekürt. Das Ergebnis löste Beifallsstürme aus.
Trotz des EU-Asylkompromisses stimmten rund 95% der Delegierten für Nancy Faeser.
EU-Asylkompromiss sorgt für Widerstand
Dabei hatte es im Vorfeld Befürchtungen gegeben, auf den Krönungsparteitag könnten Schatten fallen. Der Asylkompromiss, den Nancy Faeser als Bundesinnenministerin ausgehandelt hat, stieß auch in der hessischen SPD auf Kritik. Die frühere SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti nahm ihn zum Anlass, ihr Parteibuch zurückzugeben. Drei ehemalige Landtagsabgeordnete machten ihrem Ärger über die Einrichtung von Lagern an den europäischen Außengrenzen mit einem offenen Brief an die "liebe Nancy" Luft und bezeichneten die Vereinbarung als "zutiefst inhuman".
Deshalb gab es in der Woche vor dem Parteitag mehrere Schaltkonferenzen mit den Jusos und SPD-Mitgliedern, um die Vereinbarungen zu erklären und die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen. Die Jusos stellten zwar einen Antrag, das umstrittene Grenzverfahren in der EU abzulehnen, gelobten aber gleichzeitig Treue. Sie hätten noch Fragen beim Asylverfahren, aber: "Man hört bis hierher, wie laut Dein Herz für Hessen schlägt. Deshalb unterstützen wir Dich im Wahlkampf."
Marius Weiß abgestraft
Und auch ein anderes Problemthema wurde durch Gespräche im Vorfeld des Parteitags eingehegt. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag, Marius Weiß, hatte seine Einfahrtsgenehmigung zum Landtagsgebäude kopiert, um seiner Frau einen Parkplatz zu verschaffen. Deswegen wird wegen Urkundenfälschung gegen ihn ermittelt. Mittlerweile hat er einen Fehler eingeräumt - zu spät, fanden viele.
Dass er auf der Landtagswahlliste der Partei noch höher platziert werden sollte, wurde als ungerechtfertigte Belohnung empfunden. Gestern Abend wurde er auf einen schlechteren Listenplatz verbannt, wohl auch auf Betreiben der Spitzenkandidatin.
Klingbeil gibt sich optimistisch
Nichts sollte einen Schatten auf Faesers Start in den Landtagswahlkampf werfen. "Es fällt mir nicht leicht, Nancy herzugeben", hatte SPD-Bundesvorsitzender Lars Klingbeil zu Beginn des Parteitages gesagt. Aber er freue sich schon darauf, am 8. Oktober vor die Kameras zu treten und sagen zu können: "Wir haben Hessen gewonnen."
Das ist angesichts der derzeitigen Umfragen das ehrgeizige, aber gemeinsame Ziel. Das schweißte die hessischen Genossen heute in Hanau zusammen - zumindest für den Augenblick.