Wie Ampel und Union streiten Hütchenspiel um die Corona-Impfpflicht
Eine allgemeine Impfpflicht ist strittig - das Thema komplex. Eigentlich viel zu komplex für parteitaktische Gefechte. Warum gibt es sie trotzdem?
Karl Lauterbach hat viele Hüte auf: Nachts ist er meist Epidemiologe und Arzt. Dann wühlt er sich durch die Corona-Fachliteratur und teilt auf Twitter seine Erkenntnisse. Es gibt so viel, was die Bürger wissen müssen, aber es gibt noch mehr Fragen und auf vieles keine Antworten. Wann ist endlich Schluss mit dem Albtraum? Kommt die Impfpflicht? Und wenn ja, wann? Corona ist eine Blackbox. Omikron ein Rätsel. Bedrohung oder doch Hoffnung?
Heute trat Lauterbach als Bundesgesundheitsminister auf. Im Bundestag hat er auf der Regierungsbank Platz genommen. Knapp anderthalb Stunden hat ihm das Bundestagspräsidium für seinen Fachbereich eingeräumt. In diesen Zeiten darf er sich voller Aufmerksamkeit gewiss sein. Einmal mehr wirbt er fürs Impfen.
Omikron - Welle, Wand oder ein Hügel
Es sind entscheidende Wochen in der Pandemie. Omikron entfaltet seine volle Wucht. Die Welle staut sich auf zur Wand. Lauterbach spricht lieber vom steilen Hügel. Durchlaufen lassen, möglichst viele durch Infektion immunisieren und auf eine endemische Entwicklung hoffen - Spanien und Großbritannien machen das so. Das sei nichts für Deutschland, warnt der Gesundheitsminister. Dafür sei sie Impfquote gerade bei den über 60-Jährigen hierzulande einfach zu gering.
Scholz' Zeitplan ist längst obsolet
Also eine Impfpflicht? Das Thema hat längst Erregungstemperatur im Bundestag. Lauterbach will sie, unbedingt. Wie auch der Kanzler. Schulter an Schulter kämpfe man dafür. Nur nicht als Regierung, bei der man ja eigentlich Führung bestellen kann - und auch erwarten darf. So hatte es Olaf Scholz schließlich selbstbewusst angekündigt. Die Impfpflicht käme noch im März. Längst ist klar: Der Zeitplan ist wohl nicht einzuhalten. Jetzt backt Scholz kleinere Brötchen.
Drückt sich die Regierung?
Scholz und Lauterbach haben sich den Hut der einfachen Abgeordneten aufgesetzt. Die Frage der Impfpflicht machte der Kanzler zur Gewissensfrage, damit ist sie aus der Mitte des Parlaments zu beantworten. Und nicht von seiner Regierung. Dass es in der Ampelkoalition Gegner einer allgemeinen Impfpflicht gibt und eine Regierungsmehrheit alles andere als sicher wäre, dürfte den Sinneswandel beflügelt haben.
Jedenfalls war ein erster Antragsentwurf gegen die Impfpflicht sehr schnell auf dem Markt. Die Feder führte Wolfgang Kubicki, stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP. Unterschrieben haben 30 Abgeordnete, vor allem aus seiner Partei. "Der Bundestag bekräftigt, dass es in der Bundesrepublik Deutschland keine allgemeine Impfpflicht gegen Sars-CoV-2 geben wird", heißt es darin klipp und klar.
Munition für die Union
Das wiederum dürfte die Union beflügelt haben. Das Thema bietet der auf die Oppositionsrolle reduzierten Partei auf Sinnsuche willkommene Munition. Sie hält nichts vom Hütchenspiel der Regierung. "Verschanzen Sie sich nicht hinter der Gewissensfrage und eiern Sie nicht weiter herum, sagen Sie der Bevölkerung, was Sie genau vorhaben und ob die Ampel-Koalition hinter Kanzler und Gesundheitsminister steht", fordert CDU-Mann Erwin Rüddel. Man erwarte von Scholz und Co einen "Gesetzesvorschlag mit Substanz" und eine Antwort auf die Frage, wie die Regierung es mit einem Impfregister halte.
Verstörend sei es, dass die Union jeden Gestaltungsanspruch aufgegeben habe, giftet FDP- Fraktionsgeschäftsführer Vogel in einem Interview zurück.
Steinmeier spricht von Debattenpflicht
Dabei taugt das Thema wenig fürs taktische Parteiengefecht. So warnt etwa der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß: Zu viel Streit gefährde am Ende die Akzeptanz jeder Maßnahme. Er spricht sich für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren aus.
Impfpflicht sei Debattenpflicht, sagt dagegen der Bundespräsident. Eine solch außergewöhnliche Maßnahme stelle den Staat in eine außergewöhnliche Pflicht gegenüber seinen Bürgern. Und Fragen gibt es genug, Frank-Walter-Steinmeier hörte sie am Mittwoch aus erster Hand: Wie zuverlässig sind Wirkungsdauer und Wirkungsgrad der Impfungen angesichts der Ansteckung auch von Ungeimpften? Wie viele Impfungen wird es brauchen? Welche Folgen hat es, wenn Impfunwillige Bußgelder nicht bezahlen? Und kann die Omikronwelle, die am Ende so viele infizieren und vielleicht immunisieren wird, die Impfpflicht nicht obsolet machen?
Bloß kein zweites Pandemiejahr
Nein, sagt der Mann mit den vielen Hüten klar - für Omikron sei es eh zu spät. Es gehe darum, nicht in ein viertes Pandemiejahr zu stolpern, sondern vorbereitet zu sein, wenn noch gefährlichere Varianten die Bürger bedrohten, so Lauterbach.
Moralisch vertretbar und medizinisch geboten sei die Impfpflicht, führt er aus. Verweigerten alle eine Impfung, "würden wir die Pandemie wahrscheinlich nie beenden können".
Entscheidung im März?
So wird jetzt Tempo gebremst und in der letzten Januarwoche erst einmal sehr grundsätzlich im Bundestag debattiert. Voraussichtlich über drei unterschiedliche Gruppenanträge. Neben dem kategorischen Nein und dem klaren Ja zur allgemeinen Impfpflicht arbeiten Abgeordnete an einer Regelung für ältere Menschen und bestimmte Berufsgruppen. Im März könnte dann entschieden werden.
Kanzler und Gesundheitsminister können dann nur hoffen, dass sie auch als einfache Abgeordnete ausreichend Argumente und Strahlkraft haben.