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Bundeswahlleiter im Interview "Mein Druckmittel ist das Telefon"

Stand: 22.09.2013 09:54 Uhr

Bundeswahlleiter Egeler ist für die Durchführung der Bundestagswahl verantwortlich. Abstimmen muss er sich mit vielen, Anweisungen kann er nicht geben. Im tagesschau.de-Interview erzählt er, warum diese Wahl schwieriger ist als andere und wie er mit Auszählpannen umgeht.

tagesschau.de: Wann hat für Sie die Bundestagswahl angefangen?

Roderich Egeler: Das war ein Zeitpunkt, zu dem andere noch gar nicht an die Wahl denken: ungefähr 15 Monate nach der letzten Wahl. Denn ich bin auch Vorsitzender der Wahlkreiskommission, die sich mit der Frage befasst, ob man die Wahlkreise aufgrund demografischer Entwicklungen neu zuschneiden muss. Wir machen dem Bundestag über das Innenministerium 15 Monate nach der Wahl einen Vorschlag, wie Wahlkreise zugeschnitten werden sollten. Das ist für mich der Start.

Zur Person

Roderich Egeler ist seit 2008 Präsident des Statistischen Bundesamtes und Bundeswahlleiter. In dieser Funktion ist der gelernte Volkswirt für die Durchführung der Bundestagswahl verantwortlich

tagesschau.de: Was sind danach die wichtigsten Etappen?

Egeler: Vor jeder Wahl wird diskutiert, wie das Wahlgesetz oder die Bundeswahlordnung geändert werden müssen. In diese politische Diskussion bin ich eingebunden. Das fängt etwa zwei Jahre vor der Wahl an. Wenn alles gut läuft, hat man ein Jahr vor der Wahl ein fertiges Gesetz und kann sich als Bundeswahlleiter in aller Ruhe auf die Wahl vorbereiten.

"Ich kann den Landeswahlleitern nichts vorschreiben"

tagesschau.de: Diesmal gilt aber zum ersten Mal ein neues Wahlrecht, das erst wenige Monate vor der Wahl in Kraft getreten ist. Macht das für Sie die Arbeit schwieriger?

Egeler: Ja. Weil das Gesetz so spät verabschiedet worden ist, blieb weniger Zeit, um sich mit den anderen Wahlorganen abzustimmen. Wahlen werden ja von sogenannten Wahlorganen organisiert, die zwar einen gesetzlichen Auftrag haben, aber losgelöst sind von der staatlichen Gewalt. Wir sind untereinander nicht weisungsbefugt. Ich kann also den Landeswahlleitern und  -leiterinnen nicht vorschreiben, was sie tun oder wie sie zu entscheiden haben. Die Landeswahlleiter können auch nicht die Kreiswahlleiter anweisen und die Kreiswahlleiter nicht die Vorsteher der Wahlbezirke. Wir müssen einen Konsens finden, wie wir das Gesetz auslegen und gemeinsam umsetzen. Dass der Zeitraum dafür diesmal verkürzt ist, macht unser Geschäft etwas enger und anstrengender.

tagesschau.de: Die Sitzverteilung wird durch das neue Wahlrecht anders berechnet als bisher. Bedeutet das für Sie zusätzliche Schwierigkeiten?

Egeler: Bildlich gesprochen kippen wir am Wahlabend die Zahlen oben in die Computer rein und unten kommt die Sitzverteilung raus - mit den Überhang- und den Ausgleichsmandaten. Aber der Weg dorthin war keineswegs trivial. Ich habe mit meinen Mathematikern und Juristen zusammengesessen, um einen Algorithmus zu entwickeln, der sicherstellt, dass das Ergebnis dem Willen des Gesetzgebers entspricht.

tagesschau.de: Wie bereiten Sie sich persönlich auf den Wahltag vor?

Egeler: Ich reise schon am Samstag an, bin mittags in Berlin und gehe in den Reichstag: Dort haben wir eine Abschlussbesprechung. Dann folgt ein letzter Test der Systeme - Sie können sich vorstellen, dass eine Wahl mit 62 Millionen Wahlberechtigten und der Verkündung des Ergebnisses gegen Mitternacht nur möglich ist, wenn man reibungslos funktionierende Systeme im Einsatz hat. Dazu muss man intensiv testen. Am Samstag findet ein abschließender Test mit allen Landeswahlleitern statt, um sicherzustellen, dass die Datenübertragung funktioniert.

"Nach 20 Uhr geht es Schlag auf Schlag"

tagesschau.de: Wie läuft der Wahltag selbst ab?

Egeler: Der Tag beginnt früh am Sonntag. Ich treffe mich am späten Vormittag mit der Berliner Landeswahlleiterin. Wir besuchen ein Wahllokal und bedanken uns bei den Wahlhelfern - stellvertretend für die 630.000 bundesweit. Am frühen Nachmittag trete ich vor die Presse und teile mit, wie hoch die Wahlbeteiligung bundesweit um 14 Uhr war. Und dann wird es spannend, weil um 18 Uhr die Wahllokale schließen. Drei Ereignisse sind danach im Kopf: In allen Wahllokalen läuft die Auszählung, die Institute sind dabei, ihre Prognosen und dann ihre Hochrechnungen zu verkünden, und wir warten und schauen, wann der erste ausgezählte Wahlkreis bei uns eingeht. In der Regel ist das gegen 20 Uhr. Danach geht es Schlag auf Schlag.

tagesschau.de: Wie laufen die Ergebnisse bei Ihnen ein?

Egeler: Die laufen elektronisch ein: Sie gehen über den Wahlbezirk zur Gemeinde, die Gemeinde sammelt die Ergebnisse der Wahlbezirke und meldet sie dem Kreiswahlleiter. Der Kreiswahlleiter meldet das fertig ausgezählte Ergebnis seines Wahlkreises dem Landeswahlleiter und der meldet es mir. In den Zwischenstufen wird nicht nur durchgereicht, sondern auch geprüft: Kann das sein? Ist das Ergebnis vollständig?

tagesschau.de: Das Bundesgebiet hat 299 Wahlkreise und etwa 80.000 Wahllokale. Bei der Auszählung der Stimmen und der Übermittlung der Ergebnisse kann viel schiefgehen. Was bekommen Sie davon mit?

Egeler: In der Wahlnacht bekommen wir schlecht gelaufene Auszählungsergebnisse nur mit, wenn ein Wahlleiter sagt: Wir müssen neu auszählen. Das ist uns schon mal passiert bei der Europawahl 2009. Da haben wir geglaubt, wir seien fertig. Doch ein Landeswahlleiter hat gesagt: "Stopp, ich kann das Ergebnis noch nicht freigeben, ein Wahlkreis wird nochmal ausgezählt." Das hat uns zwei Stunden gekostet. Aber in der Wahlnacht verkünde ich ja das vorläufige amtliche Ergebnis und zweieinhalb bis drei Wochen später das amtliche Endergebnis. In dieser Zeit laufen bei uns die amtlichen Protokolle aller Wahlkreisleitungen und der Landeswahlleiter ein. Wir hinterfragen die Unterlagen, Widersprüche werden aufgedeckt. Zur Not wird vereinbart, dass ein Stimmbezirk neu ausgezählt wird.

tagesschau.de: Nach jeder Wahl gibt es Berichte über Pleiten, Pech und Pannen, die zu Verzögerungen bei der Auszählung führen. Was können Sie tun, um die Verkündung des Ergebnisses zu beschleunigen?

Egeler: Mein Ansprechpartner, der den Druck spürt, ist natürlich der jeweilige Landeswahlleiter. Ich rufe ihn dann an und dränge ihn, jetzt bitte dafür zu sorgen, dass das Wahlergebnis geliefert wird. Denn wir gehen nicht mit einem unvollständigen Ergebnis an die Öffentlichkeit. Mehr Macht oder Druckmittel habe ich nicht, als mit ihm zu telefonieren. Aber der Landeswahlleiter spürt  selber, dass er der fehlende Stein im Mosaik ist. Weil wir alle dasselbe Ziel haben, reicht in der Regel ein Anruf.

tagesschau.de: Bei der Bekanntgabe der Prognosen um 18 Uhr schauen Millionen Bundesbürger zu. Wer ist dabei, wenn Sie in der Nacht das vorläufige Ergebnis verkünden?

Egeler: Beim letzten Mal war es halb zwei Uhr nachts oder etwas später. Vor der Bühne des Bundeswahlleiters hatten wir eine Fläche, die gut gefüllt war mit zum Teil frischen, zum Teil müden Journalisten. Es sind 30 bis 40, die extra kommen oder bis zu diesem Zeitpunkt ausgeharrt haben.

"Mir fallen dann zwei Steine von den Schultern"

tagesschau.de: Wann kommen Sie in der Wahlnacht ins Bett?

Egeler: Ins Bett komme ich irgendwann zwischen vier und sechs. Es gibt ja hinterher noch einiges zu tun, auch wenn das Ergebnis verkündet ist. Mir fallen dann zwei Steine von den Schultern. Wir setzen uns noch mal zusammen, machen eine kurze Lagebesprechung: Was war gut, was war schlecht? Was hätten wir anders machen müssen, was lernen wir fürs nächste Mal daraus? Das macht man am besten sofort, weil dann alle Kollegen noch da sind und alles ganz frisch ist. Und dann trinkt man noch ein Bier oder ein Glas Wasser irgendwo, das gehört auch dazu. Im Hotel kann ich nicht sofort schlafen, sondern bin noch ziemlich aufgekratzt. Die Müdigkeit kommt eigentlich erst am Montag.

tagesschau.de: Was passiert, während Sie schlafen?

Egeler: Nach der Wahl wird gleich das Internet mit Informationen gefüttert. Wenn Sie am Montagmorgen um sechs Uhr auf unsere Webseite gehen, finden Sie eine Dokumentation der Ergebnisse, und zwar sehr umfänglich. Früher haben wir alles gedruckt: Da waren die Drucker ab nachts um zwei im Einsatz, sodass wir dann die Autos um fünf Uhr, sechs Uhr beladen konnten. Die sind dann zu den Parteizentralen gefahren, zum Bundestag, zu den Ministerien. Bei allen, die die genauen Ergebnisse haben wollten, haben wir dann die gedruckten Unterlagen abgegeben. Das ist bei dieser Wahl einfach. Diesmal stellen wir alles ins Netz und jeder kann sich seine Datei herunterladen.

Das Interview führte David Rose, tagesschau.de