20 Jahre "Agenda 2010" Als Schröder die SPD neu aufstellte
Die "Agenda 2010" war eine sozialstaatliche Revolution - und eine Belastungsprobe für die SPD. Vor 20 Jahren stellte der damalige Bundeskanzler Schröder seine Pläne vor.
Kein Zweifel, der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte nur die allerbesten Absichten, als er im März 2003 an das Rednerpult im Bundestag trat: "Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fordern und mehr Eigenleistung von jedem einzelnen abfordern müssen." Was Schröder in der "Agenda 2010" forderte, war eine sozialstaatliche Revolution, die er für zwingend erachtete. "Es wird unausweichlich nötig sein, Ansprüche und Leistungen zu streichen, die schon heute die Jüngeren über Gebühr belasten."
Die SPD bebte in ihren Grundfesten
Der Kündigungsschutz wurde gelockert, eine Praxisgebühr eingeführt und vor allem die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt. Das Agenda-Paket ließ die SPD in ihren Grundfesten erbeben und führte zu heftigsten Verwerfungen, unter anderem mit den Gewerkschaften. "Das ist schlicht und ergreifend Sozialabbau", wetterte der damalige DGB-Chef Michael Sommer. Und auch das Vertrauen vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Arbeiterpartei SPD wurde abgebaut - und damit ihr Wählerpotential.
Aufgebaut hingegen wurde die PDS, die sich über einen Boost freuen konnte. Wütende Genossen spalteten sich von der SPD ab und gründeten eine andere Art der Alternative für deutsche Wähler: Die "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WASG), die später mit der PDS zur Linkspartei fusionierte. Ihr Posterboy war der ehemalige SPD-Finanzminister und Schröder-Intimfeind Oscar Lafontaine. Er forderte, dass Hartz IV weg müsse: "Wir haben den Wind der Geschichte in unseren Segeln."
Die dunkle Wanderung der SPD
Ohne Lafontaine und die vielen Linken, die ihm folgten, begann die SPD ihre dunkle Wanderung durch Opposition und Große Koalition, mit mickrigen Umfragewerten, immer kleiner, immer junior. Unter einer CDU-Kanzlerin, die erst erntete, was Schröder per Agenda gesät hatte und sich dann, 2017, auch noch darüber mokierte: "Die Sozialdemokraten mögen sich bis heute zu dieser Erfolgsgeschichte nicht bekennen. Man hat manchmal den Eindruck, sie schämen sich sogar dafür. Auf jeden Fall verleugnen sie sie."
Erst als Andrea Nahles die Ärmel hochkrempelte und 2019 ein neues Sozialstaatspapier für die SPD entstand, in dem unter anderem mehr Fördern und weniger Fordern sowie ein Bürgergeld stand, begannen sich die Wunden langsam zu schließen. "Wir lassen Hartz IV hinter uns", so Nahles.
War die "Agenda 2010" der Anfang vom Ende?
20 Jahre nach Schröder hat nun ein anderer sozialdemokratischer Kanzler andere Gewissheiten der SPD geschleift: Schwere Waffen werden in Kriegsgebiete geliefert, die Bundeswehr wird milliardenschwer aufgerüstet. Transformation. Auch das setzt der SPD zu, wenn es sie auch nicht annähernd so sehr erschüttert wie die "Agenda 2010". War diese Agenda also der Anfang vom Ende der SPD, wie man sie bis dato kannte?
Die langjährige bayerische Bundestagsabgeordnete Marianne Schieder legt die Stirn in Falten: "Naja, es war eine ganz schwere Belastungsprobe für die SPD. Im Nachhinein, bei Licht betrachtet, hat der Gerhard Schröder wahrscheinlich schon erkannt, wo es Veränderungen geben muss. Aber er hat die Partei nicht mitgenommen. Und das ist schlecht."
Es wäre eine besonders delikate Ironie der Geschichte, wenn auch die Scholzsche Transformationsidee am Ende wieder auf das Konto eines Unions-Kanzlers einzahlen würde.