Schulden und Haushaltslöcher Bei den Kommunen knirscht es
Mancher Landkreis zieht vor das Bundesverfassungsgericht, andere lassen es auf Zwangsmaßnahmen ankommen. Die Kommunalfinanzen sind vielerorts in Schieflage - und beschäftigen nun auch die Wahlkämpfer.
Der Weg nach Karlsruhe gilt als letztes Mittel, um Grundsätzliches zu klären. Der Landkreis Mansfeld-Südharz und der Salzlandkreis aus Sachsen-Anhalt wollen genau das. Vergangene Woche haben sie Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben.
Corona, Migration, Energiekrise - bei den Kreisen hätten sich zuletzt immer neue Aufgaben angesammelt, ohne dass das Geld dafür mitgewachsen sei. So erklärte der Landrat von Mansfeld-Südharz, André Schröder, bei einer Pressekonferenz am Freitag den Schritt. Der Kreis des CDU-Politikers rechne in diesem Jahr mit einem Defizit von 42 Millionen Euro und gelte offiziell als handlungsunfähig.
Gesellschaftliches Leben vor Einschränkungen
Der Deutsche Landkreistag spricht allein von rund sieben Milliarden Euro, die die Kreise und kreisfreien Städte zusätzlich leisten müssen, seitdem der Bund die Unterkunftskosten für Geflüchtete im Bürgergeld nicht mehr vollständig übernimmt. Der Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises und Präsident des Landkreistages, Achim Brötel, sieht die Kreise als "Ausfallbürgen" der Berliner Politik.
Die Richter in Karlsruhe sollen nun klären, ob sich aus dem Grundgesetz eine Art Mindestausstattung für die Kreise gibt. Also ein Minimum an Mitteln, mit dem sie ihre Aufgaben bewältigen können. Die unterteilen sich in zwei Gruppen: Zu den sogenannten Pflichtaufgaben zählen bei den Kreisen allgemein der Bau und Unterhalt von weiterführenden Schulen und Kreisstraßen, aber auch Teile des Gesundheitswesens und der Sozialhilfe.
Büchereien, Museen, Theater, Schwimmbäder und Sportplätze sind hingegen freiwillige Aufgaben. Die Kommunen sind nicht verpflichtet, diese vorzuhalten. Sie tun es aber, weil der gesellschaftliche Alltag in Deutschland ohne solche Angebote kaum denkbar wäre. In Mansfeld-Südharz machen die freiwilligen Aufgaben laut André Schröder nur noch zwei Prozent des Gesamthaushalts aus.
Die Landkreise sehen sich in der Mitte eines Sandwichs. Anders als Bund, Länder und Gemeinden haben sie nahezu keinen eigenen Einnahmen. Sie leben überwiegend von den Zuweisungen der Länder und von Zahlungen der Gemeinden, den sogenannten Kreisumlagen.
Letztere können allerdings nicht beliebig erhöht werden. Mehrere Gemeinden in Sachsen-Anhalt bekamen in solchen Fällen Recht zugesprochen. In mehreren anderen Bundesländern laufen ähnliche Klagen, teils mit ersten Erfolgen.
Die Bundesländer wiederum reagieren verhalten auf die Forderungen der Kreise. Sachsen-Anhalts CDU-Finanzminister, Michael Richter, verwies in dieser Woche darauf, dass die Zuweisungen zuletzt erhöht wurden.
Kreistag verweigert sich Pflichtaufgaben
Auch in Sachsen wählen Kommunalpolitiker ungewöhnliche Mittel, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Im Kreistag des Erzgebirgkreises sollten im Oktober zusätzliche Ausgaben von 14,8 Millionen Euro bewilligt werden. Das Geld braucht es unter anderem für die Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine.
Eine Mehrheit im Kreistag hat das mittlerweile mehrfach abgelehnt. Bei einer Sondersitzung im November beauftragte sie den Landrat damit, sich bei Bund und Ländern für eine Reform der Sozialgesetzgebung einzusetzen. Die geplanten Mehrausgaben würden ansonsten zu einem Defizit im Kreishaushalt führen, das den Landkreis und infolge auch seine Gemeinden in ihrer "Selbstverwaltung gefährdet", heißt es im von CDU, FDP, Freien Wählern und BSW eingebrachten Antrag.
Landrat Rico Anton, ein CDU-Mann, hat sich hinter die Kritik gestellt, auch wenn er ein anderes Vorgehen bevorzugt hätte. Widersprechen musste er der Ablehnung ohnehin. Denn sie ist rechtswidrig.
Deshalb droht dem Landkreis zeitweilig eine Zwangsmaßnahme. Die Landesdirektion Sachsen hat eine sogenannte Ersatzvornahme angekündigt. Sie würde damit die Mittel im Namen des Kreises bewilligen - und aus dessen Haushalt. Wie der Kreis auf Anfrage am Dienstag mitteilt, kam Anton allerdings der Direktion zuvor: Auf ihr Anraten hin hat der Landrat die offenen Ausgaben nunmehr selbst per Eilentscheidung angewiesen.
In Sachsen beträgt das jährliche Defizit der Landkreise rund 500 Millionen Euro. Bei den kreisfreien Städten kommen weitere 300 Millionen hinzu. Der Sächsische Landkreistag und der Sächsische Städte- und Gemeindetag sprechen einvernehmlich von einer "prekären Finanzsituation".
Thema im Wahlkampf
Im Bundestagswahlkampf kommen die Parteien nicht um diese Probleme herum. Die SPD etwa schlägt in ihrem Programm einen "Zukunftspakt Bund, Länder, Kommunen" vor. Die Schuldenbremse für die Länder soll gelockert werden, Erbschafts- und Schenkungsteuer weitere Einnahmen bringen. Einen Teil des Geldes sollen die Länder dann an die Kommunen weitergeben. Ein geplanter "Deutschlandsfonds" soll zudem auch kommunale Unternehmen unterstützen.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat das Thema der Altschulden für sich entdeckt. Diese sind in Deutschland sehr unterschiedlich verteilt und erdrücken manche Gemeinden förmlich. Allein Städte in Nordrhein-Westfalen haben rund 20 Milliarden Euro an Altschulden aufgetürmt. Marl etwa, das keine 100.000 Einwohner hat, rechnet laut Marler Zeitung bis 2035 mit Schulden von weit mehr als einer Milliarde Euro. Schon jetzt ist es mehr als eine halbe Milliarde.
Zwar arbeitet die geschäftsführende Bundesregierung von SPD und Grünen noch an einer Lösung vor Ende der Legislatur im Februar. Deren Chancen auf Umsetzung vor der Wahl dürften allerdings gering sein. Zunächst müsste ohnehin das Grundgesetz geändert werden, wozu es eine Einigung mit der Union bräuchte.
Landrat Schröder: "Das Wenige muss für alle reichen"
Die Union wiederum verspricht in ihrem Wahlprogramm eine Senkung der Unternehmenssteuern. Der davon erwartete wirtschaftliche Impuls soll mittelfristig zu Mehreinnahmen führen.
Da Steuereinnahmen allerdings zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufgeteilt werden, könnte es zunächst zu Mindereinnahmen für alle Ebenen kommen. Das Programm enthält auch Forderungen nach einer Einbeziehung in die Gesetzgebung des Bundes und weiterer Unterstützung für die kommunale Ebene.
Einige Kommunalvertreter dürften sich darin wiedererkennen. Denn sie drängen nicht in erster Linie auf mehr Geld oder eine Lockerung der Schuldenbremse. Weniger Aufgaben, weniger Auflagen und mehr Mitsprache werden ebenso oft genannt.
André Schröder, Landrat von Mansfeld-Südharz, zog bei der Pressekonferenz am Freitag ein bitteres Fazit. "Keine staatliche Ebene darf sich selbst überfordern", sagte Schröder. "Wenn das Geld nicht reicht, muss das Wenige für alle reichen."