Ein Kampfpanzer "Leopard 2A6" der Bundeswehr nimmt an der litauisch-deutschen Militärübung "Griffin Storm 2023" auf einem Truppenübungsplatz in Pabrade teil.
analyse

Bundeswehr-Präsenz in Litauen Abschreckung mit Ansage

Stand: 26.06.2023 20:36 Uhr

Deutschland will 4000 Soldaten dauerhaft in Litauen stationieren. Die Präsenz könnte eine abschreckende Wirkung haben. Doch die Zusage von Verteidigungsminister Pistorius hat Einschränkungen.

Von Uli Hauck, ARD-Hauptstadtstudio

Verteidigungsminister Boris Pistorius ist noch keine halbe Stunde in Litauen, da hat er schon die Meldung des Tages verkündet. Noch am Flughafen, im Empfangszentrum für Staatsgäste, überraschte er selbst die eigenen Presseleute. "Deutschland ist bereit, dauerhaft eine robuste Brigade in Litauen zu stationieren", sagte er - und bereitete einer monatelangen Diskussion ein vorläufiges Ende. Auch wenn viele Fragen noch offen sind.

In den vergangenen Monaten haben sich deutsche Spitzenpolitiker in Litauen fast schon die Klinke in die Hand gegeben. Erst Ende Mai war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier da, im Juni kam Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Immer wieder wurden die Deutschen auf allen Ebenen mal mehr mal weniger deutlich mit dem Wunsch konfrontiert, die Bundeswehr dauerhaft im Baltikum zu stationieren.

Verteidigungsminister Pistorius kündigt Stationierung von 4000 Soldaten in Litauen an

Stephan Struchlik, ARD Berlin zZt. Vilnius, tagesschau, 26.06.2023 20:00 Uhr

Die Litauer haben sich dabei auch auf ein Versprechen von Olaf Scholz aus dem Jahr 2022 bezogen. Denn der Bundeskanzler hatte vor ziemlich genau einem Jahr nach einem Gespräch mit dem litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda gesagt, dass Deutschland seinen Beitrag zum Schutz Litauens verstärken werde. Doch danach ist vieles im Unklaren geblieben. Auch wenn Deutschland schon jetzt mit knapp 800 Bundeswehrsoldaten einen wesentlichen Teil der NATO-Kampfgruppe Enhanced Forward Presence (EFP) stellt, aber hier wird alle sechs Monate das Personal durchgewechselt.

Vom Verlegen zum Stationieren

In Deutschland Truppen für Litauen bereithalten, das war seit 2017 das deutsche Modell für den Schutz der NATO-Ostflanke. Bei regelmäßigen Übungen wird trainiert, Truppe und Material auf dem Land-, See- und Luftweg schnellstmöglich von Deutschland nach Litauen zu schaffen. Aktuell üben das 1000 Soldatinnen und Soldaten beim Manöver "Griffin Storm". Sie wurden seit Mitte Juni mit rund 300 Panzern und schwerem Gerät verlegt. Das habe gut funktioniert, bilanziert der für die Übung zuständige Brigadegeneral Nawrat.

Schaut man sich allerdings die "Prigoschin-Ereignisse" vom Wochenende in Russland an, dann kann man Zweifel bekommen, dass eine großangelegte Verlegung von Soldaten von Deutschland nach Litauen im Ernstfall schnell genug geht.

Und wenn man beim aktuellen Manöver "Griffin Storm" die Praktiker wie den 38-jährigen Feldwebel Thomas aus Torgelow fragt, dann hört man schon, dass die Verlegung von Mensch und Material eine "logistische Herausforderung" ist. Die Versorgung sei "naturgemäß eingeschränkt", weil man nicht alles von Deutschland mitnehmen kann. Bei einer dauerhaften Stationierung könnte die Truppe aber eine eigene Infrastruktur in Litauen aufbauen und sich vor Ort versorgen. Man sei "definitiv reaktionsschneller".

Boris Pistorius gibt in Litauen eine Pressekonferenz.

In Litauen sorgte Verteidigungsminister Pistorius für eine Überraschung: 4000 Soldaten und Soldatinnen sollen dauerhaft an der NATO-Ostflanke stationiert werden.

Lage macht Litauen anfällig

Das ist ein wichtiger Faktor, denn die geographische Lage mit Grenzen zu Belarus und der russischen Exklave Kaliningrad machen Litauen anfällig. Der Verteidigungsexperte Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik spricht mit Blick auf die baltischen Staaten von "mangelnder strategischer Tiefe". Das heißt, bei einem Angriff könnten russische Truppen sehr schnell bis zur Ostsee durchmarschieren und Estland, Lettland und Litauen einnehmen oder zumindest abspalten.

Daran würde auch der NATO-Beitritt der beiden Ostsee-Staaten Finnland und Schweden wenig ändern. Da sie im Ernstfall über die Ostsee Truppen amphibisch anlanden müssten. Eine dauerhafte Präsenz von allein 4000 Bundeswehrsoldaten könnte also eine abschreckende Wirkung haben.

Stoltenberg lobt deutsche Pläne

Pistorius hat seine Zusage für 4000 deutsche Soldaten gegeben. Allerdings mit zwei Einschränkungen: Die Brigade werde im gleichen Tempo aufgebaut, indem Litauen die entsprechende Infrastruktur bereitstellt. Litauens Präsident Nauseda versprach den Vorbereitungen eine hohe Priorität einzuräumen. Er will technische und rechtliche Verfahren beschleunigen um bis spätestens 2026 Wohngebäude, Übungsplätze, Munitionsdepots, aber auch Schulen und Kindergärten bereitzustellen.

Denn die deutschen Soldatinnen und Soldaten sollen auch mit ihren Familien kommen können. Das wäre ein "Housing-System", ähnlich wie es US-Soldaten seit Jahren in Deutschland vorfinden. Doch ob der dauerhafte Auslandseinsatz so attraktiv ist, dass ihn viele Bundeswehrsoldaten machen wollen, ist heute noch völlig offen.

Neben der nötigen Infrastruktur muss auch die NATO zustimmen. Doch das scheint eher eine Formsache zu sein. Der NATO-Generalsekretär hat bei einer gemeinsamen Pressekonferenz viel Lob für die Stationierungsankündigung verteilt. Deutschland zeige starkes Führungsverhalten, so Jens Stoltenberg. Das dürfte auch bei der wichtigsten NATO-Nation USA auf Wohlwollen stoßen. Zumal das Thema "Europa und seine Bemühungen sich selbst zu verteidigen" im aufkommenden US-Wahlkampf eine größere Rolle spielen dürfte.

Stephan Stuchlik, ARD Berlin zZt. Vilnius, zur Stationierung deutscher Truppen in Litauen

tagesschau, 26.06.2023 17:00 Uhr