Fachkräftemangel Bundesregierung will Pflegekräfte aus Brasilien anwerben
Angesichts des Fachkräftemangels in der Pflege setzt die Bundesregierung auf junge Menschen aus dem Ausland. Patientenschützer sind skeptisch. Zunächst müssten sich die Arbeitsbedingungen in Deutschland verbessern.
Bei der Anwerbung von Pflegekräften aus dem Ausland wirft die Bundesregierung auch einen Blick nach Brasilien. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wollen im Zuge einer Anwerbe-Strategie im Juni zusammen in das südamerikanische Land reisen.
Gemeinsam mit der Wirtschaft wolle man gezielt in Ländern um Arbeitskräfte werben, "in denen es mehr junge und gut ausgebildete Menschen gibt, als der dortige Arbeitsmarkt aufnehmen kann", sagte Heil der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Heil spricht von "Win-win-win-Situation"
Heil merkte an, dass in Brasilien das Potenzial an Arbeitskräften in der Pflege besonders groß sei. "Wir werden dabei sehr sensibel vorgehen, damit wir keinem Land die Arbeitskräfte nehmen, die es selber braucht", betonte Heil. Darüber hinaus gebe es bereits Absprachen mit Indonesien und Mexiko. Erst im Februar hatte Heil zusammen mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze Ghana in Westafrika besucht, auch dort war die Anwerbung von Fachkräften ein Thema.
Der Arbeitsminister sprach von einer "Win-win-win-Situation": "Wir profitieren. Die Herkunftsländer profitieren, etwa indem wir uns in der Ausbildung vor Ort engagieren. Und die Menschen, die zu uns kommen, profitieren: durch einen gut bezahlten Job für sie selbst und vielleicht auch durch die Möglichkeit, Familienangehörige in der Heimat finanziell zu unterstützen."
Stiftung Patientenschutz dämpft Auslands-Euphorie
Eugen Brysch, der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, beleuchtet das nun geplante Unterfangen in Brasilien kritisch. Er sagte, der Mangel an Pflegekräften sei zuallererst ein innerdeutsches Problem: "Das werden auch die wenigen zusätzlichen Hundert brasilianischen Pflegerinnen und Pfleger nicht lösen." Die Anwerbezahlen nichteuropäischer Arbeitskräfte seien seit mehr als zehn Jahren sehr ernüchternd. "Schon jetzt ist klar, dass in den nächsten zehn bis zwölf Jahren 500.000 Pflegefachkräfte in Rente gehen werden", sagte Brysch.
"Die Hälfte der Teilzeitbeschäftigten und sogar 60 Prozent der Ausgestiegenen könnten sich eine Rückkehr in den Beruf beziehungsweise ein Aufstocken der Stunden vorstellen. Mindestens 300.000 stünden damit zusätzlich zur Verfügung." Dafür müssten sich allerdings die Arbeitsbedingungen verbessern. Das größte Problem sei die Planbarkeit der Arbeitszeiten, betonte Brysch: "Spontane Sonder- und Zusatzschichten zerhacken die arbeitsfreie Zeit."
Engpässe nicht nur in der Pflege
2021waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit knapp 1,7 Millionen Pflegekräfte in Krankenhäusern, stationären Pflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegediensten sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das waren rund 44.000 mehr als ein Jahr zuvor. Seit Anfang 2022 habe der Beschäftigungsaufbau in der Pflege jedoch "spürbar an Dynamik verloren", stellte die Bundesagentur in einer Sonderpublikation fest. Derzeit kommen auf 100 freie Stellen nur 33 arbeitslose Pflegefachleute. Die Bundesagentur spricht von einem "deutlichen Fachkräfteengpass bei Pflegefachkräften".
Auch in anderen Fachbereichen fehlt es an qualifiziertem Personal. Wie das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (Kofa) des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) berichtete, konnten 2022 bundesweit mehr als 630.000 offene Stellen für Fachkräfte nicht besetzt werden.
Dabei gebe es schon laufende Gespräche mit "Fokusländern", etwa in Lateinamerika Brasilien, Mexiko, Kolumbien, in Nordafrika Marokko, Tunesien, Ägypten, Indien und in Südostasien Indonesien, Philippinen oder Vietnam.