Ausschuss zu S-Bahn-Ausbau Der letzte Zeuge will nichts gewusst haben
Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit ringt man in Bayern um Aufklärung rund um das Milliarden-Desaster beim Ausbau der Münchner S-Bahn. Als letzter Zeuge sagte Ministerpräsident Söder im Untersuchungsausschuss aus.
Markus Söder scheint bester Laune, als er im Untersuchungsausschuss "Stammstrecke" aussagt. Der letzte Zeuge gibt sich in dem vollbesetzten Saal im Bayerischen Landtag vor Abgeordneten und Medien locker; Fragen beantwortet er teilweise mit vollem Mund, ein Brötchen kauend. Als "Quatsch" bezeichnet er Vorwürfe, Informationen aus Wahlkampfgründen zurückgehalten zu haben.
Als ihn der Ausschussvorsitzende Bernhard Pohl (Freie Wähler) fragt, wie er im Herbst 2020 reagierte, als er von der Kostensteigerung von 3,8 Milliarden auf 5,2 Milliarden Euro und eine Bauzeitverzögerung um sechs Jahre erfuhr, antwortet Söder: "Kritisch, konstruktiv, engagiert." Die Zahlen, die Fachleute der Bahn damals in einem internen Fachgespräch genannt hatten, wurden aber kurz danach von der Bahn lediglich als "Diskussionsgrundlage" bezeichnet. "Sorge war da, aber die Zahlen gab es nicht", sagt Söder rückblickend. Zu diesem Zeitpunkt sei außerdem die Corona-Pandemie das vorherrschende Thema gewesen, das habe ihn als bayerischen Ministerpräsidenten damals vor allem beschäftigt.
"Die Bahn ist schlechte Presse gewohnt"
Vor dem Untersuchungsausschuss macht er deutlich, wie er die Deutsche Bahn erlebt hat. Für Söder ist die Bahn "nicht kontrollierbar". Nachdem es im Herbst 2020 immer noch keine offiziellen Zahlen der Bahn gegeben habe, habe er es nicht für sinnvoll erachtet, an die Öffentlichkeit zu gehen. Druck machen und spekulieren bringe bei der Bahn nichts: "Die Bahn ist schlechte Presse gewohnt, sie hat noch nie eine gute gehabt." Die weiteren Schritte zur Kostenermittlung habe er dann seiner damaligen Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) überlassen.
Von einer Eskalation bei einem Gespräch zwischen der Ministerin und dem damaligen Bahn-Vorstand Ronald Pofalla wisse er nichts. Auch nicht, warum ein geplantes Spitzengespräch im Oktober 2020 mit dem damaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, Schreyer, dem Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), Pofalla und Söder selbst gescheitert sei. Sein Verhältnis zu Pofalla beschreibt Söder mit den Worten: "In der Politik gibt es keine Freunde, nur interessierte Bekannte." Grundsätzlich bewertet der CSU-Chef das System kritisch, dass der Staat nur zahle, die Bahn aber plane und baue, also Bauherrin und Projektträgerin sei.
Söder will brisante Staatskanzlei-Vermerke nicht gekannt haben
Die brisanten Vermerke aus der Staatskanzlei vom Herbst und Winter 2020, wie man mit den erwarteten Kostensteigerungen und Bauzeitverlängerungen umgehen solle, kennt Söder nach eigenem Bekunden nicht. Wie ein Mitarbeiter der Staatskanzlei dazu kam, die Bemerkung zu schreiben, die Probleme bei der zweiten Stammstrecke seien "kein Gewinnerthema" im Wahlkampf, könne er sich nicht erklären. Über den Vermerk "dilatorische Behandlung bis nach der Bundestagswahl" macht der Ministerpräsident sogar Witze. Er habe gar nicht gewusst, was das Fremdwort dilatorisch (verzögernd) bedeute, so gebildet sei er nicht. Es sei absurd zu glauben, wegen der bevorstehenden Bundestagswahl sei man das Thema nicht mit der nötigen Verve angegangen.
An dem Projekt der zweiten Stammstrecke will Söder festhalten, obwohl sich die Kosten mit mittlerweile sieben Milliarden Euro mehr als verdoppelt haben und eine Fertigstellung erst für 2037 im Raum steht. Die Aufregung über die gestiegenen Kosten kann der Ministerpräsident nicht verstehen. "Hat jemand geglaubt, dass so ein Bauprojekt billiger und schneller werden könnte?", fragt er. Das Bauvorhaben sei eines der größten Infrastrukturprojekte Deutschlands und für den gesamten Großraum München von Bedeutung. "Sie muss gelingen", betont Söder.
Opposition glaubt Söder nicht
Die Opposition kann er davon allerdings nicht überzeugen. "Die Zeitzusammenhänge sind völlig eindeutig", so der FDP-Landtagsabgeordnete Sebastian Körber. "Markus Söder wollte Bundeskanzler werden und hat die ganzen Alarmmeldungen von seiner Ministerin Schreyer liegen lassen."
Die SPD-Abgeordnete Inge Aures ist von Söders Ausführungen ebenfalls nicht überzeugt. Sie habe aber nichts anderes von Söder erwartet, als "dass er sich dreht und wendet - und so tut, als wüsste er nichts", sagt sie dem Bayerischen Rundfunk. Die Aktenlage sei eine andere - es sei nachgewiesen, dass es schon frühzeitig Zahlen gegeben habe. Ähnlich sieht es Martin Runge von den Grünen: Söder hätte viel früher zumindest den Landtag informieren müssen, statt immer zu sagen, die Zahlen der Bahn seien noch nicht belastbar.