Pistorius zu "Taurus"-Abhöraffäre "Anwendungsfehler" ermöglichte offenbar Abhöraktion
Die "Taurus"-Abhöraffäre geht offenbar auf einen individuellen Fehler zurück. Ein Teilnehmer des von Russland geleakten Gesprächs nutzte laut Minister Pistorius einen unsicheren Kanal. Prinzipiell seien die Systeme sicher.
Zu der sogenannten "Taurus"-Abhöraffäre konnte es laut ersten Untersuchungsergebnissen durch einen individuellen Anwendungsfehler eines Teilnehmers des online geführten Schaltgesprächs kommen. Das sagte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).
Demnach soll einer der Teilnehmer, der sich von Singapur aus eingewählt hatte, einen offenen, nicht autorisierten Kanal genutzt haben, um an der über den Cloud-Dienst Webex geführten Schaltung teilzunehmen. Dadurch sei es zum "Datenabfluss gekommen", sagte Pistorius.
Der Minister verwies darauf, dass zum Zeitpunkt des Gesprächs in Singapur die "Singapore Airshow" stattgefunden habe, eine Branchenmesse für die Luftfahrt, an der auch "hochrangige Militärs europäischer Partnerstaaten" teilgenommen hätten. Für russische Geheimdienste sei eine solche Veranstaltung "ein gefundenes Fressen". Im Umfeld dieser Messe fänden gezielte, flächendeckende Abhöraktionen statt. Der Zugriff auf die Webex-Konferenz sei wahrscheinlich ein "Zufallstreffer im Rahmen einer breit gestreuten Vorgehensweise" gewesen, so Pistorius.
Die ersten Untersuchungen hätten aber ergeben, dass ausgeschlossen werden könne, dass sich ein russischer Spion in das Gespräch einschaltete.
Bundeswehr nutzt Webex mit erhöhter Sicherheitsstufe
Die Untersuchungen der Abhöraffäre dauern laut Pistorius weiter an. So würden die eingesetzten Geräte forensisch untersucht. Zudem werde juristisch geprüft, ob in dem Gespräch Punkte erörtert wurden, die nicht hätten besprochen werden dürfen.
Das russische Staatsfernsehen hatte am Freitag den Mitschnitt der vertraulichen Telefonkonferenz hochrangiger Bundeswehr-Offiziere im Internet veröffentlicht. Darin ist zu hören, wie Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz mit drei Untergebenen über einen möglichen Einsatz deutscher "Taurus"-Marschflugkörper in der Ukraine gegen die russischen Angreifer spricht.
Die Nutzung des Cloud-Dienstes Webex für ein solches Gespräch ist Pistorius zufolge nicht ungewöhnlich. Die Bundeswehr nutze diesen Dienst, allerdings eine "für den Dienstgebrauch zertifizierte Variante" mit erhöhter Sicherheitsstufe. Der Dienst werde nicht im Ausland, sondern in den Rechenzentren der Bundeswehr gehostet.
Disziplinarische Vorermittlungen gegen Gesprächsteilnehmer
Gegen die Beteiligten des geleakten Gesprächs wurden disziplinarische Vorermittlungen eingeleitet. Das sei aber ein normaler Vorgang, betonte Pistorius. Erst nach diesen Vorermittlungen werde über ein Disziplinarverfahren entschieden.
Pistorius betonte, dass die deutschen Kommunikationssysteme "grundsätzlich sicher" seien und nicht kompromittiert wurden. Auch bei ausländischen Partnern sei das Vertrauen in Deutschland ungebrochen. Es sei allen bewusst, dass ein "hundertprozentiger Schutz" gegen solche Spionageattacken "nicht gewährleistet werden kann".
Der SPD-Politiker betonte erneut, Deutschland werde sich durch die Abhöraffäre "nicht aufscheuchen lassen". Russland versuche "einen Keil" zwischen die Parteien zu treiben, der hybride Angriff sei ein "perfides Spiel" des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Pistorius versicherte, den Abhörfall weiter "konsequent und entschlossen", aber auch "mit Besonnenheit und Entschlossenheit" aufzuklären.
Schutz gegen Spionage laut Faeser verstärkt
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser sieht hinter der Abhöraffäre das Ziel Russlands, "unseren Staat diskreditieren, die Meinungsbildung manipulieren und unsere Gesellschaft spalten" zu wollen. Nach Angaben der SPD-Politikerin sind die deutschen Geheimdienste gut gewappnet, um sich gegen ausländische Spionage zu schützen. Die eigenen "Schutzmaßnahmen gegen Spionage und Desinformation" seien weiter hochgefahren und die Spionageabwehr beim Bundesamt für Verfassungsschutz sei personell und technisch deutlich verstärkt worden, betonte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Am Rande eines Besuchs in Bosnien-Herzegowina mahnte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, dass "jedes Land, auch Deutschland" mit Blick auf seine innere Sicherheit und die Cybersicherheit alles tun müsse, um "bestmöglich geschützt" zu sein. Die "hybride Kriegsführung" dürfe nicht unterschätzt werden. Die Vorgänge zeigten, "dass der russische Angriffskrieg nicht nur mit Bomben, Raketen, Drohnen und schlimmsten Angriffen auf die Zivilbevölkerung in der Ukraine geführt wird", so die Grünen-Politikerin.
Verteidigungsausschuss berät in kommender Woche
In welchem Umfang deutsche "Institutionen auf einen hybriden Angriff vorbereitet sind", soll wohl am Montag Thema in einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestages sein, wie dessen Vorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann in der "Rheinischen Post" ankündigte. Bis dahin lägen mehr Informationen zur Abhöraffäre vor. Unter anderem untersucht der Militärische Abschirmdienst, wie Russland an den am Freitag geleakten Gesprächsmitschnitt zwischen hochrangigen Bundeswehroffizieren gelangen konnte.
Strack-Zimmermann rief erneut dazu auf, "mit aller Ernsthaftigkeit, aber auch Souveränität" über den Umgang mit der Abhöraffäre zu entscheiden - und zielte damit vor allem in Richtung Opposition.
Union drängt auf schnellere Aufklärung
Doch für die Union läuft die Aufklärung des Abhörfalls zu schleppend an. Die für Anfang der kommenden Woche angesetzte Sondersitzung kommt für Thorsten Frei, den Parlamentarischen Geschäftsführer der Union im Bundestag, viel zu spät. Die sei "völlig unangemessen", heißt es in einem Schreiben des CDU-Politikers an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, aus dem die "Rheinische Post" zitierte. Stattdessen müsse das Gremium noch diese Woche zusammenkommen, und auch Bundeskanzler Olaf Scholz müsse an der Sitzung teilnehmen.
Zudem nutzt die Union die Debatte, um ein bereits während des Wahlkampfes 2021 gestecktes Ziel neu aufzugreifen: einen Nationalen Sicherheitsrat für Deutschland. "In solchen Krisenfällen kann er die politische Steuerung übernehmen", bekräftigte der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Henning Otte, die Forderung in der "Rheinischen Post". Die Notwendigkeit werde nochmals klarer angesichts der Uneinigkeit der Bundesregierung im Umgang mit der russischen Spionage, kritisierte der CDU-Politiker: Während Bundeskanzler Olaf Scholz von einer "ernsten Lage" spreche, warne Verteidigungsminister Pistorius davor, "Putin auf den Leim" zu gehen.