Kritik an Behörden Fehlersuche nach der Katastrophe
Tage nach der Unwetterkatastrophe läuft die Aufarbeitung. Warum wurden viele Menschen von dem Hochwasser überrascht? Wurde ausreichend gewarnt? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie wird gewarnt und wer ist eigentlich zuständig?
In Deutschland sind die Bundesländer für die Warnung vor Katastrophen und allgemeinen Gefahren zuständig. Die Warnungen erfolgen im Radio und im Fernsehen. Auch die Feuerwehr ist zum Teil mit Lautsprecherwagen unterwegs. In einigen Gemeinden heulen die Sirenen. Den Rahmen setzen dabei die Landesregierungen. Die Warnung im akuten Krisenfall ist Aufgabe der Landräte und Feuerwehr-Leitstellen. Der Bund ist für den Bevölkerungsschutz in Deutschland nur im Verteidigungsfall zuständig - unterstützt aber die Länder als Dienstleister. Bundesweit verfügbar sind die Warn-App Nina des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und die von Fraunhofer Fokus entwickelte Katwarn-App.
Wie wurde die Bevölkerung über Warn-Apps gewarnt?
Noch ist das nicht umfänglich rekonstruiert. Wer im nordrhein-westfälischen Erftstadt wohnt, erhielt laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) über die Warn-App Nina am vergangenen Mittwoch von der Leitstelle Rhein-Erft-Kreis eine "Gefahreninformation" mit dem Hinweis "Bleiben Sie möglichst Zuhause". Einen Tag später kam der Hinweis "Dammbruch. Extreme Gefahr". Die Anwohner der Ortsteile Blessem und Bliesheim wurden demnach aufgefordert, elektrische Geräte auszuschalten, das Gebäude zu verlassen und sich an einen sicheren Ort zu begeben.
In Ahrweiler (Rheinland-Pfalz) gab es laut dpa über die Nina-App keine vergleichbare Gefahrenmeldungen der Leitstelle des Kreises. Wer den Ort Bad Neuenahr-Ahrweiler in der Katwarn-App abonniert hatte, erhielt am vergangenen Mittwoch um 23.09 Uhr vom Landkreis Ahrweiler die Warnung "Aufgrund der starken Regenereignisse sollen die Bewohnerinnen und Bewohner der Städte Bad Neuenahr-Ahrweiler, Sinzig und Bad Bodendorf, die 50 m rechts und 50 m links von der Ahr wohnen, ihre Wohnungen verlassen."
Was wird kritisiert - und soll besser werden?
Die Aufteilung der Verantwortung finden viele Bundespolitiker überholt - auch weil Extremwetter-Ereignisse inzwischen häufig größere Gebiete betreffen. Unklar ist zudem, ob in solchen Fällen genügend Vorräte, Fahrzeuge und Hubschrauber vorhanden sind. Aufgrund der geteilten Zuständigkeiten fehlt teilweise auch der Überblick darüber, wo in einem anderen Bundesland noch Einsatzkräfte zur Verfügung stehen oder wer vielleicht noch innerhalb kurzer Zeit Fahrzeuge heranschaffen kann, die durch tiefes Wasser fahren können.
Kritik gibt es zudem vor allem an den Warnungen. Die FDP wirft Bundesinnenminister Horst Seehofer vor, dass die rechtzeitigen Warnungen der Meteorologen nicht hinreichend an die Bürgerinnen und Bürger kommuniziert worden seien. Auch SPD-Politiker Karl Lauterbach forderte Konsequenzen. "Beim Katastrophenschutz sind wir genauso schlecht vorbereitet wie beim Pandemie-Schutz", sagte Lauterbach der "Rheinischen Post". Die Infrastruktur müsse geschaffen und ausgebaut werden.
Eine britische Wissenschaftlerin warf den deutschen Behörden sogar "monumentales" Systemversagen vor. Klare Hinweise, die im Rahmen des europäischen Frühwarnsystems EFAS bereits vier Tage vor den ersten Überschwemmungen herausgegeben wurden, seien offenbar nicht bei der Bevölkerung angekommen, sagte Hannah Cloke von der Universität Reading der "Sunday Times".
Dem Klimawandeldienst Copernicus zufolge wurde am 10. Juli eine erste Warnung an die relevanten nationalen Behörden gegeben. Bis zum 14. Juli wurden demnach mehr als 25 weitere Warnungen mit fortlaufend aktualisierten Vorhersagen für spezifische Regionen des Rheins und der Maas herausgegeben.
Kritik gab es vom Branchendienst dwdl.de auch am Westdeutschen Rundfunk. Der WDR räumte Lücken in der Berichterstattung über die Starkregen-Katastrophe in Nordrhein-Westfalen ein - zugleich wies der Sender aber darauf hin, dass er selbst von dem Unwetter betroffen gewesen sei.
Wie reagieren die zuständigen Behörden auf die Kritik?
Das BBK weist die Vorwürfe zurück. Das Bundesamt sei nur im Verteidigungsfall zuständig, unterstrich BBK-Präsident Armin Schuster. Allerdings habe man den Ländern die Warn-Daten zur Verfügung gestellt. "Wir haben keinen Einfluss darauf, wie vor Ort mit diesen Warnungen umgegangen wird", sagte er. Es führten die Landkreise. Das BBK habe 150 Warnmeldungen über Apps, über die Medien ausgesendet. "Unsere Warninfrastruktur hat geklappt im Bund", sagte er im ZDF. "Der Deutsche Wetterdienst hat relativ gut gewarnt." Das Problem sei, dass man oft eine halbe Stunde vorher noch nicht sagen könne, welchen Ort es mit welcher Regenmenge treffen werde.
Bundesinnenminister Seehofer wies die Kritik als Wahlkampfrhetorik zurück. Auch seiner Meinung nach haben die Meldewege rund um die Unwetterkatastrophe von Seiten des Bundes funktioniert. Und auch er betonte, dass der Bund nicht für den Katastrophenschutz zuständig sei. Auf der Ebene der Bundesländer wolle er sich nicht einmischen, sagte er.
Das Innenministerium in Nordrhein-Westfalen sieht ebensowenig grundsätzliche Probleme. Es leitete nach eigener Darstellung in der vergangenen Woche Unwetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes an die Städte und Kreise weiter. Grundsätzlich gelte im Katastrophenschutz aber ein Örtlichkeitsprinzip, so dass über Schutzmaßnahmen vor Ort zu entscheiden sei, sagte ein Ministeriumssprecher. Am vorigen Mittwoch sei im NRW-Innenministerium ein Koordinationsstab gebildet worden. Dort berieten seitdem Fachleute aus dem eigenen Haus mit weiteren Experten - etwa aus dem Umweltministerium, der Bundeswehr, Bundespolizei oder den Feuerwehren - permanent über die Lage. Rund um die Uhr sei dort auch eine Kontaktperson zu erreichen, sagte der Sprecher.
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat nach Angaben des Bundesministeriums für Verkehr und Infrastruktur frühzeitig vor Starkregen gewarnt. "Der DWD hat bereits am Montagmorgen, den 12. Juli 2021 um 06.00 Uhr, also zwei Tage vor dem Unwetter, über die bevorstehenden Starkregenereignisse informiert", teilt ein Ministeriumssprecher mit. "Diese Information ging an die zuständigen Katastrophenschutzstellen der Länder, Landkreise und Kommunen. Die konkret daraus abzuleitenden Schutzmaßnahmen sind jeweils von den Einsatzkräften vor Ort zu treffen."
Über welche Vorschläge wird derzeit diskutiert?
Mehrere Experten und Politiker fordern eine stärkere Zentralisierung des Bevölkerungsschutzes. Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, sprach sich zum Beispiel dafür aus, dass das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit einer Zentralstellenfunktion ausgestattet wird - wie etwa das Bundeskriminalamt. Der Bund soll so eine größere koordinierende Rolle bei überregionalen Katastrophen wie Fluten oder Waldbränden bekommen. "Hilfe funktioniert nur, wenn alles ineinander greift. Dafür braucht es eine Instanz, die alle Kräfte bündelt, die schnellstmöglich aus ganz Deutschland oder EU-Nachbarstaaten Hubschrauber oder Spezialgeräte zusammenzieht", sagte sie im "Spiegel."
Der Landkreistag schlägt vor, es nicht bei der Alarmierung über Smartphone-Apps zu belassen. Mit SMS könnten etwa auch Menschen erreicht werden, die einfache Handys nutzen. Experten kritisieren zudem, dass es in vielen Kommunen nur noch wenige oder gar keine Sirenen mehr gebe. Dabei können gerade Sirenen die Menschen warnen, die kein Handy besitzen, es abgeschaltet haben oder die Warnung schlicht nicht hören. Das BBK arbeitet an einer Übersicht, die bis Ende des Jahres fertig sein soll. Der Bund will den Ländern zudem beim Aufbau von Sirenen mit 88 Millionen Euro helfen - das wurde bereits vor der Unwetterkatastrophe beschlossen.
Was macht das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe?
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe stand bereits mehrfach in der Kritik. Zu Beginn der Corona-Pandemie spielte es kaum eine Rolle. Im Herbst vergangenen Jahres ging ein bundesweiter Probealarm für den Verteidigungsfall gehörig schief. Die amtliche Warnung des BBK kam mit Verspätung, die Warn-Apps warnten teilweise gar nicht. BBK-Präsident Christoph Unger musste wenig später gehen, Armin Schuster kam.
Das BBK soll insgesamt neu aufgestellt werden. Unter anderem soll ein gemeinsames Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz eingerichtet werden, zudem sollen nationale Lager mit mit Schutzausrüstung entstehen.
Der ursprünglich für September geplante neue Versuch einer bundesweiten Warnung wurde erst vor wenigen Wochen verschoben. Der nächste Warntag ist nach Angaben des Bundesinnenministeriums für den 8. September 2022 vorgesehen.