Schleswig-Holstein Was man zur Wahl im Norden wissen muss
Schleswig-Holstein hat schon aufregendere Wahlkämpfe erlebt als jetzt. Auch die Frage nach der politisch stärksten Kraft scheint bereits klar. Spannend ist diese Landtagswahl dennoch, was vor allem an Grünen und FDP liegt.
Schleswig-Holstein? Da war doch was?
Es ist lange her, dass Polit-Skandale hoch oben im Norden die ganze Republik aufgemischt haben. "Barschel-Affäre", "Schubladen-Affäre", "Heide-Mörder", "Lolita-Affäre" - die Älteren erinnern sich. Inzwischen regiert Daniel Günther das Land zwischen den Meeren mit ruhiger Hand und ähnlich ruhigen Koalitionspartnern - den Grünen und der FDP. Es ist derzeit die bundesweit einzige Jamaika-Koalition auf Landesebene.
So ruhig war es in Schleswig-Holstein nicht immer. In der Vergangenheit war das Bundesland mehrmals Schauplatz politischer Dramen und menschlicher Tragödien. Die Nachricht vom toten Ministerpräsidenten Uwe Barschel in einer Badewanne eines Genfer Nobel-Hotels im Oktober 1987 schockierte ganz Deutschland und bot Raum für Spekulationen - bis heute.
Auf die "Barschel-Affäre" folgte die "Schubladen-Affäre", die wiederum Barschels politischen Kontrahenten Björn Engholm 1993 zum Rücktritt zwang. 2005 stürzte dann Engholms Nachfolgerin in der Kieler Staatskanzlei, Heide Simonis, über einen anonymen Abweichler aus den Reihen ihrer eigenen Koalition. Der "Heide-Mörder" hat sich bis heute nicht zu erkennen gegeben. Auch hier also jede Menge Raum für Spekulationen.
2011 war es wieder die CDU, die für Schlagzeilen sorgte: Die "Lolita-Affäre" brachte den Spitzenkandidaten Christian von Boetticher zu Fall. Zuvor war bekannt geworden, dass der CDU-Mann eine Liebesbeziehung zu einer 16-Jährigen hatte. Ein Dreivierteljahr vor dem Wahltermin musste sich die CDU schnell eine neue Nummer 1 suchen. Bei der Landtagswahl im Mai 2012 ging sie zwar hauchdünn als stärkste Kraft hervor, die Macht an der Förde verlor sie aber. Die SPD zog wieder in die Staatskanzlei ein. Der politische Wechsel schien im Land die Regel zu werden.
Daniel, wer?
2017 trat die CDU in Schleswig-Holstein überraschend mit dem weithin unbekannten Daniel Günther an. Die Nord-CDU brauchte damals schnell Ersatz, nachdem der eigentlich gesetzte Spitzenkandidat, Ingbert Liebing, gut sechs Monate vor der Landtagswahl zurückgetreten war. Günther kam, startete eine Aufholjagd und siegte tatsächlich - sogar mit fünf Prozentpunkten Vorsprung vor der regierenden SPD und Ministerpräsident Torsten Albig.
Dessen "Küstenkoalition" (SPD, Grüne und SSW) war nach knapp fünf Jahren abgewählt. Ein Triumph für die CDU. Seither regiert Günther zusammen mit Grünen und FDP. "Daniel, wer?", fragt längst niemand mehr. Günther ist bekannt und beliebt, Umfragen zufolge steuert er auf einen ungefährdeten Wahlsieg zu.
Diesmal ist es der SPD-Kandidat, den kaum jemand kennt: Dass die Sozialdemokraten nicht mit Landeschefin Serpil Midyatli antraten, sondern mit dem wenig bekannten Thomas Losse-Müller, verblüffte viele, zumal Losse-Müller bis 2020 noch ein Grüner war.
SSWer?
Der SSW ist inzwischen bundesweit bekannt, auch weil er so besonders ist. Und weil er - obwohl Kleinstpartei - seit Jahrzehnten im Parlament in Kiel vertreten ist und manchmal auch mitregierte. Verankert ist der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) vor allem in den nördlichen Landesteilen nahe der Grenze zu Dänemark, dort erreicht er bei Kommunalwahlen teils mehr als 20 Prozent der Stimmen. Erstmals seit Jahrzehnten ist der SSW seit dem vergangenen Jahr zudem wieder mit einem Abgeordneten im Bundestag vertreten.
Als Partei der dänischen Minderheit ist der SSW von der Fünf-Prozent-Klausel befreit. Er braucht aber mindestens so viele Stimmen, wie für die Zuteilung des letzten Mandates notwendig sind. Auf dieser Basis ist die Partei, die auch die friesische Minderheit vertritt, seit 1958 durchweg im schleswig-holsteinischen Landtag, lange aber nur mit einem Abgeordneten. 2012 bis 2017 bildete der SSW mit SPD und Grünen eine Regierung, die "Küstenkoalition". Mit Anke Spoorendonk stellte der SSW die Justizministerin. Bei dieser Wahl tritt die Partei mit Lars Harms an der Spitze an, der auch das Bündnis 2012 mitgeschmiedet hatte. Gut möglich, dass der SSW erneut für eine Koalition gebraucht wird.
Wie ist die Ausgangslage?
Mit 2,3 Millionen Wahlberechtigten sind immerhin mehr Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen als vor ein paar Wochen im Saarland - aber erheblich weniger als eine Woche später in Nordrhein-Westfalen. Stärkste Kraft wurde 2017 die CDU mit 32,0 Prozent, gefolgt von SPD, Grünen, FDP, AfD und SSW. Die Linkspartei schaffte es nicht ins Parlament. Die zunächst fünfköpfige AfD-Fraktion zerfiel, die frühere Landesvorsitzende Doris von Sayn-Wittgenstein wurde wegen mutmaßlicher Kontakte zu Rechtsextremen vorübergehend aus der Partei ausgeschlossen.
CDU-Wahlsieger Günther bildete eine Koalition mit Grünen und FDP, die seitdem stabil regiert. In Kiel hat also geklappt, was in Berlin bekanntlich scheiterte. Dabei waren einige Protagonisten sowohl bei den Verhandlungen an der Förde als auch an der Spree dabei: Robert Habeck und Wolfgang Kubicki zum Beispiel. Inzwischen sind der Grüne und der FDP-Mann Teil des Ampel-Bündnisses auf Bundesebene.
Wer auch schon lange im Norden dabei ist und politische Partnerwechsel hinter sich hat, ist Monika Heinold. Seit zehn Jahren ist sie Finanzministerin, erst im Kabinett von SPD-Regierungschef Albig, dann im Kabinett Günther. Nun will sie selbst in die Staatskanzlei. Aktuell sieht es aber nicht so aus, als ob sie an Günther vorbeikäme. Der einst unbekannte CDU-Politiker hat seine Sache nämlich aus Sicht vieler Schleswig-Holsteiner ziemlich gut gemacht und führt denn auch die DeutschlandTrend-Rangliste der beliebtesten Ministerpräsidenten an. Wenn es richtig gut für ihn und seine CDU läuft an diesem Sonntag, dann kann er bei seiner nächsten Regierung sogar auf einen seiner zwei bisherigen Partner verzichten.
Welche Themen waren im Wahlkampf wichtig?
Der Krieg in der Ukraine bestimmt zumindest indirekt die Themen des Wahlkampfes. Die gestiegenen Energie- und Spritpreise treiben auch die Debatte über den Ausbau erneuerbarer Energien an. Der Norden ist naturgegeben besonders stark von Windkraft geprägt. CDU und FDP fordern eine stärkere Öl-Förderung im Wattenmeer, um die Abhängigkeit von Importen aus Russland zu senken.
Der Bau eines LNG-Terminals für Flüssigerdgas in Brunsbüttel ist umstritten: Bundeswirtschaftsminister Habeck und die führenden Nord-Grünen befürworten ihn - doch ein Landesparteitag lehnte ihn ab. In der Agrarpolitik gibt es Differenzen zwischen CDU/FDP und Grünen.
So lehnen es CDU und FDP mit Verweis auf die Versorgungssicherheit im Ukraine-Krieg ab, landwirtschaftliche Flächen nach EU-Vorgaben aus der Produktion zu nehmen. Die Grünen beharren dagegen auf einem Umbau und führen den Klimawandel sowie das Artensterben an.
Wer könnte gewinnen?
Die Sache scheint eigentlich relativ klar: Die meisten Umfragen lassen auf einen deutlichen Sieg der CDU schließen. In der vor gut einer Woche veröffentlichten ARD-Vorwahlumfrage zur politischen Stimmung im Land lag die CDU bei 38 Prozent - und damit ziemlich weit vor den Herausforderern. Die SPD kam bei der Sonntagsfrage als zweitstärkste Partei auf 19 Prozent und läge damit deutlich hinter ihrem Wahlergebnis von 2017 - damals erreichte die SPD bei 27,3 Prozent. Die Grünen kämen auf 16 Prozent, die FDP würde neun Prozent holen. AfD und SSW würden in etwa im Bereich der Fünf-Prozent-Hürde liegen. Allerdings: Dies ist keine Prognose des Wahlausgangs, sondern die Zahlen spiegelten lediglich die politische Stimmung im Land zehn Tage vor der Wahl wider.
Und dann?
Zumindest an der Spitze der Regierung könnte alles so bleiben, wie es ist. Günther könnte - wenn es nach den Umfragen geht - Ministerpräsident und die CDU die stärkste Kraft in der Regierungskoalition bleiben. Aber wen würden sich die Christdemokraten in diesem Fall als Partner suchen?
Möglicherweise reicht ihnen diesmal ein Zweierbündnis. Rein rechnerisch könnte nach der jüngsten Umfrage ein Bündnis von CDU und Grünen möglich sein - und die FDP nicht mehr nötig sein. Auch eine Koalition der CDU mit der FDP könnte eventuell die notwendige Mehrheit bringen - möglicherweise mit dem SSW.
Eine Koalition aus CDU und SPD wäre politisch wenig wahrscheinlich, aber ebensowenig ausgeschlossen. Eine SPD-Regierung wäre nach den Umfragen hingegen nur möglich, wenn die SPD als zweitstärkste Kraft eine Koalition mit Grünen, FDP und SSW bilden würde. Für eine Koalition aus SPD, Grünen und SSW zeichnet sich keine Mehrheit ab.
Wie schaut Berlin an die Förde?
Eine ehrliche Antwort wäre wohl: allenfalls mit einem halben Auge. Schließlich steht eine Woche später in Düsseldorf weitaus mehr auf dem Spiel, was auch an der Zahl der Wahlkampfauftritte des bundespolitischen Spitzenpersonals tief im Westen abzulesen ist. Gleichwohl ist die Wahl in Schleswig-Holstein natürlich nicht gänzlich unwichtig aus bundespolitischer Sicht. Holt Günther für die CDU wirklich ein glänzendes Wahlergebnis, würde dies im Konrad-Adenauer-Haus die Stimmung wohl deutlich heben - nach dem Machtverlust im Saarland. Ausgerechnet Günther - nie Fan von Friedrich Merz - würde dann dem neuen CDU-Chef das dringend nötige Erfolgserlebnis bescheren und Auftrieb geben, der bestenfalls bis nach Nordrhein-Westfalen reicht.
Und die Kanzlerpartei? Die Niederlage in Kiel dürfte im Willy-Brandt-Haus bereits eingepreist sein, die Blicke sind längst gen Westen gerichtet: In ihrem einstigen Stammland Nordrhein-Westfalen ist ein SPD-Sieg zumindest im Bereich des Möglichen. Mit dem sich abzeichnenden historischen Wahldebakel in Schleswig-Holstein mag man sich da vermutlich nicht lange aufhalten.
Für Grüne und FDP dürfte die spannendste Frage nach der Wahl sein, ob sie weiter mitregieren. Günther hat bis zuletzt bekräftigt, gerne im Jamaika-Bündnis weitermachen zu wollen. Doch sollte die CDU sogar mit Grünen oder FDP im Zweierbündnis regieren können, hätte Günther die Wahl.
Die Linkspartei hat derzeit auf Bundesebene ganz andere Probleme, als sich mit einem erneut desaströsen Wahlergebnis in einem Bundesland zu beschäftigen. Zuletzt gelang der Partei 2009 der Einzug in den Kieler Landtag. Ähnlich die Lage bei der AfD. Auch hier kommt die Partei auf Bundesebene nicht zur Ruhe, sollte jedoch die Nord-AfD aus dem Landtag fliegen, dürfte dies kaum zur Beruhigung der Lage beitragen.