Fragen und Antworten Worum geht's beim Streit um die Tagesschau im Netz?
Erst kam die Klage gegen die Tagesschau App, dann Gespräche zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Zeitungsverlegern darüber, was wer im Web darf. Was war der Klagegrund? Worüber wird genau geredet? Wann gibt es eine Einigung? Der WDR-Medienjournalist Willi Schlichting beantwortet die wichtigsten Fragen zum Streit um die Tagesschau im Netz.
Wer streitet mit wem?
Eine öffentlich-rechtliche App als Verhandlungssache vor Gericht ist ein Novum. Acht deutsche Verlage haben die Klage gegen die Tagesschau App vor dem Kölner Landgericht eingereicht. Darunter sind publizistische Schwergewichte wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", der Verlag der "Süddeutschen Zeitung" und die Axel Springer AG. Draußen am Kiosk sind sie Konkurrenten, bei Gericht seit Oktober 2010 geeint durch den Unmut über ein Programm (oder: Applikation), das die Inhalte von tagesschau.de auf Smartphones und Tablet-PCs transportiert.
Worum genau geht es beim App-Streit?
Nach Ansicht der Kläger transportiert die App nicht einfach Inhalte von tagesschau.de, sondern ist ein eigenständiges Angebot der ARD. Damit ist man mitten drin im Streit um Definitionen. Die beklagte Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ARD) sieht tagesschau.de zu Unrecht vor Gericht, weil eine App nichts anderes sei als ein technischer Verbreitungsweg, der die Inhalte von tagesschau.de 1:1 auf Smartphones und Tablet-PCs bringe. Es gibt ebenso wenig eine eigene App-Redaktion wie eigene Inhalte für die Tagesschau-App. Wer hier denkt, es handle sich um juristischen Kleinkram, liegt falsch. Denn mehr als 15 Jahre lang ist tagesschau.de schon online - geprüft und abgesegnet. (Siehe "Dürfen die Öffentlich-Rechtlichen im Netz machen, was sie wollen?") Dagegen aufzubegehren, zieht die nächste Frage nach sich.
Warum kam die Klage so spät?
Eine Antwort lautet: Weil es jetzt mobiles Internet gibt, mit berauschenden Wachstumsraten und einem Vertriebsweg für Inhalte: den Apps. Und auf diesen Apps ruhen die Hoffnungen der Verleger, die mit vielen Bezahlmodellen im traditionellen, stationären Internet keinen Erfolg hatten und deswegen mehr oder weniger damit abgeschlossen haben. Die App, die die Verleger mit dem traditionellen Abonnement für die Zeitung vergleichen, lässt die Hoffnung keimen, mit Zeitungsangeboten im Netz doch noch Geld zu verdienen. Und das geschieht auch schon.
Die erfolgreiche blaue App der Tagesschau - über drei Millionen Mal heruntergeladen - steht nach Auffassung der Kläger im Wettbewerb mit den Angeboten der Verleger. Und sie störe diesen empfindlich, weil die ARD für die App ja kein Geld nimmt. Das Angebot wird über Gebühren finanziert. Die App soll weg, weil sie aus Sicht der Verleger die gerade neu entstehenden Geschäftsmodelle im Internet behindert. Darum geht es bei dem Rechtsstreit. Und darum hätte es eine Klage gegen tagesschau.de ohne die Erfindung der Apps jetzt nicht gegeben.
Was spricht gegen kostenlose Apps?
Die Verleger beschreiben die Situation häufig so: Beim Bäcker steht neben dem Bezahl-Brot (App der Verleger) kostenloses Brot (Tagesschau App). Welches nehmen die Menschen? Auf Medienforen wird diese rhetorische Frage immer wieder gestellt. Das Argument verliert an Kraft, wenn man die Tagesschau und die nur zum Teil kostenpflichtigen Erzeugnisse der Verleger als unterschiedliche Brotsorten betrachtet. Wer die Marke Tagesschau will, wird Tagesschau nehmen. Wer die Süddeutsche im Netz will, wird die nicht durch die Tagesschau ersetzen und verzichten. Wahrscheinlicher ist, dass beides genommen wird. Bewiesen ist das alles noch nicht. Ebensowenig wie die These, dass alle Menschen nur noch das kostenlose Brot nehmen würden.
Und übrigens: Die Tagesschau App ist keineswegs kostenlos, sondern durch Ihre Gebühren bezahlt.
Dürfen die Öffentlich-Rechtlichen im Netz machen was sie wollen?
Nein, das dürfen sie nicht. Um das zu verstehen, lohnt sich ein kurzer Blick zurück: Die deutsche Qualitätspresse und der öffentlich-rechtliche Rundfunk pflegten einmal grundsätzlich eine friedliche Koexistenz - damals in der Welt ohne Internet. Verleger druckten und verkauften Zeitungen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk erweiterte den Horizont des Zeitungslesers um Bilder und Töne. Im Netz trafen sie sich dann plötzlich auf dem selben Verbreitungsweg.
Medienpolitiker und Wettbewerbshüter verpassten dem gebührenfinanzierten Rundfunk 2009 ein Korsett für den Auftritt im Netz: den Drei-Stufen-Test. Im Drei-Stufen-Test werden der Beitrag des gebührenfinanzierten Telemedienangebots zum publizistischen Wettbewerb und die möglichen Auswirkungen auf Angebote anderer Marktteilnehmer untersucht.
Das bedeutet: Schon jetzt geht kein neues Internetangebot an den Start, ohne das Prüfverfahren zu durchlaufen. Und vor der Regelung bestehende Angebote wurden ebenfalls abgeklopft. Die User kennen, auch ohne mit der Bezeichnung Drei-Stufen-Test vertraut zu sein, die Folgen: Ein riesiges digitales Archivangebot mussten die Sender den Gebührenzahlern entziehen, indem Texte, Videos und Audios offline gestellt wurden. Und aktuelle Angebote wurden mit einem künstlichen Verfallsdatum ausgestattet, einer Verweildauer fürs Netz. Von ungezügelter Expansion, einem beliebten Vorwurf mancher Verleger, kann also keine Rede sein.
Betreibt die ARD mit der App "Presse im Netz"?
"Presseähnlich" ist das schwerste - und neben der behaupteten Wettbewerbsverzerrung einzige - Geschütz der Verleger gegen das Angebot Tagesschau App. Denn in der Tat gibt es ein "Verbot von nichtsendungsbezogenen presseähnlichen Angeboten" im Internet, wie der Rundfunkänderungsstaatsvertrag unzweifelhaft festschreibt. Die Zweifel kommen bei der Anwendung des Verbots. Der Gesetzgeber hat nämlich nur einige Hilfskonstrukte geliefert, mit denen die Behauptung der "Presseähnlichkeit" gestützt werden soll.
Zugespitzt ausgedrückt sehen die Verleger in öffentlich-rechtlichen Angeboten, die ihren eigenen in Aufbau und Inhaltsdichte ähneln, presseähnliche Angebote. Dabei gehen die Verleger davon aus, dass ihre Tätigkeit im Netz auf jeden Fall Presse im Netz ist, weil sie ja auch Zeitungen drucken. Aus Sicht der Verleger ist das eine robuste Untermauerung ihrer Klage. Die ARD sah das vor Gericht anders.
Was sagt die Justiz zum Thema Presseähnlichkeit?
Aus Sicht des Vorsitzenden Richters am Landgericht Köln, Dieter Kehl, ist die Presseähnlichkeit schwerer zu fassen. Jedenfalls für das Gesamtpaket Tagesschau App. Dass die Verleger ein Urteil bekommen, welches die App generell als presseähnlich und damit für unzulässig erklärt, hat Richter Kehl schon beim ersten Termin im Oktober 2011 ausgeschlossen.
Generelle Regeln, ab wann ein Angebot presseähnlich sei, gebe es vom Landgericht Köln nicht, so Kehl. Er schloss nicht aus, dass möglicherweise auf einer bestimmten Seite eines bestimmten Tages eine presseähnliche und damit unzulässige Publikation festgestellt werden könnte. Doch wem sei damit geholfen? - so seine Frage und Feststellung in einem.
Wie kam es zu Gesprächen zwischen Verlegern und Öffentlich-Rechtlichen?
"Aus der Klage ist die Luft raus!", formulierte der Vorsitzende Richter am Ende des ersten Termins - verbunden mit dem Appell, außergerichtlich eine Einigung zu finden. Wagt man die gar nicht so gewagte Prognose, dass die Verleger vor Gericht nicht bekommen, was sie wollen, könnte man den Standpunkt beziehen: Prozess durchziehen und die Kläger auflaufen lassen. Viele, die jetzt die Gespräche beider Seiten kritisieren, haben diesen Standpunkt. Denn die klagenden Verleger haben eine Chance, in außergerichtlichen Verhandlungen mehr zu erreichen als am Ende eines Prozesses. Zumal es in den Gesprächen um mehr geht als um die App - nämlich um die Zukunft der Angebote im Netz überhaupt.
Warum lässt sich die ARD auf Gespräche ein?
Aber aus Sicht der ARD ist es besser, es am Ende nicht auf das Verfahren ankommen zu lassen. Schon vor der Klage wurde den Verlegern ja die Hand gereicht, um das friedliche Miteinander von Zeitung und öffentlich-rechtlichem Rundfunk wieder herzustellen. Man könne an Details arbeiten, ohne die App aber aufzugeben, war damals die Position der ARD-Spitze. Daraus spricht nicht allein christliche Nächstenliebe. Einen Reigen von Verlegern gegen sich zu haben, die von "BILD" bis "FAZ" über gehörige publizistische Wucht verfügen, ist auf Dauer nicht wirklich schön, scheint man sich zu sagen. Und die ARD sieht sich in einer Art Wertegemeinschaft mit der Qualitätspresse: Menschen, die Zeitung lesen, hören und sehen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und nutzen dessen Online-Angebot, so die (wohl nicht ganz falsche) Annahme.
Was ist das Ziel der Gespräche?
Verleger und öffentlich-rechtlicher Rundfunk sprechen über eine "Gemeinsame Erklärung". Die soll nicht rechtsverbindlich sein und einige grundsätzliche Spielregeln im Internet festlegen. Die ARD-Vertreter, der Intendant des ZDF und die Verhandlungspartner der Zeitungsverleger sprechen nicht über die Tagesschau App, heißt es. Man möchte, so viel ist schon durchgesickert, die Claims so abstecken, dass man sich im Internet künftig weniger in die Quere kommt.
Wie ist der Stand der Gespräche?
Nicht bestätigt, aber vielfach zitiert, ist die Annahme, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Netzangebote noch stärker auf Ton und Bewegtbild konzentriert und die Verleger Text und Fotos im Netz bevorzugen. Frühere Entwürfe, die aus den vertraulichen Gesprächen an die Öffentlichkeit gekommen sind, gingen in diese Richtung.
Welche Einwände werden erhoben?
Diese Entwürfe werden innerhalb der ARD heftig diskutiert. Redakteursausschüsse von ARD und ZDF sowie die Internetverantwortlichen der ARD machen sich Sorgen um die Zukunftsfähigkeit ihres Angebots, wenn für den Text im Netz grundsätzliche Einschränkungen vereinbart werden.
Die Kritiker meinen, dass einer solchen Erklärung ein überholtes Denken zugrunde liegen könnte: Die Vorstellung, dass ein Internetangebot entweder wie eine Zeitung sein kann, also mit viel Text, oder Rundfunk, also mit viel Bild und wenig Text. Die Kritiker hoffen dagegen, dass die Erkenntnis, dass gerade das Verschmelzen von Text, Bewegtbild, Foto und Ton in immer wieder neuer Dosierung ein gutes Netzangebot ausmacht, sich in den Gesprächen am Ende durchsetzt.
Wie realistisch sind die Befürchtungen?
Ob die Befürchtungen der Kritiker gerechtfertigt sind, lässt sich zurzeit nicht beantworten.