Ein Bundesstaatsanwalt im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts München
Interview

Generalbundesanwalt Frank "Die Akte NSU wird nicht geschlossen"

Stand: 11.07.2018 17:23 Uhr

Für Generalbundesanwalt Frank ist das Urteil im NSU-Prozess kein Schlussstrich. Er will die Ermittlungen zu möglichen Unterstützern weiterführen, sagt er im Interview. Eine neue Strategie gegen Rechts trage erste Früchte.

tagesschau.de: Herr Generalbundesanwalt, inwieweit sehen Sie sich durch das Urteil in Ihrem Strafantrag bestätigt?

Peter Frank: Das heutige Urteil des Senats bestätigt unsere Anklage und auch unsere Schlussanträge im Wesentlichen. Insbesondere in den für uns entscheidenden und zentralen Fragen, nämlich dass Frau Zschäpe Mitglied der terroristischen Vereinigung NSU und Mittäterin der NSU-Mordanschlags- und Raubserie war, ist der Senat unserer Einschätzung gefolgt. Das bedeutet für uns aber jetzt keinen Schlussstrich. Die Akte NSU wird mit dem heutigen Urteil für uns nicht geschlossen sein.

tagesschau.de: Die Verteidiger von Beate Zschäpe werden in Revision gehen, das haben sie gleich nach dem Urteil angekündigt. Sehen Sie dem gelassen entgegen?

Frank: Das haben wir erwartet.

"Ermittlungen nur auf faktenbasierenden Tatsachen"

Peter Frank

Generalbundesanwalt Peter Frank sieht nach dem Ende des NSU-Prozesses viele Fragen für die Kläger unzureichend beantwortet.

tagesschau.de: Der Prozess in München sollte auch zur Aufklärung der Mordserie und der Umstände beitragen. Von den Anwälten der Opferfamilien wurde der Vorwurf erhoben, dass die Strafverfolgungsbehörden den Fall gar nicht ausermittelt hätten. Die Zahl der Unterstützer, heißt es immer wieder, werde auf mehr als 100 geschätzt. Müssen sich die Ermittlungsbehörden da nicht ernste Versäumnisse vorwerfen lassen?

Frank: Wir haben in langen und umfangreichen Ermittlungen sehr viele Zeugen vernommen, sehr viele Beweisgegenstände erhoben. Aber auch für uns sind nach diesem Prozess, nach dieser Hauptverhandlung noch Fragen offen - Fragen, die auch seitens der Nebenklage der Angehörigen der Opfer gestellt wurden. Deswegen schließen wir die Akte des NSU nicht.

Wir haben auch während des Prozesses unsere Ermittlungen zur Struktur des NSU fortgeführt. Das ist für uns heute deswegen auch kein Schlussstrich. Wir müssen aber immer Vermutungen von Fakten, von eindeutigen Tatsachen und Beweisen trennen. Wir als Ermittler und ich als Generalbundesanwalt habe die Aufgabe, Ermittlungen nur auf faktenbasierenden Tatsachen zu führen.

NSU als Verpflichtung für die Bundesanwaltschaft

tagesschau.de: Wenn Sie aber sagen, Sie werden weiter ermitteln, dann gehen Sie also auch davon aus, dass es noch weitere Unterstützer gegeben haben muss?

Frank: Für uns stellten sich auch während des Verfahrens noch Fragen. Fragen zum Beispiel nach den vielen Waffen, die man beim NSU geführt hat. Die Angehörigen hatten die Frage: Gab es Unterstützernetzwerke vor Ort? Wir haben im Rahmen unserer Ermittlungen bislang keine konkreten eindeutigen Beweise gefunden, dass es ein deutschlandweites Unterstützernetzwerk gab, über die Personen, die heute verurteilt wurden, hinaus. Aber diese Fragen sind natürlich da. Und wir werden im Rahmen unserer Ermittlungen, wenn wir neue Ansatzpunkte bekommen, diesen auch nachgehen. Deswegen werden die Ermittlungen heute nicht geschlossen. Das ist aber nicht einfach. Gerade der heutige Teilfreispruch für André E. zeigt, wie schwierig es ist, eine Person aus dem rechten Umfeld von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe strafrechtlich als Beteiligte an der NSU-Mordserie zu belangen.

tagesschau.de: Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt konnten ja jahrelang unbehelligt neun Migranten und eine Polizistin umbringen. Haben während der Mordserie die Ermittlungsbehörden nicht erheblich versagt, auch die Bundesanwaltschaft?

Frank: Der 4. November 2011, als der NSU aufflog, war ein bitterer Tag für alle Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden - weil hier offenbar wurde, was an rassistischer Motivlage dieser Mordserie nicht erkannt wurde. Deswegen ist der 4. November 2011 ein Tag, der tiefe Spuren hinterlassen hat. Da ist auch Vertrauen verloren gegangen. Deswegen ist dieser 4. November 2011 für uns, für die Bundesanwaltschaft und auch für mich eine Verpflichtung. Wir dürfen und wir werden deswegen auch das Kapitel NSU nicht schließen.

Demonstrant vor dem Gericht in München

Mit einem Schild protestiert ein Demonstrant am Tag der Urteilsverkündung vor dem Gericht in München: Die Behörden hatten jahrelang das fremdenfeindliche Motiv der NSU-Morde nicht erkannt und im Umfeld der Opfer ermittelt.

"Erschreckende Antwort" auf die Fragen der Angehörigen

tagesschau.de: Sie haben selbst einmal gesagt: Eine terroristische Organisation wie den NSU darf es nicht mehr geben. Welche Maßnahmen haben denn die Behörden ergriffen, um das sicherzustellen?

Frank: Wir, die Bundesanwaltschaft, haben auf den NSU mit einer neuen "Strategie Rechts" geantwortet. Wir haben in der Behörde die Ermittlungen stärker gebündelt und zentralisiert. Ich habe die Anzahl der Ermittler im Bereich Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus aufgestockt. Wir stehen in einem intensiven und dauerhaften Austausch mit den Polizei-, Justiz- und Sicherheitsbehörden des Bundes und der Bundesländer, auch im internationalen Kontext.

Wir wollen den Rechtsterrorismus stets im Auge haben, damit rechte Strukturen nicht in terroristische Vereinigungen und terroristische Straftaten umschlagen. Das ist ein dauerhafter Auftrag für uns und das ist auch eine Antwort auf den NSU. Diese neue "Strategie Rechts" trägt erste Früchte, wie die Verfahren und die rechtskräftige Verurteilung im Komplex "Oldschool-Society" und auch unser Verfahren gegen die "Gruppe Freital" bereits zeigt.

tagesschau.de: Mit dem heutigen Urteil im NSU-Prozess ist einer der wichtigsten Prozesse in der deutschen Rechtsgeschichte zu Ende gegangen. Welche Konsequenzen ziehen Sie persönlich aus dem NSU-Prozess?

Frank: Ganz persönlich berührt mich, dass wir den Angehörigen der Opfer des NSU so manche Frage nicht beantworten konnten, zumindest nicht aus ihrer Sicht befriedigend. Nämlich die Frage: Warum ist gerade mein Mann, warum ist gerade mein Vater oder mein Sohn ermordet worden? Auch wir haben da lange nach Erklärungen gesucht.

Die einzige Antwort, die wir geben können und die wir gefunden haben, ist die Gemeinsamkeit aller neun Mordopfer des NSU mit ihrem Migrationshintergrund. Das ist für die Angehörigen und auch für uns nur eine erschreckende Antwort. Und für die Angehörigen erst recht unzureichend. Das kann ich verstehen und nachvollziehen.

Das Interview führte Gerhard Leitner, SWR2 Baden-Baden.

Gerhard Leitner, SWR, 11.07.2018 16:20 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete am unter anderem 11. Juli 2018 ARD in der Sondersendung "Das Urteil. Die Verbrechen der NSU" um 09:55 Uhr und Deutschlandfunk um 08:23 Uhr.