Rosenthal will Jusos führen "Wir wollen wirklich was verändern"
Jessica Rosenthal hat gute Chancen, neue Juso-Chefin zu werden. Im Interview mit tagesschau.de spricht sie über Kühnerts Kurs, die neue SPD und schlechte Umfragewerte, über Mut und Machtanspruch.
tagesschau.de: Frau Rosenthal, Sie treten am Wochenende als einzige Kandidatin für die Nachfolge von Kevin Kühnert an. Warum gibt es keine weiteren Anwärterinnen oder Anwärter? Traut sich sonst niemand?
Jessica Rosenthal: Viele Leute haben mich um Vorfeld angesprochen und mir versichert, dass ich die Richtige bin und sie mir diesen Posten zutrauen. Ich erfahre Rückhalt im Verband. Deshalb denke ich, dass die Kandidaturlage ist, wie sie ist.
Jessica Rosenthal ist 1992 in Hameln geboren. Nach einem freiwilligen politischen Jahr studierte sie in Bonn auf Lehramt. Seit Mai ist Rosenthal Vertretungslehrerin an einer weiterführenden Schule. 2013 trat sie in die SPD ein. Seit 2018 ist sie Juso-Chefin in NRW.
tagesschau.de: Was macht Sie denn zu der "Richtigen"?
Rosenthal: Wir haben in den letzten Jahren durchaus viel bei den Jusos und in die SPD vorangetrieben und ich habe an entscheidenden Stellen mitgewirkt. Als stellvertretende Bundesvorsitzende und Vorsitzende des größten Landesverbands Nordrhein-Westfalen habe ich viel Erfahrung gesammelt. Wir finden als politischer Jugendverband großes Gehör im politischen Raum und wir wollen auch in den Parlamenten deutlich machen, dass wir einen politischen Gestaltungsanspruch haben. Nicht zum Selbstzweck, wir wollen wirklich was verändern.
tagesschau.de: Was wollen Sie verändern? Oder möchten Sie den Kurs von Kevin Kühnert weitergehen, der ja zuletzt sehr stark das Gesicht der Jusos geprägt hat?
Rosenthal: Wir werden den weitergehen. Gemeinsam. Das war ja nicht nur seine Person, sondern wir haben uns immer als Team verstanden. Wir wollen tatsächlich das große Rad drehen. Wir finden, dass die Perspektive junger Menschen - auch jetzt gerade in der Corona-Krise - viel zu wenig vorkommt.
Es wird etwa nicht genug dafür gesorgt, dass es Schülerinnen und Schülern in der Klasse gut geht, dass die Ausbildung von jungen Menschen gesichert ist oder der Berufseinstieg auch in Pandemiezeiten leicht möglich ist. Was hier Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) vorlegt, ist eine absolute Ohrfeige ins Gesicht unserer Generation. Das reicht einfach nicht aus.
Der Staat muss jetzt intensiv investieren. Wir brauchen eine umfassende Weiterentwicklung des Sozialstaats - gerade jetzt in Corona-Zeiten. Das bedeutet die Ausweitung des BAföG und eine Ausbildunsgarantie für jeden. Perspektivisch müssten wir auch zu einer Jobgarantie und zu Arbeitszeitverkürzungen kommen. Um Industriestandort zu bleiben, müssen wir die Industrie umbauen. Es wird Zeit, mit großen Antworten da ranzugehen. Wir brauchen mehr Mut.
Am 28. November kommen die Jusos zu einem digitalen Bundeskongress zusammen, auf dem per Briefwahl über Jessica Rosenthals Kandidatur abgestimmt werden soll.
tagesschau.de: Ist Ihre Partei, die SPD, im Umkehrschluss bislang zu feige, an diesen großen Rädchen zu drehen?
Rosenthal: Wir sind heute eine neue SPD, anders als noch 2017. Das ist nach außen vielleicht noch nicht ganz so deutlich geworden, dafür ist eben auch der anstehende Bundestagswahlkampf da. Wir haben klar gemacht, dass die Schuldenbremse nicht die Antwort ist, sondern jetzt breite Investitionen für eine generationsgerechte Zukunft nötig sind. Das hat dann in der Konsequenz einen direkten Einfluss darauf, ob ein Schwimmbad um die Ecke saniert werden kann und somit mehr Kinder Schwimmen lernen.
"Das ist eine verkürzte Debatte"
tagesschau.de: Keine Schuldenbremse, Ausweitung des BAföG und hohe Investitionen. Sie sprechen viel über Generationengerechtigkeit - ist das Schuldenmachen denn gerecht?
Rosenthal: Das ist eine verkürzte Debatte. Das bringt uns als Generation nichts. Wir bekommen nicht nur Kontostände vererbt, sondern auch eine marode Infrastruktur, kaputte Schulen und eine nicht mehr existente Daseinsvorsorge. Und klar, wir haben auch einen Blick auf die Einnahmenseite. Am Ende geht es somit auch um eine gerechte Vermögensverteilung. Starke Schultern tragen mehr. Davon sind wir weit entfernt. Wir nähern uns bei der Vermögensverteilung regelrecht an eine Adelsgesellschaft an.
tagesschau.de: Selbst Ihr Kanzlerkandidat, Olaf Scholz, hat sich kürzlich als nicht reich bezeichnet. Wo fängt Reichtum an? Können Sie eine konkrete Zahl nennen, ab wann Sie umverteilen würden?
Rosenthal: Wir wollen sicher nicht das geerbte Haus der Oma einziehen. Wir wollen aber gerade da ansetzen, wo Vermögen nicht selbst erarbeitet wurde. Im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit streben wir eine höhere Steuerbelastung ab 125.000 Jahreseinkommen bei einem Single-Haushalt an. Hier brauchen wir spätestens ab zwei Millionen Euro eine Vermögensteuer, die ihren Namen verdient.
"Es geht uns hier nicht um Abgrenzung"
tagesschau.de: Als Jusos vertreten Sie oft sehr linke Positionen. Sie haben mal gesagt, dass Sie den Kapitalismus überwinden wollen. Wie wollen sich die Jusos bei der Bundestagswahl von der Linkspartei abgrenzen?
Rosenthal: Mein erklärtes Ziel ist, dass ich gerne unaufgeregt diese Debatte führen möchte, über die Zukunft unseres Wirtschaftssystems. Ich will mich nicht mit Buzz-Words rechtfertigen müssen, dass ich in irgendeiner DDR-Fantasie verhaftet bin. Das ist unendlich weit weg von dem, was wir diskutieren. Aber jedem wird doch bei nüchterner Betrachtung klar, dass unser Wirtschaftssystem auf der Ausbeutung von Mensch und Natur beruht. Als SPD haben wir konkrete Konzepte, das zu ändern ohne den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht aus dem Blick zu verlieren. Bei der Linkspartei müssen sich die Wählerinnen und Wähler immer fragen, ob die Partei auch willens ist, ihre Versprechen umzusetzen ...
tagesschau.de: ... und Sie können das versprechen?
Rosenthal: Ich kann für die Jusos sagen, dass wir willens sind.
"Die Partei ist wieder geeint"
tagesschau.de: Die Jusos in Nordrhein-Westfalen haben einen großen Anteil an der Wahl der neuen Parteispitze aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die nicht unumstritten sind. Die Umfragewerte der SPD sind mit 15 Prozent auch nicht wirklich gut. Haben Sie sich hier verschätzt?
Rosenthal: Ich mache den Erfolg der Partei im derzeitigen Stadium nicht nur an den Umfragewerten aus, ohne die jetzt beschönigen zu wollen. Es ist gelungen, die SPD inhaltlich weiterzuentwickeln. Wir haben es auch geschafft, eine Partei, die nicht mit sich im Reinen war, wieder zu einen. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans haben nach ihrer Wahl ihre Hände in alle Richtungen ausgestreckt, und auch Olaf Scholz hat erklärt, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Wir sind für die Bundestagswahl daher gut aufgestellt. Auch, wenn wir sehen, dass wir mehr Vertrauen zurückgewinnen müssen. Ich sehe hier auch meine Aufgabe, vor allem an die jungen Leute ein klares Angebot zu machen.
tagesschau.de: Würden Sie sich noch einmal in eine Große Koalition reinreden lassen?
Rosenthal: Nein, das ist kein gutes Modell für unser Land.
tagesschau.de: Was treibt Sie politisch an? Wie sind Sie zu den Jusos gekommen?
Rosenthal: Bei mir war der Impuls da, dass die Welt nicht dadurch besser wird, dass wir auf dem Sofa sitzen. Es gibt so wahnsinnig viele Ungerechtigkeiten. Nicht jeder kann das aus seinem Leben machen, was er oder sie sich wünscht. So kam ich zu den Jusos und hier zu der festen Überzeugung, dass wir daran nicht nur etwa ändern können, sondern das bessere Morgen noch vor uns liegt.
Das Gespräch führte Iris Marx, tagesschau.de.