Netz-Strategien von Rechtsextremen "Internet stabilisiert die rechte Szene"
Rechtsextreme werben verstärkt über Soziale Netzwerke. Laut einer Studie von "jugendschutz.net" spielen diese eine zentrale Rolle für die Ansprache von Jugendlichen. Das Netz ist für die Rechten überlebenswichtig, sagt der Experte Kai Brinckmeier gegenüber tagesschau.de.
tagesschau.de: Welche Bedeutung hat das Internet für rechtsextreme Organisationen?
Kai Brinckmeier: Eigentlich dürfte der Rechtsextremismus gar nicht so existieren, wie er existiert. Er tut es aber. Meine These ist, dass es am Internet liegt. Die Ressourcen der Rechtsextremen sind äußerst begrenzt. Das Netz als günstiger und einfacher Kommunikationsraum führt dazu, dass die beschränkten Mittel viel effektiver und effizienter genutzt werden können.
Kai Brinckmeier hat an der Universität Münster Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft und Wirtschaftspolitik studiert. Er promovierte zum Thema "Rechtsextreme Kommunikation im Internet".
tagesschau.de: Inwiefern hat die Kommunikation im Netz den Rechtsextremismus verändert?
Brinckmeier: Zu Beginn gab es vereinzelte Websites, alles stand noch relativ unverbunden nebeneinander und war eher klandestin, also nach innen gerichtet. Heute hat die Zahl der Angebote deutlich zugenommen.
Eine fundamentale Veränderung ist, dass sich durch die technische Weiterentwickung die Kommunikation diversifiziert hat: Rechtsextreme betreiben Websites und Blogs, nutzen soziale Netzwerke und bauen eigene auf, bieten Chats an, verbreiten Videos und machen Fundraising. Das hat zum einen der Vernetzung innerhalb der Szene enormen Auftrieb gegeben: Durch das Internet wird die rechte Bewegung dauerhaft stabilisiert und gefestigt. Zum anderen lässt sich darüber potenziell ein Massenpublikum erreichen.
"Gezielte Unterwanderung der öffentlichen Meinung"
tagesschau.de: Welche Strategien wenden rechtsextreme Gruppierungen an, um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen?
Brinckmeier: Eine Doppelstrategie: Zum einen thematisch, durch Intervention in gesellschaftliche Diskurse. Sie beteiligen sich an Debatten, die in öffentlichen Foren geführt werden, zum Beispiel auf Nachrichtenseiten. Dort versuchen sie, Themen - zum Beispiel Debatten über Hartz IV - zu besetzen und ihre eigene Position einzubringen. Das sind keine einzelnen Extremisten, sondern es handelt sich um eine gezielte Unterwanderung der öffentlichen Meinung in Diskussionsforen.
Neonazis nutzen zunehmend Online-Netzwerke, um Propaganda zu verbreiten. Die Organisation "jugendschutz.net" hat im vergangenen Jahr rund 7000 rechtsextreme Inhalte im deutschsprachigen Internet erfasst, von denen die Organisation mehr als 1600 als strafbar bewertet. 80 Prozent der Inhalte fanden sich in Sozialen Netzwerken, nur 20 Prozent auf klassischen Internetseiten. 1317 als strafbar eingestufte Inhalte fanden sich allein bei den beiden großen US-Diensten Facebook und YouTube. Auch über Twitter mobilisieren die Neonazis verstärkt ihre Anhänger oder verbreiten ihre Informationen, darunter auch zunehmend Hasspropaganda.
Zum anderen versuchen Rechtsextreme eine Art Schnittstelle zwischen der Online-Welt und der realen Welt herzustellen. Aufmärsche und Demonstrationen werden im Netz vorbereitet, hier erfolgen die Aufrufe, die Mobilisierung, die Agitation. Dann findet der Aufmarsch statt und wird medial begleitet. Man dreht Videos und stellt Filme im Netz, in Foren wird darüber diskutiert. Darüber werden auch andere Forenteilnehmer angesprochen und ins Boot geholt.
tagesschau.de: Wie deutlich werden denn bei dem Versuch, neue Unterstützer zu rekrutieren, politische Ziele angesprochen?
Brinckmeier: Erstaunlicherweise werden auf den Internetseiten rechtsextremer Organisationen und Kameradschaften die politischen Ziele und Strategien relativ offen und transparent dargelegt. Diese Seiten machen einer eventuell interessierten Öffentlichkeit also ein Kommunikationsangebot, das sich nicht hinter Codes und Verklausulierungen versteckt, sondern das eigentlich relativ deutlich sagt, was man anstrebt.
Über soziale Netzwerke Jugendliche ins Boot holen
tagesschau.de: Laut der neuen Studie von Jugendschutz.net sind junge Leute eine der Hauptzielgruppen der rechten Aktivitäten im Netz. Welche Rolle spielen dabei soziale Netzwerke?
Brinckmeier: Inzwischen haben rechte Gruppierungen erkannt, dass man mit modernen Methoden an Jugendliche herangehen muss, sie also über Facebook und andere soziale Netzwerke erreichen muss. Der kulturelle Kosmos, der auf Musik, Kleidung und Symbolik basiert, lässt sich online natürlich viel leichter verfügbar machen als vorher. Gerade für Jugendliche, die in ihrem Umfeld wegen ihrer radikalen Haltung auf soziale Sanktionen stoßen, schaffen solche Netzwerke einen Schutzraum.
Im Prinzip können Rechtsextreme ihr ideologisch bestimmtes Leben komplett in der virtuellen Welt führen. Sie müssen nur zum Supermarkt gehen und sich ihr Essen kaufen - alles andere: Literatur, Musik, Freunde - können sie online befriedigen. Inzwischen gibt es sogar sogenannte arische Dating-Portale, in denen man gleichgesinnte Partner finden kann.
tagesschau.de: Haben die Rechtsextremen im Netz eine Art Kulturwandel vorgenommen? Weg von aggressiver Rhetorik und dem Klischee des Radikalen in Springerstiefeln, hin zum Dialog?
Brinckmeier: Das trifft den Nagel auf den Kopf. Das Web 2.0 gilt als Medium, in dem mehr Partizipation stattfindet. Genau diesen Effekt gibt es auch im Rechtsextremismus - vor dem bemerkenswerten Hintergrund, dass man bis dato immer davon ausging, dass Rechtsextreme eine eher militärisch orientiere Hierarchie haben. Erstaunlicherweise ist es aber so, dass man in Foren und Weblogs beobachten kann, dass dort ernstzunehmende Debatten geführt werden um Fragen wie "Was ist die richtige Strategie?" und "Wie können wir die Gesellschaft von unseren Ideen überzeugen?"
tagesschau.de: Eine zentrale These ihrer Dissertation besagt, dass das Internet für die rechtsextreme Szene zum zentralen Ort ihrer Binnenkommunikation geworden ist - es stabilisiert und festigt die unterschiedlichen Strömungen. Inwiefern?
Brinckmeier: Früher waren die verschiedenen Strömungen sehr zersplittert. Heutzutage gibt immer noch ideologische Differenzen, aber inzwischen agieren die einzelnen Gruppen viel stärker zusammen. Die ideologischen Gräben werden durch die Kommunikation im Internet geringer, weil sich kleine Netzwerke einzelner Strömungen mit anderen Netzwerken in Verbindung setzen, je nachdem wie es strategisch und politisch gewollt ist.
Mehr Zulauf durch NPD-Verbotsverfahren?
tagesschau.de: Der NPD droht ein Verbotsverfahren. Wird dadurch die Bedeutung des Netzes höher und auch der Zulauf von Foren und Websites größer, weil die Rechtsextremen sozusagen in virtuelle Welten abtauchen?
Brinckmeier: Man kann in sozialen Netzwerken wichtige Kommunikationsknoten zerschlagen, wie es im vergangenen Jahr mit dem zuvor einflussreichen Neonazi-Forum "Thiazi" geschehen ist. Man kann auch eine Partei zerschlagen. Das Verbotene wird aber an anderer Stelle wieder auftauchen. Mit Sicherheit würde ein NPD-Verbot dafür sorgen, dass die Leute sich dann online verstärkt holen, was sie offline nicht mehr bekommen, nämlich Gemeinschaft, politische Diskussionen, Organisation und Veranstaltungen.
"Es gibt keine durchschlagende virtuelle Gegenstrategie"
tagesschau.de: Die Rechtsextremen nutzen das Netz für Rekrutierung und Agitation. Welche virtuellen Gegenstrategien gibt es?
Brinckmeier: Es gibt leider keine durchschlagende virtuelle Gegenstrategie. Was man online machen kann, ist Beobachtung, Monitoring und Aufklärung. Sei es, in dem man als einzelner Bürger anstößige Inhalte in sozialen Netzwerken meldet - bei den Betreibern der Portale oder auch bei entsprechenden Seiten wie "Netz gegen Nazis" und "Jugendschutz.net." Als weiteren Schritt kann man auch auf juristischer Ebene gegen Internetseiten vorgehen. Damit schlägt man allerdings der Hydra immer einen Kopf ab, und am Ende sind drei Köpfe mehr nachgewachsen.
Die Prävention von und die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus muss viel früher einsetzen. Von zentraler Bedeutung ist es, dass Kinder und Jugendliche in der Schule darüber aufgeklärt werden, dass Rechtsextremismus keineswegs ein Problem ist, das nur im historischen Kontext zu behandeln ist.
Das Interview führte Daniela Sting, tagesschau.de.