Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
interview

Interview zu Gesundheitsdaten "Die sensibelsten Daten, die wir haben"

Stand: 21.05.2015 11:43 Uhr

Der Deutsche Ethikrat beschäftigt sich heute mit Big Data im Gesundheitswesen. Auch Ex-Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger mahnt zu Vorsicht beim Umgang damit: "Es sind die sensibelsten Daten, die wir haben", sagt sie im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Gesundheitsdaten werden über Jogging-Apps oder soziale Netzwerke gesammelt, Patienten werden teils ausdrücklich von ihren Ärzten dazu ermutigt. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich sehe diese Entwicklung sehr kritisch, gerade Gesundheitsdaten mit Apps zu sammeln. Die meisten Apps sind datenschutztechnisch sehr anfällig oder ungenügend. Man weiß nicht, wo die Daten am Ende tatsächlich landen. Das halte ich für falsch und besorgniserregend - insbesondere im Zusammenhang mit medizinischen Daten. Denn sensiblere Daten als diese gibt es nicht.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Zur Person

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, 63, ist eine der wichtigsten Stimmen zu Bürgerrechten und Datenschutz in Deutschland. Die Juristin war von 1990 bis 2013 für die FDP Mitglied des Deutschen Bundestags. 1992 wurde sie Bundesjustizministerin im Kabinett Kohl. Dieses Amt legte sie 1996 aus Protest gegen den "Großen Lauschangriff" nieder. Von 2009 bis 2013 war sie im Kabinett Merkel II erneut Bundesjustizministerin.

tagesschau.de: Birgt denn technischer Fortschritt nicht auch Chancen, gerade im medizinischen Bereich?

Leutheusser-Schnarrenberger: Natürlich, das ist gar keine Frage. Aber langfristig ist technischer Fortschritt ohne Datenschutz und ohne Datensicherheit kein Segen, weder für die Patienten noch für die im Gesundheitsbereich tätigen Menschen. Im Gegenteil: Eine solche Entwicklung im Gesundheitswesen ist gefährlich.

"Alle wollen die Daten kommerziell nutzen"

tagesschau.de: Wie kann denn ein Umgang mit solchen Daten aussehen, der verantwortungsbewusst ist?

Leutheusser-Schnarrenberger: Es kommen da mehrere Dinge zusammen. Natürlich sind wir zum einen selbst verantwortlich, wenn wir darüber entscheiden, über Apps oder Wearables unsere Daten automatisch an Google oder Facebook zu übermitteln, aber auch an ganz spezielle Anbieter wie Versicherungen. Da muss sich jeder einzelne fragen: Will ich das? Weiß ich, was mit diesen Daten wirklich passiert?

Wir wissen sicher: Alle, die diese Daten bekommen, wollen sie kommerziell nutzen. Das ist nichts Unanständiges. Aber es machen andere ein Geschäft mit den eigenen Gesundheitsdaten. Deshalb sollte sich jeder dreimal überlegen, ob er diese Daten weitergibt.

Versicherungen locken zwar mit günstigen Tarifen, wenn man ihnen Einblick in die eigenen Gesundheitsdaten gibt. Aber wir sehen bereits in anderen Ländern, dass diese, wenn man beispielsweise nicht regelmäßig Sportaktivitäten nachweist, den Versicherungstarif erhöhen.

tagesschau.de: Sind solche Fitness- oder Versicherungs-Apps überhaupt in der Lage, eine solche Menge an komplexen Daten sinnvoll auszuwerten?

Leutheusser-Schnarrenberger: Mit den technischen Möglichkeiten, die wir heute haben, sind Auswertungen in ganz anderem Umfang als früher möglich. Wir können unbegrenzte, riesige Datenberge auswerten. Aber natürlich ist das auch fehleranfällig. Denn durch Big-Data-Analysen ist die Kausalität der Erhebung und die spätere Verwertung nicht mehr nachvollziehbar.

"Der Gesetzgeber muss Vorgaben machen"

tagesschau.de: Was heißt das?

Leutheusser-Schnarrenberger: Alle Daten werden gleichermaßen gespeichert, auch, wenn diese vielleicht in einem bestimmten Zusammenhang erhoben wurden oder nur in einer bestimmten Zielrichtung zu verstehen sind. Diese Kausalität der Erhebung geht bei Big Data leichter verloren. Wenn beispielsweise Daten erhoben werden, die schon vier Wochen später nicht mehr zutreffen, aber für immer gespeichert werden. Deshalb sind solche Daten anfälliger für Fehleinschätzungen, was gerade im medizinischen Sektor gravierende Konsequenzen haben kann.

Big Data im Gesundheitssektor

Zurzeit verdoppelt sich jedes Jahr die Menge der weltweit erfassten Daten. "Big Data" nennt man einerseits Datenmengen, die entweder zu komplex sind oder sich zu schnell ändern, um sie mit klassischen Methoden auszuwerten. Zum Auswerten oder Sammeln dieser Daten sind komplexe Technologien notwendig. Auch diese werden ergänzend mit dem Schlagwort "Big Data" beschrieben.

In allen Bereichen nimmt die Erfassung und Speicherung von Daten zu. Ein Beispiel ist der Gesundheitssektor. Unter anderem die seit Anfang des Jahres für Versicherte der Gesetzlichen Krankenkassen verpflichtende Elektronische Gesundheitskarte bietet langfristig die Möglichkeit, weiterführende Patientendaten zu speichern. Zahlreiche Menschen nutzen außerdem bereits auf ihren Smartphones Gesundheits- oder Fitness-Apps, bei denen Anwender ihre Daten eingeben und teils über soziale Netzwerke verbreiten.

tagesschau.de: Auf der anderen Seite ist aber gewollt, dass Ärzte ein möglichst vollständiges Bild von ihrem Patienten haben. Deshalb werden immer mehr Daten zentral gespeichert.

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich halte auch diese Entwicklung für problematisch. Auch wenn versucht wird, die zentrale Speicherung von Patientendaten sicher zu machen. Das geht bei zentraler Speicherung kaum. Der Gesetzgeber muss hier insgesamt vorgeben, welche Daten gespeichert werden sollen und welche nicht.

Außerdem kann zentrale Speicherung im Gesundheitssektor in manchen Bereichen sogar kontraproduktiv sein, wenn beispielsweise Firmen, die im Biotech-Bereich forschen und neue Medikamente entwickeln, auf Daten zugreifen können, die einen Bezug zur Person herstellen können.

"Wir brauchen eine End-zu-End-Verschlüsselung"

tagesschau.de: Weil man dann in der Forschung nicht mehr mit anonymisierten Daten arbeiten würde?

Leutheusser-Schnarrenberger: Richtig. Und das geht gar nicht. Außerdem brauchen wir eine End-zu-End-Verschlüsselung, damit Daten, die vom Patienten an den Arzt übermittelt werden, durchgängig geschützt sind. Eine solche End-zu-End-Verschlüsselung gibt es ja in Deutschland bislang nicht flächendeckend. Und an dem Punkt kommt man nicht vorbei, auch da ist der Gesetzgeber gefragt.

tagesschau.de: Datenschutz ist bei diesem Themenkomplex eine Herausforderung. Eine andere ist, dass solche Datenanalysen dem behandelnden Arzt sehr tiefe Einblicke in den eigenen Lebenswandel bieten - tiefer, als bislang durch das Arzt-Patient-Gespräch. Welche rechtlichen Herausforderungen birgt das über den Datenschutz hinaus?

Leutheusser-Schnarrenberger: Der einzelne muss geschützt werden, dass nicht sein ganzes Persönlichkeitsprofil, das weit über Blutzucker und Cholesterin hinausgeht, erfasst wird. Diese Profilmöglichkeiten sind durch Big Data unglaublich groß. Das muss der Gesetzgeber in meinen Augen unterbinden - und zwar generell, nicht nur auf Ärzte bezogen. Solche Profilbildungen, bei denen einzelne Daten, die jeweils zu nur einem Zweck verfügbar sind, zu einem großen personenbezogenen Bild zusammengefügt, ausgewertet und analysiert werden, müssen ausgeschlossen werden.

tagesschau.de: Ist das für unsere Selbstwahrnehmung gut, wenn wir permanent Daten über uns selbst sammeln?

Leutheusser-Schnarrenberger: Dass jemand stolz ist, wenn er jeden Tag joggt und auch sieht, wie sich gewisse Werte verbessern, dann kann das ein gewisses Glücksgefühl auslösen und motivierend wirken. Aber ich glaube, man sollte sich selbst nicht zu sehr unter Druck setzen. Eine gewisse Daten-Enthaltsamkeit ist da nicht schlecht.

Das Gespräch führte Anna-Mareike Krause, tagesschau.de