Interview mit Hans-Olaf Henkel "Ich habe erstmals seit langem nicht FDP gewählt"
Wieder ein Wahldesaster für die FDP - was sind die Ursachen? Hans-Olaf Henkel, Ex-Präsident des BDI und FDP-Anhänger, rät der Partei, gegen die Euro-Rettungspakete zu kämpfen. Der Kurswechsel von FDP-Chef Rösler komme zu spät und sei nicht durchdacht, meint Henkel im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: 1,8 Prozent, so der jüngste Tiefschlag für die Liberalen bei den Berliner Landtagswahlen. Wozu brauchen wir noch die FDP?
Hans-Olaf Henkel: Das habe ich mich in den vergangenen Wochen allerdings auch gefragt. Und ich habe die Partei zum ersten Mal seit langer Zeit nicht gewählt.
Hans-Olaf Henkel ist ein bekannter deutscher Wirtschaftsmanager. Er war Chef von IBM-Deutschland, später Präsident des BDI und der Leibniz-Gemeinschaft. Henkel steht der FDP nah und arbeitet als Berater und Autor. Er kritisiert die Euro-Hilfen und tritt für eine Währungsunion der nordeuropäischen Länder ein.
tagesschau.de: Was haben Sie denn gewählt - dürfen wir das fragen?
Henkel: Ich habe gar nicht gewählt, und ich sage Ihnen gerne den Grund: Es gibt für mich derzeit keine Partei, die sich ernsthaft mit Alternativen zur jetzigen Euro-Politik befasst. So wie mir geht es einem großen Teil der FDP-Stammwähler. Die sind zunehmend verärgert, dass die FDP sich nicht deutlicher beim Thema Euro positioniert.
"Die Kehrtwende war nicht durchdacht"
tagessschau.de: Die FDP hat doch genau dies versucht. Sie hat sich im Schlussspurt des Berliner Wahlkampfs mit Euro-Skepsis profilieren wollen, die Parteispitze ließ extra noch mal neue Flyer drucken. Die Strategie ging gründlich schief, oder?
Henkel: Es war eine zu plötzliche Kehrtwende, die so nicht überzeugen konnte. Dahinter war keine einheitliche Linie und fundierte Analyse zu erkennen. Wenn Parteichef Rösler plötzlich von einer "geordneten Insolvenz" für Griechenland sprach, dann wirkte das wie ein zufällig hingeworfener Begriff, nicht wie eine fundierte Analyse.
tagessschau.de: Ökonomische Kompetenz galt ja als Kernbereich der FDP. Wie kompetent ist die FDP in Sachen Euro-Rettung?
Henkel: Es gibt einige FDP-Bundestagsabgeordnete, die gegen die neuen Euro-Rettungspakete stimmen wollen. Das halte ich für richtig. Es wird Zeit, dass die Parteiführung sich fundiert mit Alternativen zur jetzigen Euro-Politik auseinander setzt. Die FDP muss in der Euro-Politik klar Farbe bekennen und Flagge zeigen.
"Wir lassen uns an der Nase herumführen"
Die Mehrheit der Deutschen ist unzufrieden mit der Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung. Die Akzeptanz des Euro ist auf einem dramatischen Tiefpunkt. Führende Ökonomen im Land sind sich mittlerweile weitgehend einig, dass der Weg in Richtung Transfer-Union, der von Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble beschritten wird, ein verhängnisvoller Weg ist: für die deutschen Steuerzahler und auch für die Wettbewerbsfähigkeit von Europa. Wir müssen über Alternativen reden. Das wird in anderen Ländern der Euro-Zone durchaus getan. Nur in Deutschland ist das ein Tabu. Stattdessen lassen wir uns von den Franzosen an der Nase herumführen.
tagesschau.de: Parteichef Rösler hat mit seiner Rede von der "geordneten Insolvenz" Griechenlands die Finanzmärkte beunruhigt und für Verunsicherung gesorgt. War das nicht unverantwortlich?
Henkel: Nein, auch Frau Merkel hat übrigens im vergangenen Jahr noch den Austritt Griechenlands gefordert, bevor Frankreichs Staatschef Sarkozy sie zum Einreißen der sogenannten "No-Bail-Out"-Klausel überredet hat, die es laut Lissaboner Vertrag eigentlich verbietet, strauchelnden Ländern unter die Arme zu greifen.
"Die gemeinsame Währung spaltet Europa"
tagesschau.de: Die FDP war zu Zeiten von Hans-Dietrich Genscher eine ausgewiesene Europa-Partei. Zerstört die jetzige Führung nicht mit ihrer Euro-Skepsis dieses Image?
Henkel: Im Gegenteil: FDP-Parteichef Rösler hat gemerkt, dass die gemeinsame Währung Europa zu spalten droht. Die Kluft zwischen Euro-Nehmerländern und den Geberländern wird immer größer. Wir Deutschen sind mittlerweile verhasst bei den Griechen. Die Südländer haben es satt, von Herrn Schäuble und Frau Merkel darüber belehrt zu werden, dass sie mehr sparen und mehr privatisieren müssen. Immer tiefer stecken deutsche Politiker ihre Nase in die Angelegenheiten der anderen Euro-Länder. Das führt zur Spaltung.
Und ein noch größerer Graben tut sich in Europa zwischen den 17 Euro-Ländern und den zehn Ländern auf, die nicht der Währungsunion angehören. Die schütteln nur noch mit dem Kopf, wie hier die Wirtschaftskraft eines ganzen Kontinents geschwächt wird. Die FDP tut Europa einen Gefallen, wenn sie nicht länger mitmacht bei der jetzigen Euro-Politik.
tagesschau.de: Mal weg vom Euro – viele wissen nicht mehr, wofür die FDP steht. Woran liegt das?
Es gibt keine wirkliche liberale Partei in Deutschland
Henkel: Die FDP hat ihr eigentliches Kernthema aus den Augen verloren. Wir brauchen eine liberale Partei, das heißt eine Partei, der die Freiheit wirklich am Herzen liegt. Nicht nur auf dem Gebiet der Wirtschaft, auch auf dem Gebiet der Menschenrechte und der Bürger-Freiheit, die Frau Leutheusser-Schnarrenberger im Übrigen gut vertritt. Wir brauchen eine Partei, der die Freiheit wichtiger ist als die Gleichheit. Wir haben nur noch Parteien, die sich für soziale Gerechtigkeit engagieren und keine einzige Partei, die sich für Subsidiarität einsetzt: für die Delegation der Verantwortung von oben nach unten. Da muss die FDP neu Kurs nehmen. Und sie muss ihre Außenpolitik überdenken. Ich habe beim Thema Libyen die Enthaltung von Außenminister Westerwelle im UN-Sicherheitsrat nicht verstanden, noch weniger seine Begründung, und überhaupt nicht mehr verstanden habe ich seine Selbstgefälligkeit angesichts der Erfolge der Alliierten.
Es ist übrigens ein politischer Widerspruch, beim Thema Euro Alleingänge abzulehnen, aber in der Außenpolitik und auch bei der Energiewende deutsche Sonderwege zu beschreiten. Das alles ist nicht durchdacht.
tagesschau.de: Wie gut ist die neue FDP-Parteiführung?
Henkel: Naja, die müssen noch kräftig dazulernen. Dazu gehört vor allem, das liberale Profil zu schärfen.
"Mit Gründung einer neuen Partei wäre die FDP erledigt"
tagesschau.de: Ist die jetzige Führung schon verbrannt, immerhin blickt sie schon auf mehrere schwere Wahlniederlagen zurück?
Henkel: Sie wird auch noch weiter verlieren, wenn sie nicht eine wirkliche Kursänderung in Angriff nimmt. Und die FDP muss damit rechnen, dass einer ganzen Gruppe von Leuten der Kragen platzt und diese Leute eine neue Partei gründen. Und die könnte verdammt große Ähnlichkeit mit der FDP haben. In den beiden wichtigen Feldern - der Außenpolitik und der Euro-Rettung - würde diese neue Partei jedoch eine grundsätzlich andere Haltung annehmen. Wenn es soweit kommt, dann wäre die FDP endgültig erledigt.
tagessschau.de: Wären Sie an der Gründung einer solchen neuen Partei beteiligt?
Henkel: Ich werbe dafür, dass man in der FDP den Kurs beeinflusst. Dass die Liberalen nicht länger wie die Lemminge hinter dem herlaufen, was die Kanzlerin und ihr Finanzminister vorgeben.
tagessschau.de: Das hieße dann aber das Ende der Koalition, oder?
Henkel: Das ist eine Frage der Alternativen. Neuwahlen würden eine Neuauflage von Rot-Grün bewirken, und das ist ein Abenteuer, auf das Deutschland meiner Meinung nach verzichten sollte. Besser wäre es, die Koalition würde sich zusammenraufen. Die Bevölkerung will diese Euro-Hilfen nicht. Schwarz-Gelb muss diesen Frust ernst nehmen. Erst dann wird die Regierung wieder erfolgreich sein.
Die Fragen stellte Simone von Stosch, tagesschau.de