Beratung bei Pränataldiagnostik "Schwangere werden allein gelassen"
Der Ethikrat hat eine umfassendere Beratung bei der Pränataldiagnostik gefordert. Gut so, meint Monika Hey. Als sie erfuhr, dass ihr Kind einen Gendefekt aufwies, fühlte sie sich zu einer Abtreibung gedrängt. Heute würde sie sich anders entscheiden.
Der deutsche Ethikrat hat eine umfassendere Beratung bei der Pränataldiagnostik gefordert. In seiner Stellungnahme, die er der Bundesregierung übergab, spricht er sich unter anderem für eine stärkere Aufklärung der Bevölkerung sowie Aus- und Fortbildungen im Gesundheitswesen aus. So solle einem "einseitig genetisch-biologistische Krankheitsbild" entgegengewirkt werden. Auch die Buchautorin Monika Hey sagt, es brauche dringend mehr Aufklärung. Diese sei zwar schon jetzt gesetzlich festgeschrieben, trotzdem würden Schwangere mit der Diagnose häufig allein gelassen. Mehr noch: Sie würden von den Ärzten zur Abtreibung gedrängt, kritisiert sie im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Frau Hey, auf den ersten Blick klingt eine gendiagnostische Untersuchung während der Schwangerschaft sehr sinnvoll: Wenn man frühzeitig weiß, dass bei einem Kind eine genetische Abweichung vorliegt, dann kann es frühzeitig behandelt werden.
Monika Hey: Ja, es sieht so aus, als würde da Hilfe angeboten. Aber die Pränataldiagnostik bietet keine Hilfe und keine Unterstützung für das Kind an. Es gibt für die dort festgestellten Befunde keine vorgeburtliche Therapie.
Und darüber hinaus: Wenn Eltern die Information bekommen, dass ihr Kind möglicherweise eine genetische Abweichung mitbringt, dann können die Ärzte nichts darüber sagen, wie sich das Leben dieses Kindes entwickeln wird, wie stark die zu erwartende Behinderung sein wird. Sie können nur sagen, dass es diesen Befund gibt. Trotzdem wird den Eltern in den meisten Fällen nahegelegt, die Schwangerschaft zu beenden. Es wird so getan, als werde damit Leid verhindert. Das ist sehr fragwürdig.
Monika Hey arbeitet als Supervisorin in Köln. Mit dem Thema Pränataldiagnostik beschäftigt sie sich seit 1998, als sie einem Schwangerschaftsabbruch zustimmte.
tagesschau.de: Sie haben das selbst erlebt...
Hey: Ich habe selber damals ein Kind mit Down Syndrom erwartet, und es wurde in den allerschwärzesten Farben ausgemalt, was das bedeutet. Aber wenn Sie mit Eltern sprechen, die diese besonderen Kinder aufziehen, werden diese Eltern Ihnen auch sagen, dass ihr Leben eben nicht unerträglich belastet ist und nur unglücklich und dass diese Kinder nur leiden. Das ist nicht so. Wenn ich gewusst hätte, was ich heute weiß, dann wäre diese Schwangerschaft nicht abgebrochen worden.
tagesschau.de: Sie wurden also von den Ärzten zu einer Abtreibung gedrängt?
Hey: Es wird schon dadurch aktiv Einfluss genommen, dass jede Schwangere heute, egal wie alt sie ist, damit konfrontiert wird, dass sie Pränataldiagnostik in Anspruch nehmen sollte. Es wird der Eindruck erweckt, dass im Grunde jede Schwangere das will, als sei es gleichbedeutend damit, Verantwortung zu übernehmen für das Kind.
Den Schwangeren wird erzählt, sie könnten durch Pränataldiagnostik Sicherheit für sich und das Kind bekommen. Doch in dem Moment, wo ein problematischer Befund auftaucht, ist die Sicherheit des Kindes ganz stark gefährdet. Wenn man eine Therapie anbieten könnte, dann hätte es natürlich Sinn, eine Diagnose zu stellen. Wenn ich aber keine Therapie anbieten kann - und das ist der Fall bei den genetischen Tests - dann ergibt sich für die Eltern die Konsequenz, entscheiden zu müssen, ob ihr Kind gut genug ist um auf die Welt zu kommen.
Über die Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern mit Down Syndrom werde nicht genügend aufgeklärt, kritisiert Hey.
Dazu kommt sowohl von Seiten der Mediziner als auch gesellschaftlich ein hoher Druck, sich doch frühzeitig durch Abtreibung von einem solchen Kind zu trennen, wenn es Behinderungen haben sollte. Das ist eine extreme Belastung für Eltern. Sie werden in die Tests reingedrängt, aber mit der Entscheidung, was danach passiert, werden sie alleine gelassen. Das ist ein extrem traumatisierender Konflikt. Und man muss nicht so tun, als sei in dem Moment, wo die Schwangerschaft beendet wird, für die werdenden Eltern alles wieder in Ordnung. Für die Mediziner ist in dem Moment das Problem erledigt, für die betroffenen Familien ist es das nicht.
tagesschau.de: Haben Sie von Ihrem Arzt keine Unterstützung bekommen? Sie ist ja immerhin gesetzlich vorgeschrieben.
Hey: 1998, als ich schwanger war, bestand bereits eine Aufklärungspflicht der Ärzte hinsichtlich der Untersuchungen, die gemacht werden. Ich wusste, dass ich keine Abtreibung will, auch dann nicht, wenn bei meinem Kind genetische Abweichungen auftreten sollten. Ich hatte daher sehr deutlich gemacht, dass ich keine Fruchtwasseruntersuchung oder ähnliche Tests wollte. Doch man hat mich nicht darauf hingewiesen, dass schon der Ultraschall am Ende des ersten Trimesters nach genetischen Abweichungen sucht. Dabei wird die Nackenfalte gemessen.
In dem Moment, als ich die Diagnose bekam, bin ich natürlich in einen Strudel von Bildern geraten, die mir von den Ärzten dann eingeredet wurden. Das ging so weit, dass sie mir sagten, dass mein Leben in Gefahr sei. Das ist natürlich Quatsch. Aber das hat mit der rechtlichen Situation zu tun.
Man kann keine Abtreibung vornehmen, weil das Kind behindert sein wird, sondern es muss das Leben und die Gesundheit der Mutter gefährdet sein. Das ist im Grunde eine Mogelpackung, denn die medizinische Indikation ist ja dafür vorgesehen, dass im Notfall zwischen Leben und Gesundheit der Mutter und dem Überleben des Kindes entschieden werden muss. Diese Situation wird heute jedoch für jede Schwangerschaft konstruiert, in der genetische Abweichungen auftreten.
tagesschau.de: Warum ist das so? Wer profitiert davon?
Hey: Pränataldiagnostik ist - das muss man sich klarmachen - auch ein Geschäft mit der Angst. In keiner anderen Arztpraxis werden so viele privat zu zahlende Leistungen verkauft wie in der gynäkologischen Praxis. In einer Zeit, wo wir eine stark kommerzialisierte Medizin haben, sind die Interessen der Ärzte nicht immer identisch mit den Interessen der Frauen. Eine Frau, die schwanger ist und die in eine gynäkologische Praxis geht, muss wissen, dass sie als Kundin behandelt wird.
Im September 2012 veröffentlichte Monika Hey bei der DVA ein Buch über ihre Erlebnisse: "Mein gläserner Bauch. Wie die Pränataldiagnostik unser Verhältnis zum Leben verändert."
tagesschau.de: Was müsste sich also Ihrer Meinung nach ändern?
Hey: Öffentliche Aufklärung ist nötig. Es werden zwar alle möglichen Publikationen in gynäkologischen Praxen ausgelegt, aber das ist immer nur ein Teil der Wahrheit, die da verbreitet wird. Frauen müssen sehr viel mehr darüber wissen, was Pränataldiagnostik bedeutet. Pränataldiagnostik ist nicht zu verwechseln mit Schwangerenvorsorge.
Letztere gibt es, damit das Kind tatsächlich gute Entwicklungschancen hat. Pränataldiagnostik ist dafür da, herauszubekommen, welche Kinder genetische Abweichungen haben, um dann das Angebot für eine Abtreibung zu machen. Und wenn ich weiß, dies ist ein Wunschkind und ich möchte nicht darüber entscheiden müssen, ob dieses Kind zur Welt kommen darf oder nicht, dann lehne ich auch bestimmte Untersuchungen ab.
Pränataldiagnostik ist nicht ein medizinisches Angebot, um ein glückliches gesundes Leben zu führen. Es ist mit komplexen, schwierigen Entscheidungen verbunden, über die sich Frauen Gedanken machen müssen, bevor sie schwanger sind. Ich bin keine Abtreibungsgegnerin, Frauen sollten diese Entscheidung selber treffen dürfen. Aber Frauen müssen auch das Recht auf Nichtwissen haben. Es ist genauso verantwortlich zu sagen, ich will bestimmte Diagnosen nicht wissen, die meinem Kind nicht helfen. Und es sollten von Gynäkologen Fachleute einbezogen werden, die nicht auf den Defekt blicken, sondern auf die Entwicklungsmöglichkeiten dieser Kinder.
Das Interview führte Jan Ehlert, tagesschau.de